Einer gegen die Gruppendynamik oder Kafka lebt

Sachbuch | Glenn L. Carle: Interrogator. In den Verhörkellern der CIA

MANFRED WIENINGER taucht mit ›Interrogator. In den Verhörkellern der CIA‹ von Glenn L. Carle in eine kafkaeske Welt ein.

InterrogatorCarle schildert die Central Intelligence Agency, Amerikas mächtigsten Geheimdienst, als eine zutiefst bürokratische und zugleich kafkaeske Organisation, die weitgehend unfähig scheint, aus analytischen Schnitzern und operativen Fehlern zu lernen; und zwar schildert er eine von der Politik zu Härte und Aggression gedrängte CIA in den ersten, vielleicht intensivsten Phasen des ›Terrorkrieges‹ gegen al-Quaida. Die Agency erhält mit einem Schlag immer mehr Personal und Ressourcen und sieht sich schon von daher zu fieberhaft vermehrten Operationen veranlasst. Vor allem die Politik ist der Meinung, dass »mehr besser ist«. Dagegen setzt Carle die Einsicht, dass nur » ›besser‹ besser ist«.

Der Held des Buches ist der Autor selbst, der als erfahrener CIA-Agent die Aufgabe übertragen bekommt, einen Mann zu verhören, den die Agency für ein hochrangiges al-Quaida-Mitglied, für den Bankier der Terrororganisation hält und deshalb auf offener Straße entführen lässt, um ihn anschließend in diversen ›Stationen‹ außerhalb der USA festzuhalten und zu befragen. Im Laufe des Buches erweist sich der Gefangene mit dem sprechenden Decknamen CAPTUS für den verantwortlichen Verhöroffizier, für den Interrogator Glenn R. Carle, aber als völlig unschuldig.

Moralisches Traktat eines amerikanischen Intellektuellen

Man hat einfach den falschen Mann erwischt. Die höheren Ebenen der Agency sind aber letztlich unfähig, den kapitalen Fehler einzugestehen und zu korrigieren, in dem man den Unschuldigen einfach laufen lässt. Stattdessen verschärfen sie den Druck auf den Gefangenen, was bis hin zu verschiedenen Formen der Folter geht. Für den Interrogator entsteht ein moralisches Dilemma, dem er schließlich nur mehr dadurch entgehen kann, dass er den Dienst verlässt und dieses Buch schreibt.

Übrigens, um nicht Landesverrat zu begehen und selber im Gefängnis zu landen, musste Glenn L. Carle sein Buch der CIA zur Zensur vorlegen. Circa sieben, acht Prozent des Textes sind daher geschwärzt. Aber auch das macht den Reiz eines spannenden und bitteren Buches aus, das unbedingt zu empfehlen ist. Wer allerdings beim Thema Geheimdienstpraktiken noch allerlei romantische Flausen à la 007 – James Bond im Kopf hat, ist mit Carles Buch, das man durchaus auch als moralischen Traktat eines amerikanischen Intellektuellen lesen kann, vielleicht nicht so gut bedient.

| MANFRED WIENINGER

Titelangaben
Glenn L. Carle: Interrogator. In den Verhörkellern der CIA
(The Interrogator. An Education, 2011)
Aus dem Englischen von Thomas Pfeiffer und Norbert Juraschitz
Hamburg: Rowohlt 2012
447 Seiten. 22,95 Euro

Reinschauen
Glenn Carle – Webseite

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Oper neu entdecken

Nächster Artikel

Der Bass im Dialog mit dem Orchester

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Mehr als nur ein Mythos

Menschen | Matabane / Abramsky / Beetz: Madiba. Das Vermächtnis des Nelson Mandela Auch nach seinem Tod im Dezember 2013 gilt Nelson Mandela als Symbol für das gewaltfreie Ende des Apartheidsregimes und die demokratische Befreiung Südafrikas. Nicht der Mythos, der sich um seine Person rankt, sondern der Mensch Mandela steht im Mittelpunkt des Buchs von Khalo Matabane, Sasha Abramsky und Christian Beetz. 29 Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft kommen darin zu Wort und schaffen ein facettenreiches Porträt des charismatischen Friedensstifters. Von STEFFEN FRIESE

Insel der Seligen

Kulturbuch | Hans-Joachim Löwer: Die Stunde der Kurden In den letzten hundert Jahren sind etliche Völker und Religionsgemeinschaften im Nahen Osten unter die Räder gekommen. Viele von ihnen fristen seit Jahrzehnten ein Leben von Ausgrenzung und Verfolgung, einige wie die christlichen Minderheiten Syriens und des Iraks sind erst in jüngster Zeit wieder zwischen die Fronten geraten. Ein lange bekämpftes und unterdrücktes Volk, das es anscheinend geschafft hat, dem Zirkel der Gewalt zu entrinnen, stellt der Reisejournalist Hans-Joachim Löwer in ›Die Stunde der Kurden‹ vor. Von PETER BLASTENBREI

Das Leben unter unseren Füssen

Sachbuch | Susanne Wurst: Der Boden lebt: - Kleinstlebewesen, unsere Erde und das Klima

Wir treten ihn mit Füssen – nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne: Dabei stellt der Boden nichts Geringeres dar als unsere Lebensgrundlage. Doch weil er uns so selbstverständlich erscheint, laufen wir achtlos über ihn hinweg und tragen ihm kaum Sorge. Von MARTIN GEISER

Gegen das News-Gewitter

Sachbuch | Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens

Gleich vorneweg, in seinem Titel ist das Buch ›Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern‹ im Mindesten ungenau, vielleicht sogar »fake«. Das Buch hat nur am Rand mit digitalem Leben zu tun. Hauptsächlich geht es um die Nachrichtenflut, die den modernen Menschen überschwemmt und darum, diese Überflutung zu vermeiden. Insofern trifft der zweite Teil des Buchtitels den Inhalt viel besser. Doch da der Autor des Buchs zuvor die sehr lesenswerten Bücher ›Die Kunst des klaren Denkens‹ und ›Die Kunst des klugen Handelns‹ geschrieben hat, so ist der Titel aus Gründen des Marketings als Reihentitel zu verstehen. Dabei ist dieser zweite Teil des Titels inhaltlich richtig überzeugend geworden, findet BASTIAN BUCHTALECK

Demütigungen, Kränkungen und Ungerechtigkeiten!

Sachbuch | Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns

Ohne die Worte »Wendeverlierer« und »Treuhand« lässt sich die Deutsche Wiedervereinigung laut Petra Köpping nicht beschreiben. Denn für die sächsische Integrationsministerin stehen die beiden Begriffe symptomatisch für die Umwälzungen der Nachwendezeit, insbesondere im Osten der Republik. In ihrem Sachbuch ›Integriert doch erst mal uns!‹ schlägt die SPD-Politikerin einen großen Bogen von der friedlichen Revolution, den folgenden runden Tischen, über die Ernüchterung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung bis in die heutigen Tage zu Pegida und AfD. Auf fast 200 Seiten stellt Köpping dar, aus welchen Gründen im Osten Deutschlands die Wende als Kränkung wahrgenommen wird und welche Auswirkungen dies hat. Von BASTIAN BUCHTALECK