Comic | Isabel Kreitz: Rohrkrepierer
Mit ›Rohrkrepierer‹ adaptierte Isabel Kreitz den gleichnamigen, im Hamburg der Nachkriegszeit angesiedelten Roman von Konrad Lorenz als Comic – und legt damit ein weiteres Zeugnis ab, wie gut sie es versteht, authentische Eindrücke und lebendige Figuren zu schaffen. Von CHRISTIAN NEUBERT
Hamburg, St. Pauli, die Vierziger, Nachkriegszeit. Es sind Tage des Hungers, aber auch des Aufbruchs und Neubeginns. Wer sich hier behaupten will, muss findig sein. Die Versehrten, Kriegsheimkehrer und Witwen arbeiten hart an der Verbesserung ihrer Lebenssituation, die Hoffnungslosen saufen sich in den Hafenspelunken Vergangenheit und Gegenwart weg. In diesem Milieu wuchs der Hamburger Autor Konrad Lorenz auf, es stellt die Kulisse seines 2011 erschienenen autobiografischen Romans ›Rohrkrepierer – Eine Jugend Auf St. Pauli‹. Isabel Kreitz adaptierte den Stoff nun als Comic.
Die mehrfach prämierte Grande Dame des deutschen Comics – was lediglich für ihr Werk, nicht für ihr Alter gilt, wie macht sie das nur? – ist selbst Hamburgerin. Zudem hat sie z.B. mit ihren Erich-Kästner-Adaptionen, mit ›Die Entdeckung Der Currywurst‹ und ›Haarmann‹ bewiesen, dass sie die Richtige ist, wenn es um Milieustudien mit authentischem Look geht: Ihre Kohle- und Bleistiftzeichnungen suchen ihresgleichen, was Realitätsnähe und Gespür für Lokalkolorit zu einer bestimmten Epoche angeht.
Charakter- und Milieustudie
Der aus ihrer Feder geschaffene ›Rohrkrepierer‹ ist dabei weit mehr als eine Milieustudie: Er ist auch eine Geschichte von einer Elterngeneration am Abgrund, von einem kosmopolitischen Mikrokosmos zwischen Häuserschluchten, Hafen und Rotlicht. Und vor allem ist er eine Kiezballade aus Kindersicht.
Aus Kinderaugen betrachtet ist das Nachkriegshamburg zwar auch entbehrungsreich und von Schicksalsschlägen gezeichnet, aber mehr noch ein Abenteuerspielplatz aus Trümmern. Die Heranwachsenden bekommen viel mit zwischen Landungsbrücken und Herbertstraße, bestimmt mehr, als ihnen guttut, doch der Hunger dieser Zeit ist für sie zuallererst ein Hunger nach Leben. Der Held von ›Rohrkrepierer‹ ist Kalle. Er wird von Mutter und Großmutter aufgezogen, bis sein totgeglaubter Vater heimkehrt. Klar stellt das das Leben der Familie gründlich auf den Kopf, Kalle selbst kommt damit aber noch am besten zurecht.
Das Coming Of Age, ein Entkommen aus Trümmern
In der Mitte des rund 300 Seiten starken Comics macht die Geschichte eine Zäsur. Die Hansestadt ist in den Fünfzigern angelangt, Kalle und seine Freunde stehen in der Blüte ihrer Jugend. Obgleich man in dieser Zeit schnell erwachsen wird, ist Erwachsensein hart: Das Coming Of Age kommt hier aus Trümmern und Traumata gekrochen, während man früh Verantwortung tragen lernte. Die Suche nach einem Platz im Leben wird hier schnell zum Thema, aber dennoch: Erfahrungen und Entdeckungen, darum geht es den Buben. Und eine Bubengeschichte ist ›Rohrkrepierer‹ durch und durch.
Wie der Kreitz das gelingt, diese Bubengeschichte derart stark zu erzählen? Durch Authentizität. Und das nicht allein durch ihre erwähnten grandiosen Zeichnungen. Sie versteht es auch hervorragend, echte Menschen zu erschaffen. Ihr psychologischer Blick steht ihrer Zeichenhand nicht nach. Das Ergebnis beeindruckt – und ist entsprechend alles andere als ein Rohrkrepierer.
Titelangaben
Isabel Kreitz: Rohrkrepierer
Nach dem gleichnamigen Roman von Konrad Lorenz
Hamburg: Carlsen Verlag 2015
304 Seiten. 26,99 Euro
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