Gesellschaft | Margot Lee Shetterly: Hidden Figures
Dorothy, Mary und Katherine hatten so einiges gemeinsam: Sie waren Afroamerikanerinnen mit überdurchschnittlich guter Ausbildung, Lehrerinnen, Mütter und engagierte Mitglieder ihrer Gemeinde. Sie alle bekamen auf Grund ihres Mathematikstudiums in den (Nach-)Kriegsjahren eine Anstellung als Rechnerinnen bei der aufstrebenden Raumfahrtbehörde ›NACA‹, der späteren ›NASA‹, in Hampton, Virginia und wurden die strategischen Köpfe hinter zahlreichen, bahnbrechenden Erkenntnissen und Missionen wie ›Apollo 13‹. Doch: Die Geschichte hat sie übersehen, denn sie waren schwarze Frauen in einer von Rassen- und Geschlechterkonflikten geprägten Nation. Von MONA KAMPE
Wir alle kennen sie – die historischen Helden, die auf Grund politischer, gesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Errungenschaften in die Geschichte eingegangen sind. Sie hatten das Engagement, die Stimme, die Position oder die Macht, um für einen Moment die Welt zu bewegen. Dann die Alltagshelden, die den Mut aufbrachten, in Konflikt- oder Notsituationen schnell und richtig zu handeln. Die, die sich für ihre Mitmenschen stark machten. Oder die Revolutionäre, die für ihre Rechte kämpften.
Erstere zieren die Geschichtsbücher, zwei- und letztere bleiben oft nur in massenmedialer Erinnerung oder gehen in der Menge unter. Dann gibt es noch jene leisen Helden, die durch Leistung und Ehrgeiz historische Ereignisse prägen, jedoch auf Grund ihrer gesellschaftlichen oder politischen Stellung von der Geschichte überschrieben werden. So auch die schwarzen Mathematikerinnen der berühmten US-amerikanischen Raumfahrtbehörde ›NASA‹.
Warum haben wir von ihnen noch nie etwas gehört? Diese »Geschichte erzählt etwas, das in Menschen aller Rassen, Ethnien jeglichen Geschlechts, Alters, und aus allen Schichten widerzuklingen scheint. Sie erzählt von Hoffnung und davon, dass sich selbst unter ungünstigen Bedingungen – Segregation, rassische Diskriminierung – die Leistungsgesellschaft durchsetzt und dass es jedem von uns möglich sein muss, so weit aufzusteigen, wie es Talent und Engagement zulassen.« Es ist die dreier afroamerikanischer Wissenschaftlerinnen, deren Lebenswege exemplarisch aufzeigen, dass »viele schwarze Frauen als Protagonisten Teil des amerikanischen Epos waren und sind«.
Die Liebe zur Mathematik und das Wettstreben zum Mond
Im Frühjahr 1943 warb das ›Langley Memorial Aeronautical Laboratory‹, kurz ›NACA‹, in Hampton, Virginia, Frauen für mathematische Aufgaben im Bereich Flugzeugtechnik an. Als Leitfiguren dienten »weibliche schwarze Ingeniere«, die ihr Studium am renommierten ›Hampton Institute‹ absolviert hatten, das an der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg zu den führenden schwarzen Colleges des Landes gehörte. Sie sollten im Luftfahrt-Forschungszentrum kriegsunterstützende Arbeiten leisten. Dorothy Vaughan, Lehrerin und Mutter, sah darin ihre Chance, ihr für schwarze Verhältnisse sehr gutes Gehalt deutlich zu erhöhen und damit die Zukunft ihrer Kinder zu sichern. Zudem fand ihre Begabung und Leidenschaft für die Mathematik, die den Arbeitsmarktbedingungen und dem traditionellen Familienleben weichen musste, endlich ihre Erfüllung. Ähnlich wie Katherine Goble, die im Sommer 1953 in ihre Abteilung stieß.
Am ›NACA-Rechenzentrum West‹ arbeiteten die »farbigen, menschlichen Computer« vor allem Statistiken sowie Analysen aus, nahmen Testberechnungen vor und brachten Ordnung in die oft diffusen Berichte und Forschungsergebnisse der Ingenieure. Langley war Vorreiter in der Windkanalforschung und stellte zahlreiche Kräfte – darunter Tausende Frauen als Rechnerinnen – im Sprinttempo auf engstem Raum ein, um siegreich aus dem Krieg zu gehen. Sie alle hatten maßgeblich Anteil an der Kapitulation Japans am 15. August 1945 durch Präzisionsbomben, die aus großer Höhe auf den Gegner abgeworfen wurden.
