Karikaturen und Comic-Paraden

Comic | ICSE 2016 Spezial: Rückblick auf den 17. Internationalen Comic Salon Erlangen 2016

Während 2014 der Internationale Comic Salon in Erlangen noch das Thema »Erster Weltkrieg« wählte, ging es dieses Jahr sowohl thematisch als auch stilistisch wesentlich vielfältiger und bunter zu, mit Kunst aus der ganzen Welt. 25 000 Comicinteressierte besuchten vom Donnerstag, den 26. Mai, bis Sonntag, den 29. Mai den Comic Salon. 500 Künstler und 150 Aussteller waren mit dabei. Es ist der 17. Comic Salon, der alle zwei Jahre Farbe und Leben in die sonst so beschauliche und ruhige fränkische Stadt Erlangen bringt. PHILIP J. DINGELDEY hat sich dort umgesehen.

2015 Image Comics, Inc. / Jeff Lemire and Dustin Nguyen. Abb: ICSE 2016
2015 Image Comics, Inc. / Jeff Lemire and Dustin Nguyen.
Abb: ICSE 2016
In der Heinrich-Lades-Halle fand die Comic-Messe statt. Hier waren natürlich vor allem Science-Fiction-Geschichten und Superhelden sehr präsent. Dieses Jahr gab es sogar humorvolle Hefte zu österreichischen Superhelden, wie das Donauweib oder den Bürokraten, die in Deutschland landen. Ein viel älterer Comic-Held ist der Cowboy »Lucky Luke«. Der spielte dieses Jahr eine ganz besondere Rolle, da die Figur ihren 70. Geburtstag feiert.

Der Egmont-Verlag hat dazu eine mehrbändige Gesamtausgabe herausgebracht, und in der Ladengalerie Altstadtmarkt gab es eine kleine, sehr informative Ausstellung zur Geschichte von »Lucky Luke«. Eingerichtet wie in einem Saloon bekam man dort Zeichnungen und Originalskizzen des Schöpfers Morris zu sehen. »Lucky Luke« wurde hier präsentiert als Comic, der die Mythen des Wilden Westens parodiert, aber gleichzeitig wilde Abenteuer des einsamen Cowboys und seines treuen Gauls Jolly Jumper schildert, etwa gegen die Gangsterbrüder Daltons. Die Ausstellung zeigte Kontinuitäten und Wandlungen im Laufe der Zeit und ging detailliert auf zeichnerische Besonderheiten ein, wie die Liebe von Morris und seinen Nachfolgern zu geometrischen Figuren oder Perspektiven.

Erdogan hätte sich nicht amüsiert

Nicht nur Kinder kamen im Salon auf ihre Kosten. In der Lades-Halle gab es etwa die Ausstellung ›Rising India‹ zu indischen Comics. Lange Zeit wurden indische Comic-Zeichner nicht ernst genommen, bis sie indische Mythen rezipierten. Doch die Ausstellung geht noch weiter: Hier werden durchaus düster-mythische Zeichnungen gezeigt, aber auch derb-humoristische Skizzen. Manches erinnert auch an Pop-Art.

 Ausstellung: Istanbulles in Erlangen – Comics und Satire in der Türkei Copyright: Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2016
Ausstellung: Istanbulles in Erlangen – Comics und Satire in der Türkei Abb: Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2016
In derselben Halle konnte man auch eine Ausstellung zu türkischen Comics und Karikaturen begutachten: ›Istanbulles in Erlangen‹. Der Türkei-Experte Didier Posamonik hat sie zusammengestellt und konzipiert. Viele der Zeichnungen stammen aus der Satirezeitschrift ›Girgir‹, die türkische Vokabel für ›Spaß‹. Die hatte schon in den 1980er Jahren unter der Militärdiktatur viele Probleme, und ihre Folgemagazine werden bis heute vom türkischen Präsidenten Erdogan gegängelt.
Den Grund kann man gut deduzieren, kritisieren die Zeichnungen doch auf groteske Weise Gewalt gegen Frauen oder einen lächerlichen Maskulinismus. Oft wurde das in Science-Fiction-Geschichten eingebaut, um an der Zensur vorbei zu kommen. Besonders gut zeigte die Ausstellung das vielseitige Talent von Zeichnern wie Galip Tekin, Ersin Karabulut und Tuncay Akgün. Denn hier war jeder Stil zu sehen, von Anleihen an das ›MAD Magazine‹ bis zum komplexen Surrealismus. Leider waren die Informationen, die Posamonik den Besuchern zur Verfügung stellte, recht spärlich. Es blieb fast nur bei den Lebensläufen der Künstler. Die Comics waren in türkischer Sprache und ergo tendenziell schwer zugänglich.

