Comic | Bastien Vivès: Polina
Mit Polina beweist Bastien Vivès erneut, dass er sein Medium ausgezeichnet beherrscht. Dabei ist der französische Comic-Autor gerade einmal 27 Jahre alt. CHRISTIAN NEUBERT ist von dem vielfach prämierten Zeichner wieder mal begeistert.
Bastien Vivès hat sich bereits in die erste Garde der Comic-Schaffenden Frankreichs eingeschrieben. Neben der Reihe Für das Imperium, die er illustriert, sind in Deutschland von ihm bisher die Bände Der Geschmack von Chlor und In meinen Augen erschienen. In diesen macht er nicht nur als Zeichner eine gute Figur, sondern stellt auch sein Talent als Autor unter Beweis – die Bände sind mehr als kleine Sensationen.
Entsprechend lastet auf dem jungen Zeichner ein hoher Druck, wenn er mit seinem neu erschienenen Werk neben seinen anderen Comics bestehen möchte. Doch mit Polina zementiert Vivès seinen Status als das neue Comic-Wunderkind Frankreichs, denn nach der Lektüre des Bandes kommt man um eines nicht umhin: Man muss sagen, dass ihm auch sein neuester Comic, die Nachzeichnung des Werdegangs einer Ballett-Tänzerin, hervorragend gelungen ist.
Erneut grandios gelungen
Der Geschmack von Chlor und In meinen Augen sind berührende Liebesgeschichten, die durch ihre streng das Thema fokussierende, geradlinige Erzählstruktur hervorragend funktionieren. In Polina dagegen hat Vivès den Handlungs- und Bezugsbogen deutlich weiter aufgespannt, denn in dem Comic wird neben der dicht gewobenen vordergründigen Handlung auch das komplizierte Lehrer-Schüler-Verhältnis zum Thema erhoben. Insgesamt lässt sich das sensibel erzählte Werk als Nachempfindung des Künstlerdaseins begreifen – es zeigt auf, dass sich Künstler in verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten versuchen müssen, um schließlich ihre ureigene finden zu können.
Insofern erzählt Vivès anhand der fiktiven Primaballerina, zu deren Geschichte ihn das Leben der Tänzerin Polina Semionowa inspiriert hat, auch ein Stück weit von der Künstlerexistenz im Allgemeinen – inklusive von sich als Comicautor. Dass dies bei ihm erneut zu einem großen Wurf gerät, liegt daran, dass er einfach ein grandioser Geschichtenerzähler ist. Er hat ein gutes Gespür für Erzählrhythmus und den Einsatz von Tempowechseln – und er besitzt die Gabe, Dialoge lebensnah formulieren zu können. Vivès Comics bestechen stets durch Vitalität in Sachen Figurenzeichnung und Handlungsverlauf. Dadurch gelingt es ihm, selbst aus scheinbar banalen Themen mitreißende Geschichten zu entwerfen.
Es gibt noch eine weitere, wichtige Sache, die der junge Franzose mit traumtänzerischer Sicherheit beherrscht: Er versteht es wie kein Zweiter, die graphische Aufmachung seiner Werke auf das jeweilige Thema abzustimmen. Dabei kommt es ihm zu Gute, auf eine breite Palette an stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten zurückgreifen zu können.
Ein Erzähltalent mit großer stilistischer Bandbreite
In der mit monochromen Farbflächen gestalteten Hallenbadromanze Der Geschmack von Chlor hat Vivès weite Teile der Handlung einzig über die Gestik und Mimik der Hauptfiguren transportiert und in dem mit Holzstiften festgehaltenen In meinen Augen hat er die Leser mit dem grandiosen Einfall überrascht, ihren eigenen subjektiven Blick zur Erzählinstanz zu erheben. Bei Polina setzt er nun, wie es beim Ballett eben Methode ist, stark auf die Körpersprache der Protagonisten.
Dabei sind die Figuren skizzenhaft mit einfachen Strichen umrissen, und auf Interieur wird in den Panels oft komplett verzichtet. Durch die zeichnerische Reduktion werden die Gesichtszüge der tanzenden Handlungsträger stark abstrahiert, was – ebenso wie der Verzicht auf Detailfülle und der Einsatz von nur drei Farben, nämlich schwarz, weiß und einem ins Graue spielenden Beige – das Erzählte ungemein verdichtet.
Kunst kommt von Können, und mit Polina hat Vivès erneut bewiesen, dass er sein Handwerk in vollem Umfang beherrscht. Wunderbar, dass es ihm jedes Mal auf´s Neue glückt, sein Talent auf jeweils grundverschiedene Weise einzusetzen, um etwas Grandioses zu schaffen.
Titelangaben
Bastien Vivès: Polina
Aus dem Französischen von Mireille Onon
Berlin: Reprodukt 2011
208 Seiten. 24,00 Euro
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