/

Appell an die Menschheit

Gesellschaft | Vandana Shiva: Jenseits des Wachstums

Jährlich mahnen Umweltorganisationen zunehmend die Schäden an, die durch rücksichtsloses Gewinnstreben an Mensch und Natur entstehen. Es ist nicht zuletzt Vandana Shivas Verdienst, die Auswirkungen der menschenverachtenden Wirtschaftsweise globaler Konzerne am Beispiel indischer Bauern in ›Jenseits des Wachstums‹ zurück in die beschaulichen Wohnzimmer des Bürgertums zu holen. VIOLA STOCKER ließ sich aufklären.

WachstumNachhaltigkeit ist in aller Munde. Sie schmückt Unternehmen wie Regierungsprogramme und auch im Privaten gilt es als schick, sich angesichts der rücksichtslosen Ausbeutung der weltweiten Ressourcen betroffen zu zeigen. Allerdings verflüchtigt sich der Schock spätestens an der eigenen Wohnungstür, denn im relativen Wohlstand und im Bewusstsein, den nächsten Biosupermarkt zumindest theoretisch erreichen zu können, mutet die Krise nur noch halb so schlimm an.

Öko-Apartheid als neue Diskriminierungsform

Es ist durchaus bezeichnend, dass mit Vandana Shiva, Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises und renommierte Physikerin, ausgerechnet eine Inderin sich an die Spitze des Kampfes gegen die Ausbeutung der globalen Ressourcen stellt. Während Wirtschaftswissenschaftler bewundernd auf asiatische Wachstumsraten blicken und für das eigene Land ähnlich goldene Zeiten herbeisehnen, analysiert Shiva gründlich die Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf die indische Kultur, Natur, Sozialstruktur und die staatlichen Finanzen.

Den Ursprung dieses zerstörerischen wirtschaftlichen Verhaltens sieht Shiva nicht zuletzt im Gedankengut der Aufklärung wie im Kartesianismus. Die Annahme, als Mensch nicht nur die Krone der Schöpfung, sondern auch der Herrscher über die Welt und ihre Schätze zu sein, lieferten bereits zu Zeiten des Kolonialismus einen allgemein akzeptierten Vorwand zur Ausbeutung aller bedeutsamen Rohstoffvorkommen.

Gefährdung indigener Völker

Dass dieser Krieg gegen die Natur auch ein Krieg gegen die Menschheit ist, zeigt Shiva nicht nur am Beispiel der vielen indigenen indischen Bevölkerungsgruppen, denen durch den Ausbau der Sonderwirtschaftszonen in Indien die Lebensgrundlage entzogen wird. Sie mahnt auch den Kontrollverlust der westlichen Verbraucher an, da ihnen durch die Monopolisierung der Märkte zunehmend die Möglichkeit zur Einflussnahme genommen wird.

Wie machtlos die Menschen diesem Prozess wirklich gegenüberstehen, wird nach Shiva immer wieder deutlich am Ausbau der eben erwähnten Sonderwirtschaftszonen, die in Indien quasi als Staat im Staate existieren. Sie zahlen kaum Steuern, sind von gesetzlichen Umweltauflagen befreit, erhalten Zugeständnisse ohne Auflagen. Dennoch entstehen durch sie weder zusätzliche Arbeitsplätze für die ortsansässige Bevölkerung, noch ergibt sich für den Fiskus ein ernstzunehmender Benefit.

Widerstand gegen die Ausbeutung der Natur

Als lokale Bauern und indigene Gruppen beginnen, sich gegen die umgreifende Umstrukturierung der regionalen Begebenheiten zu wehren, gelingt es Vandana Shiva, den Widerstand in der von ihr gegründeten Organisation Navdanya zu bündeln. Aufgrund des Aufbaus der Sonderwirtschaftszonen leidet die Wasserqualität der entsprechenden Gewässer zusehends, beziehungsweise verlieren die Bauern den Zugriff auf die Wasserreservoirs, die sie für ihren landwirtschaftlichen Betrieb dringend benötigt hätten. Der sich verstärkende Klimawandel, der unter anderem die Gletscher im Himalaja schrumpfen lässt, hat gravierende Auswirkungen auf die Biodiversität im indischen Landbau.

Shiva wird nicht müde zu betonen, wie abhängig der Mensch vom fragilen Gleichgewicht der Natur ist. Sie führt die zunehmenden Nahrungskrisen unter anderem auf die Monopolisierung des Saatguts durch Großkonzerne wie Monsanto zurück. Vor allem das nicht absehbare Risiko der Auswilderung von Nutzpflanzen, die einer Genveränderung unterzogen wurden und die damit einhergehende rücksichtslose Verwendung immer aggressiverer Pestizide und Herbizide haben unrevidierbare Auswirkungen auf Flora und Fauna.

