Der Kutscher und der kalte Buffo

Roman | Dominique Horwitz: Tod in Weimar

Caspar Bogdanski hieß die Gestalt, die Dominique Horwitz in den beiden bisherigen Weimar-Tatorten verkörperte. Ein mit allen Wassern gewaschener Kleinkrimineller, nachts in dunkle Geschäfte verwickelt, tagsüber mit seiner Pferdedroschke über Weimars holpriges Pflaster rumpelnd, um zahlenden Gästen vom Kutschbock aus die Klassikerstadt näherzubringen. Im dritten Weimar-Tatort wird Bogdanski nicht mehr dabei sein. Dafür hat Horwitz die Gestalt in seinen ersten Kriminalroman hinübergerettet, sie mit den eigenen imposanten Segelohren ausgestattet und auf Mörderjagd geschickt. Bogdanski heißt nun Kaminski, aber auch mit dem kann man sich auf knapp dreihundert Buchseiten gut amüsieren. Von DIETMAR JACOBSEN

Tod in Weimar von Dominique Horwitz
Tod in Weimar von Dominique Horwitz

In Weimar steht Deutschlands einziges Altenheim für Künstler, das Marie-Seebach-Stift. 1895, nach dem Tod ihres einzigen Sohnes, von der wohlhabenden Schauspielerin und Opernsängerin für »unverschuldet in Not geratene Schauspieler« ins Leben gerufen und bis zu ihrem Tod im Jahre 1897 auch geleitet, öffnete sich das Haus rund 100 Jahre später auch für Menschen, die ihr Leben nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zugebracht hatten.

Heute ist es – ganz im Geiste des klassischen Weimar – ein Ort, an dem Kunst und gesellschaftliches Leben aufeinandertreffen, Stadt und Stift sich gegenseitig auf anregende Art und Weise bereichern. Mit der »Villa Gründgens«, Hauptschauplatz im ersten Roman des 1957 in Paris geborenen und seit 2003 in unmittelbarer Nachbarschaft der Thüringer Klassikerstadt lebenden Schauspielers und Sängers Dominique Horwitz, hat das Stift freilich nur insofern zu tun, als sich der Autor hier wohl eine wesentliche lokale Anregung für sein Buch holte. Ansonsten besteht der wichtigste Unterschied zwischen realer und fiktiver Künstlerbleibe darin, dass es in Letzterer plötzlich einen greisen Bühnenstar nach dem anderen dahinrafft und schuld daran nicht das Alter zu sein scheint, sondern ein so fies wie raffiniert vorgehender Mörder.

Tatort Altenheim

Doch zum Glück gibt es ja Roman Kaminski – droschkenlenkender Fremdenführer, nicht auf den Mund gefallen und mit dem letzten Winkel Weimars vertraut. Dass etliche seiner Fahrgäste die dunkle Seite des Städtchens, den hinter der Stadt aufragenden Ettersberg mitsamt der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, aus ihrem Besuchsprogramm am liebsten streichen würden, bringt den Mann schon mal dazu, sie auf offener Straße seines Gefährts zu verweisen. Wenn schon Weimar, dann nicht nur die Schokoladenseite!

Ansonsten aber ist dieser Kaminski ein umgänglicher Zeitgenosse, kümmert sich rührend um ein junges Mädchen, das sich ihn als eine Art Ersatzvater ausgesucht hat, und himmelt heimlich die Wirtin der »Wilhelm-Meister-Schänke« an. Als in der »Villa Gründgens«, dem von der agilen Doktorin Trixi Muffinger geleiteten Alterswohnsitz für Ex-Bühnenstars, plötzlich der Hausmeister verstirbt, ist Kaminski sogar bereit, auf Zeit dafür zu sorgen, dass es den Seniorinnen und Senioren an nichts fehlt. Allein kaum hat er seinen neuen Halbtagsjob angetreten, schnellt plötzlich die Mortalitätsrate vor Ort gewaltig nach oben.

Vor allem den Mitgliedern des »Schiller-Zirkels«, die sich gerade mit einer zeitgemäßen Bühnenumsetzung der »Räuber« herumschlagen, lauert der Sensenmann auf. Und macht mit seiner kalten Hand selbst vor dem beliebten Buffo Erwin Reichenbach nicht Halt. Naturgemäßer Verschleiß oder arglistig herbeigeführter Abgang von der Bühne des Lebens – womit hat man es bei dem massenhaften Mimensterben zu tun? Und welche Rollen spielen die mit sexuellen Dienstleistungen für die Villeninsassen nicht geizende Köchin Magda Bubenitschek, der im Dienste der Pharmaindustrie etwas zu eifrige Hausarzt Dr. Kunzenstein und Johann von Seesen, der zurückhaltend-aalglatte Geschäftsführer des hinter der Einrichtung stehenden Unternehmens? Als in Person des taffen Marc Westphal auch noch die Weimarer Kriminalpolizei vor Ort erscheint, gerät sogar Kutscher Kaminski unter Verdacht und muss sich auf eine unheilige Allianz einlassen, die ihn zu waghalsigen Manövern zwingt.

Die Räuber sterben aus

Alles in allem ist Tod in Weimar ein gelungenes Debüt. Der Erzählton stimmt, der Humor reißt mit, die Hauptfigur ist serienreif. Viele kleine Spitzen – gegen Wessis in Weimar, die Unsitten des modernen Regietheaters, Kultursubventionismus, Blindheit auf dem rechten Auge, Perspektivlosigkeit auf dem Lande etc. – werden augenzwinkernd an den Leser gebracht. Und schließlich hält Dominique Horwitz auch noch eine überraschende Auflösung seiner Mordserie im Altenheim bereit. Dass er hier und da vielleicht ein bisschen zu viel gewollt hat, Probleme für drei, vier Bücher in einem unterzubringen suchte, wollen wir dem Neuling auf dem Gebiet der Literatur verzeihen. Und hoffen, dass ihm für ein weiteres Abenteuer seines sympathischen Helden noch genug Stoff verblieben ist.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Dominique Horwitz: Tod in Weimar
München: Albrecht Knaus Verlag 2015
287 Seiten. 19,99 Euro
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Reinhören
| Hörbuch-Sprecher Dominique Horwitz im Interview

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