So oft Lassberg an der Liege vorbeikam, nickte ihm Belten freundlich zu, doch weshalb hatte Belten Kopfhörer auf, es geschah selten, daß hier jemand Kopfhörer trug, Kopfhörer waren im Lager ein Ausnahmefall.
Vermutlich hörte Belten klassische Musik, nur war das Tote Meer kein Ort, an dem man klassische Musik hören würde, der Aufenthalt war in dieser Hitze dermaßen erdrückend, daß jede ernstzunehmende Beschäftigung ausgeschlossen schien, mit Ausnahme der Dänen, ich komme darauf zurück, auch würde Belten kaum eine halbe Stunde durchhalten, seine Kopfhörer waren eine verzweifelte Geste, ein ohnmächtiger Versuch, der Monotonie des Alltags zu entfliehen.
Nicht auszuschließen war auch, daß der Kopfhörer als Platzhalter einer anderen Kultur stand, als ein Ausdruck grundlegend veränderter Kommunikation, glaubte Lassberg, die Menschen waren digital aufgewachsen, diverse Medien der Kommunikation waren etabliert, untereinander konkurrierend – nur daß digitale Strukturen im Alltag des Lagers kaum praktikabel waren, die Temperaturen waren extrem, niemand wäre hier in der Lage, an einem Laptop zu arbeiten, dafür eigneten sich vielleicht die klimatisierten Hotels, aber wer ginge in einem Hotelzimmer seiner täglichen Arbeit nach, home-office-kompatibel, man würde e-mails schreiben oder skypen. Sei’s drum.
Man könnte meinen, die Belegschaft im Lager sei überaltert, aber Vorsicht, die meisten waren im arbeitsfähigen Alter, viele in den Vierzigern – es traf jedoch zu, daß jüngere Leute außen vor waren, sie gingen in die Diskothek, die es angeblich in einem der Hotels gab, für Lassberg war das kein Thema, blieben dort bis tief in die Nacht und schälten sich erst zu Mittag aus ihren Betten, wenngleich sich das nicht mit den Usancen des Lagers vertrug, es gab Regeln, die Demarkationslinien waren einschneidend, Fehlverhalten wurde strikt sanktioniert.
Lassberg erinnerte sich an einen jungen Mann, jugendlich noch, schlank, er schätzte ihn auf nicht älter als achtzehn. Nein, man stellte sich nicht vor. Der Neuankömmling hatte einen Platz gesucht, seine Liege aufzustellen, meistens orientierte man sich an den Nationalitäten, wurde einander nach und nach bekannt, schlug seine ersten Wurzeln, gewöhnte sich ein.
Er hatte seine Liege am Rand aufgestellt, nahe der Sichtschutzplane, erschien gegen Mittag, und es hielt ihn nicht auf seiner Liege, er wirkte getrieben, seine Rastlosigkeit war schwerlich mit der bedächtigen Atmosphäre des Lagers vereinbar.
Viele nutzten den Rundkurs, gemächlich zwar, doch meistens waren zwei oder drei Männer auf der Strecke, eine oder zwei Runden lang, wer ertrüge es reglos unter der brennenden Sonne, man war aufgefordert, sich zu bewegen, es genügte keineswegs, alle zwei Stunden ins Meer zu gehen, die Verhältnisse am Salzmeer sind diffizil. Die Dänen, ich erwähnte es, spielten vor ihrem riesig dimensionierten Felsblock Boccia, sobald die Hitze nachließ, eine Dreiviertelstunde am frühen Nachmittag, und wer seine Runden ging, mußte ihnen um den Felsblock herum ausweichen.
Der junge Mann fiel durch alle Raster, er war selten auf seiner Liege zu sehen, gar nicht im Meer, Lassberg bemerkte ihn vor allem auf dem Rundkurs, er hatte Kopfhörer aufgesetzt, hörte vermutlich eine playlist, deren Rhythmen sich lebhaft auf seine Art zu gehen übertrugen, dazu bewegte er übertrieben schlenkernd die Arme, und Belten deutete kühl auf Drogenkonsum.
Lassberg vermutete, daß auch nervliche Überspanntheit am Salzmeer kuriert wurde, und dieser junge Mann mochte als ein Beispiel exzessiver Jugendlichkeit gelten und als Merkmal einer Kultur, für die am Salzmeer wenig Platz war, die Dinge sind, wie sie sind, nein, manches verträgt sich nicht miteinander, Konflikt lag in der Luft.
Einige Tage lang ließ er sich bei einigen Süddeutschen nieder, er traf, ich erwähnte das, spät im Lager ein und war, nachdem er wohl im Salzmeer gelegen hatte und einige Runden gegangen war, schnell wieder verschwunden, Lassberg sah ihn auch später nicht, vermutlich hatte er aufgesteckt und sich für die restlichen Tage in sein Hotel zurückgezogen, die Hotels boten Liegeplätze auf ihren Dachterassen an.
Es gab immer auch einige, für die sich der Aufenthalt bereits nach wenigen Tagen als ein Fehlschlag erwies, teils weil ihnen die Geduld fehlte, die für eine Akklimatisierung unerläßlich war, die Details, wie wir wissen, sind kompliziert, teils aber auch, weil ihnen ein Mißgeschick unterlief, etwa daß sie eben doch zu lange unter der Sonne gelegen hatten, und auch den leichten Sonnenbrand mußt du kompromißlos im Schatten abklingen lassen und darfst auf keinen Fall voreilig handeln, teils daß sie sich einen Kratzer zugezogen hatten und zwei, drei oder vier Tage warten mußten, bevor sie wieder ihr Bad im Salzmeer nehmen konnten, jeder einzelne Tag ist unersetzlich, die Dinge, bei Lichte betrachtet, sind hochgradig kompliziert.