Riesige Gartenzwerge, rebellierende Hühner und ein betrunkener Darth Vader

Türkisch ging es auch im Atelier Pinsl zu. Hier stellten junge türkische Künstler, wie Deniz Beşer oder Zeynep Sila Demircioğlu, unter dem Titel ›Utopien des Alltags‹ Comic-Kurzgeschichten in englischer Sprache aus. Deren Originalzeichnungen sind zwar technisch noch ausbaufähig, aber die Ansätze waren schon ganz gut. Etwa wird in einer Geschichte der türkische Superheld Dönerman geboren, mit einem Kopf in Form eines Dönerspießes, und jener internetaffine Held wählt dann natürlich Menschen als seine Nahrung. In einer anderen Geschichte betrinken sich im Weltall Star-Wars-Protagonisten wie Chewbacca und Darth Vader. Und in ›Chicken Revolution‹ kritisieren Hühner den Tiermord und die Willkür, wie Tierarten zum Lieben und Töten ausgewählt werden und proben, scheinbar inspiriert von George Orwells Fabel ›Farm der Tiere‹, den Aufstand.

 Ausstellung: Parade – Comics aus Flandern und den Niederlanden Brecht Evens: Am falschen Ort. Reprodukt. Berlin, 2010. Umschlag Copyright: Brecht Evens – Reprodukt 2016
Ausstellung: Parade – Comics aus Flandern und den Niederlanden. Brecht Evens: Am falschen Ort. Reprodukt. Berlin, 2010.
Abb: Brecht Evens – Reprodukt 2016
Aber auch europäische Künstler wurden auf dem Salon repräsentiert. So bot das Kunstmuseum Erlangen mit der Ausstellung ›Parade‹ Comics aus Flandern und den Niederlanden. Mit vielen Informationen wurden hier die unterschiedlichsten, oft aber nicht zusammenpassenden Werke präsentiert. Der Besucher sah Originalzeichnungen, etwa von Simon Spruyts neuer Graphic Novel ›Junker‹, eine Parodie auf den Wilhelminismus, die die Protagonisten zu Requisiten degradiert.

Aufsehenerregender ist Spruyts krasses Werbemotiv zum ›Free Comic Book Day 2014‹: Darauf sitzt im Schützengraben ein deutscher Soldat, dem die Gedärme schon aus dem Leib quellen und der von Ratten angefressen wird, und liest begeistert einen Comic. Künstlerischer, aber ebenso witzig wird es bei Brecht Evans Zeichnungen aus ›Die Amateure‹, in dem eine unprofessionelle Künstlergruppe als gemeinsames Projekt einen riesigen Gartenzwerg anfertigen will. Im Kunstmuseum war parallel dazu die Partnerausstellung ›Schwarztruhe‹, die ironisch-satirische bis zynisch-groteske Zeichnungen von fränkischen Comic-Zeichnern kredenzte.

Einen so vielseitigen und international orientierten Comicsalon, der von Mangas bis zur türkischen Satire alles bietet, gab es also schon lange nicht mehr. Am Freitagabend wurde auch der Max-und-Moritz-Preis vergeben. Den Preis für ihr Lebenswerk erhielt die französische Künstlerin Claire Bretécher.

| PHILIP J. DINGELDEY

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