Entlarvung wirtschaftlicher Praktiken

Am Beispiel von Saatgutkonzernen wie Monsanto und Bayer sowie anhand der indischen Oligarchen weist Shiva immer wieder darauf hin, dass die Umweltschäden und Ausmaße der sozialen und biologischen Zerstörung weit über indische Grenzen hinaus gehen. Nicht nur wird die Biodiversität unserer bisherigen Nahrungsmittel zugrunde gerichtet, beispielhaft dargestellt am aktuellen Problem der Ausrottung indigener mexikanischer Maissorten durch Pollenbefruchtung von GVOs. Auch lokale Handelsstrukturen und überliefertes landwirtschaftliches Wissen, oft im Einklang mit der Natur über Generationen bewahrt, werden zugunsten globaler Konzernverstrickungen aufgelöst und unterdrückt.

Vandana Shivas bewegendes Schlussplädoyer wendet sich an die Bevölkerung Europas und Nordamerikas, die oft kaum Einblick in globale Verflechtungen hat und sich in lokale Machtspielchen verstrickt. Längst ist Indiens ökologische Krise kein nationales, sondern ein internationales Problem geworden. Es ist nicht zu rechtfertigen, wenn ein kleiner Teil der Menschheit zunehmend an Übergewicht mit entsprechenden Folgen leidet, während der größere Teil mit der Unterernährung kämpft. Eine nachhaltigere Wirtschaftsweise mit mehr Rücksicht auf indigene und regionale Strukturen könnte nach Shiva dies dauerhaft ändern.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben
Vandana Shiva: Jenseits des Wachstums
Warum wir mit der Erde Frieden schließen müssen
Aus dem Englischen von Antje Papenburg
Zürich: Rotpunktverlag 2014
272 Seiten, 19,90 Euro

Reinschauen
| Über die Autorin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Folkdays aren’t over- Bill Callahan / Red June

Nächster Artikel

Some Albums To Keep Your Toes Warm This October Pt 2.

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Ungewohnte Perspektiven

Gesellschaft | Klaus Hillenbrand: Fremde im neuen Land. Deutsche Juden in Palästina und ihr Blick auf Deutschland nach 1945 Reportagen aus Deutschland nach der Katastrophe des Nationalsozialismus sind nicht allzu selten. Die Berichte, die der Journalist und Zeithistoriker Klaus Hillenbrand in Fremde im neuen Land vorstellt, bieten allerdings höchst ungewöhnliche Durchblicke. Denn sie sind geschrieben von deutschen und deutschsprachigen Juden, die oft nur wenige Jahre zuvor aus ihrer alten Heimat verjagt worden waren. Von PETER BLASTENBREI

Teflon®-Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Kultur | Pieke Biermann: Teflon®-Gesellschaft mit beschränkter Haftung Seit 70 Jahren ist es auf dem Markt: Polytetrafluorethylen, kurz PTFE, Markenname Teflon®. In gut zwei Generationen ist uns der Wunder-Kunststoff offenbar so alltäglich geworden, dass er zur Metapher taugt: als Etikett vor allem für Politiker. Von PIEKE BIERMANN

Hinters Licht geführt

Gesellschaft | Klaas Voß: Washingtons Söldner Historische Forschung kann spannende Ergebnisse liefern. Wir erleben in immer kürzeren Abständen, dass jüngste Vergangenheit, die wir aufgrund eigenen Erlebens verlässlich zu beurteilen glaubten, oh wie hatten wir alles im Griff, unter den nüchternen Forschungen von Historikern allerlei dekorativen Schnickschnack, allerlei Camouflage ablegt – wir wurden hinters Licht geführt. Dass es in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg von der CIA geführte Geheimarmeen gab und der Anschlag auf dem Münchner Oktoberfest 1980 durch diese Stay-behind-Armeen ausgeführt wurde, ist mittlerweile einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Von WOLF SENFF

Schwarzfüßler und Beurs

Gesellschaft | Frankreich Dem Wanderer zwischen zwei Kulturen fällt bei seinen häufigen Grenzüberschreitungen nach rechts des Rheins bzw. innerhalb von Gesprächen immer wieder auf, wie fragend Deutsche selbst in unmittelbarer Nachbarschaft auf Begriffe wie ›Pieds-noirs‹ oder ›Beurs‹ reagieren, genauer, ihnen diese in letzter Zeit häufiger auch in deutschsprachigen Medien auftauchenden Wörter nahezu ausnahmslos nicht bekannt sind. Von DIDIER CALME

Anfang und Ende

Gesellschaft| Barbara Honigmanns: Chronik meiner Straße »Wenn wir sagen, dass wir in der Rue Edel wohnen, antwortet man uns meistens, ach ja, da haben wir am Anfang auch gewohnt.« So lautet der erste, beinahe programmatisch anmutende Satz in Barbara Honigmanns autobiografischer Skizze über jene Straße im Osten Straßburgs, in der sie seit ihrer Übersiedlung aus Ost-Berlin im Jahr 1984 lebt. Wieder einmal schreibt die 66-jährige Autorin, die einst als Dramaturgin und Regisseurin an so renommierten Theatern wie der Volksbühne und dem Deutschen Theater Berlin gearbeitet hat, ganz stark an ihrer eigenen bewegten Vita entlang. Von PETER MOHR