Trotz Personalkürzungen boomte die Flugzeugtechnikindustrie auch in der Nachkriegsära. Der Fokus lag nun auf der Schallgeschwindigkeit und um diese erfolgreich zu bewältigen, setzte man auf die Zuverlässigkeit der Mädchen. »Eine Rechnerin, die Daten sofort vor Ort verarbeiten konnte und sie auszuwerten wusste, war für das Team wertvoller als jemand aus dem großen Pool mit allgemeineren Kenntnissen.« Die Forschungsrivalität zwischen den USA und der Sowjetunion stieg zunehmend an und erreichte ihren Höhepunkt, als die UdSSR 1949 ihre erste Atombombe zündete. Die internationalen Spannungen führten zu einem erneuten Anstieg der ›NACA‹-Arbeitskräfte auf 14.000.
Von dieser Entwicklung profitierte auch die Mathematiklehrerin Mary Jackson, die 1951 –zunächst als Armeesekretärin – in den Staatsdienst trat. Die Hampton-Absolventin in Mathematik und Physik und Mutter engagierte sich zudem als Leiterin einer Pfadfinderinnen-Gruppe, um den Mädchen neue Möglichkeiten zu eröffnen und sie auf ihrem Weg zur Erfüllung ihrer Vorstellungen und Ziele jenseits von Geschlecht, Rasse und wirtschaftlicher Situation zu bestärken. Auch Katherine Goble war als stellvertretende Direktorin des Zentrums ihrer Kommune mehr als sozial integriert und tatkräftig.
Mitte der 1950er Jahre schaffte die Raumfahrtbehörde ihren ersten ›IBM‹-Computer an, der zunehmend die Datenverarbeitung erleichtern sollte. Rechnerinnen, die sich neue Erkenntnisse in der Bedienung und Informatik aneigneten, hatten gute Chancen, ihren Job zu sichern. Das Wettstreben der ehemaligen Alliierten um die Vormachtstellung im Weltraum und auf der Erde verlangte den Angestellten Höchstleistungen ab. Doch während Russland 1957 mit dem Satelliten ›Sputnik‹ erste Erdumrundungserfolge feierte, was auch auf ein Drittel weiblicher Ingenieure zurückzuführen gewesen wäre, wüteten in den USA noch immer schwere Rassenkonflikte, die die Nation fast ihre Vorherrschaft gekostet hätten.
Heldinnen im Nebel
Diese waren besonders in den Südstaaten ausgeprägt. Hier separierte die räumliche Rassentrennung weiße und schwarze Bewohner, etwa in öffentlichen Transportmitteln oder Bildungsinstitutionen sowie Wohnvierteln. So auch im Forschungszentrum in Hampton. Die »farbigen Mädchen« hatten separate Arbeitsplätze, ausgeschilderte Toilettenräume und mussten in der Cafeteria an einem gesonderten Tisch Platz nehmen. Sie waren nicht nur Frauen, sondern schwarze Frauen, die sich doppelt anstrengen mussten, um Anerkennung zu bekommen. Ehrgeiz, Engagement, Durchhaltevermögen, Intelligenz und Mut – die Eigenschaften, die die drei Protagonistinnen auszeichneten und sie in ihrem Traumjob Grenzen überschreiten ließen. So wurden sie ein aktiver Teil bahnbrechender ›NASA‹-Errungenschaften wie der legendären ›Apollo 13-Mission‹ und Vorbilder folgender Generationen schwarzer Frauen.
Margot Lee Shetterly, selbst in Hampton geboren und Tochter eines afroamerikanischen ›NASA‹-Forschers, verknüpft in ihrem Erstlingswerk ›Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen‹ sehr eindringlich gesellschaftspolitische, interkulturelle sowie wissenschaftstechnische Welten mit individuellen Biografien. Das Ergebnis ist ein vergessenes Stück amerikanischer Geschichte, das – vor allem vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in den USA – zum Nachdenken und zur Bewunderung anregt. Mit Unterstützung der ›Alfred P. Sloan Foundation‹, die der unabhängigen Wissenschaftlerin eine über fünfjährige Recherche und Interviews mit Zeitzeugen sowie Familienangehörigen ermöglichte, gelingt ihr eine bewegende, authentische Darstellung der Lebenswege ihrer Protagonistinnen, die den Leser mit viel Herz und Liebe zum Detail zur Begleitung dieser einlädt. »Was mir für sie vorschwebte, war die große, mitreißende Story, die sie verdient haben, vergleichbar mit der, die man mit den Brüdern Wright und den Astronauten, mit Alexander Hamilton und Martin Luther King Jr. verbindet. Nicht separat erzählt, sondern als Teil der großen amerikanischen Geschichte, die wir alle kennen. Nicht an deren Rand, sondern im Zentrum als Protagonisten des Stücks. Und das nicht, weil sie schwarz oder weil sie Frauen sind, sondern ein Teil des amerikanischen Epos.«
Titelangaben
Margot Lee Shetterly: Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen
HarperCollins Germany 2017
400 Seiten, 14 Euro
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