Kurzprosa | Cornelia Schleime: Das Paradies kann warten
Cornelia Schleime hat mit ›Das Paradies kann warten‹ ihren ersten Erzählband veröffentlicht. Als wunderbare Künstlerin ist sie schon lange bekannt, so schmücken ihre zarten, ätherischen und doch oft verletzend direkten Bilder auch die Erzählungen. In einer Mischung aus entrückter Verträumtheit und Bauarbeiterjargon schreibt sie vom Reisen, Kopulieren, Verlieren und Selbstfinden. VIOLA STOCKER ging ein Stück mit ihr.
Sehr schnell erhärtet sich der Verdacht, dass in jeder Erzählung ein Stück von Schleimes Leben steckt. Immer wieder sind es Künstlerinnen, wenn auch manchmal vor allem Lebenskünstlerinnen, die individuelle Krisen zwischen Ost- und Westdeutschland, Diktatur und Demokratie, Partnerschaft und Einsamkeit meistern müssen.
Dass keine der Erzählungen langweilt, hängt vor allem mit Schleimes pragmatischem und direktem Schreibstil zusammen. Das Leben geht weiter und es ist schön.
Wütende Zeitkritik
Oft ist es Berlin, das in Schleimes Fokus gerät. Die Rückkehr nach Berlin oder die Flucht aus der Stadt, es scheint eine Art Hassliebe zwischen der Autorin und der deutschen Hauptstadt zu existieren. Womöglich ist es aber auch nur Schleimes schonungslos offener Blick auf die sich verändernde Hauptstadt, der die Erzählungen teils sehr bitter wirken lässt. Zum Beispiel die Geschichte der alternden Hannelore, die mit ihrem Hund im Prenzlauer Berg wohnt und die Veränderung vom alteingesessenen Stadtviertel zum hippen Quartier für zugereiste Familien schlecht verkraftet.
Ein altes, originäres Stadtbild muss Platz machen für Neubauten, Kinderwagen mit drei Rädern, Straßencafés und Filmteams. Für schnoddrige Urgesteine wie Hannelore bleibt kein Platz mehr, sie fühlt sich nicht mehr angenommen, nicht mehr zu Hause. Die stylischen Pärchen, die mit ihren Kinderwägen die Gehwege blockieren, widern sie an und als letzte, boshafte Rache stürzt sie sich aus dem Fenster, um den Klavierumzug eines neuen, schicken Paares zu blockieren. In dieser Story ist Schleimes Wut und Zeitkritik am deutlichsten spürbar. Endlos traurig blickt eine junge Frau zu Beginn der Kurzgeschichte aus den Seiten ins Nichts.
Selbstfindung auf Reisen
Titelgebend war vielleicht die Erzählung ›Das weiße Kleid‹, in dem eine junge Frau aus Berlin und ihrem Leben flieht, um in einem teuren, weißen Designerkleid die griechischen Inseln zu entdecken. Was anfangs durchaus paradiesisch anmutet, endet in Schleimes typischen Pragmatismus. Die Einsamkeit nimmt überhand, One-Night-Stands sind die zwangsläufige Folge. Und als am Ende aufgrund von Geldmangel der Hunger siegt, verkauft der weiße Engel seinen Körper für Nahrung. Alles andere als paradiesisch also. Dennoch gelingt es der Protagonistin, genauso zu sich selbst und zurück zu ihrer Kunst zu finden.
Wie sehr Körper und Geist bei Cornelia Schleime eins sind, wird auch aus den wunderschönen Aquarellen und Bildern deutlich, die in Entrücktheit zwischen den Buchseiten abgebildet sind und stets durch ihre starke Körperlichkeit irritieren. Sexualität und Intellektualität sind hier kein Widerspruch, sondern nur zwei Seiten ein und derselben Existenz. Eine Mutter und Künstlerin möchte mit ihrem Kind einen Sommer lang in einem leeren Schrebergartenhaus malen und wohnen und betört einen Immobilienhändler mit ihren sexuellen Praktiken, um in Ruhe arbeiten zu können.
Existenzangst und Armut
Auffallend ist, dass alle Figuren in Schleimes Erzählband von irgendwelchen existenziellen Nöten geplagt sind. Selten finden sich gut situierte Intellektuelle darin. Meist kämpfen alleinerziehende Mütter, verlassene Liebschaften oder Künstler in einer Krise mit den Dämonen der Vergangenheit, die in Form von dominanten Müttern, gekränkten Liebhabern oder sich schlicht ändernden Zeiten den Eingang ins Paradies unmöglich machen.
Teils kafkaeske Anklänge finden sich in Erzählungen wie der ›Pralinenfrau‹, in der ein Mann sinnliche und künstlerische Erfüllung in einer Affäre findet, die für die Partnerin nur eine interessante Urlaubserfahrung ist. Auch die Story eines Mädchens, das sich zu DDR-Zeiten nach sexueller Initiation durch sowjetrussische Soldaten sehnt, trägt ebensolche Züge. Es scheint, dass vor Schleimes Tor zum Paradies Wächter postiert sind, die suchende Existenzen ungern einlassen.
Lust am Leben
In Schleimes Worten spiegelt sich, was aus ihren Bildern spricht: eine starke, erdige und pragmatische Lust am Leben, die sich nach Erfüllung und Entrückung verzehrt und in aller Deutlichkeit immer unerreichbar bleibt. So wie die Porträts den Betrachter nachdenklich fokussieren, greifen die Erzählungen nach einer persönlichen Erfahrungsessenz, die nicht jeder teilen muss, die aber dabei sehr authentisch bleibt.
Titelangaben
Cornelia Schleime: Das Paradies kann warten
Berlin: Fuchs & Fuchs Verlag 2014
192 Seiten. 21,90 Euro