Meister des Body-Horrors

Comic | Shintaro Kago: Parataxis

Mangas werden bei ›TITEL‹ ja eher selten besprochen. Doch wenn es schon einmal so erschütternde und dystopische Mangas gibt, wie Shintaro Kagos Kurzgeschichten ›Parataxis‹, die nun als vollständige Sammlung in einer Master Edition vorliegen, so verdient das doch die Aufmerksamkeit der Comickritik. PHILIP J. DINGELDEY hat sich das Werk des Meisters des Body-Horrors angesehen.

ParataxisIn verschiedenen Kurzgeschichten malt der Sammelband ›Parataxis‹ eine düstere Zukunft, in der Biomechanoide für die verschiedensten Zwecke erschaffen und missbraucht werden. Biomechanoide sind riesige Menschen, die gezüchtet, deren Körper ausgeweidet und deren Körperteile schließlich als Bauteile mit Maschinenteilen zusammengesetzt werden. Dabei werden sie von den Menschen gesteuert und als Sicherheitspersonal, als Bauarbeiter oder als Fahrzeuge benutzt. Genannt werden diese Wesen dann Thirdler. Und in jeder Geschichte geht es um die ethische Frage, ob die Thirdler nur Maschinen sind, die man ausbeuten darf, oder ob es sich dabei um fühlende (und denkende) Lebewesen handelt, denen man Rechte einräumen muss. So treten Oppositionelle auf, die die Thirdler befreien wollen, und sogar einige unbearbeitete Riesen kämpfen für ihre Freiheit.

Die Handlung von ›Parataxis‹ ist dabei simpel. Vieles wird nur angedeutet, und es gibt auch kaum wiederkehrende Protagonisten, sondern immer wieder gelangen andere Figuren in den Gewissenskonflikt und werden mit neuen Formen von Biomechanoiden konfrontiert: vom Schmuggler, über das Dorfkind, zum unbearbeiteten Riesen. An sich sind die einzelnen Handlungsstränge der jeweiligen Geschichte einfach und übersichtlich, die Botschaft der ethischen Frage ist offenkundig und redundant. Da die jeweiligen Kurzgeschichten aber knapp und mit einer steilen Dramaturgie arbeiten – zumal gegen Ende ein Clou über das ökologische System der Menschen enthüllt wird, was das Verhältnis des Lesers zu den Thirdlern verändern wird – wird ›Parataxis‹ dennoch nicht langweilig. Und sukzessive gesellt sich zu dem Problem der Ausbeutung und Ausschlachtung der Thirdler noch die Frage, wie weit der Gedanke der Nachhaltigkeit im Postwachstum gehen darf.

Der Biomechanoid als homo sacer

Was das Werk Kagos aber besonders auszeichnet, ist weniger die klare, bedrückende Handlung seiner Dystopie, sondern die optische Darstellung. Er ist einer der realistischsten Manga-Zeichner, die mir bislang untergekommen sind. Denn während die Menschen und die architektonischen Hintergründe nicht sonderlich detailliert oder filigran ausgearbeitet sind, so widmet Kago der Darstellung der Körperlichkeit der nackten Thirdler viel Aufmerksamkeit und beweist eine erschreckende surreale, fast schon fetischistische Kreativität, was die Kombination von Mensch und Maschine betrifft. Dabei wird auch wenig Wert auf die Gesichter der Biomechanoiden gelenkt. Das passt natürlich sehr gut, da sie von vielen nicht als Personen oder Lebewesen wahrgenommen werden.

Auch die eher simple Darstellung der menschlichen Gesellschaft, die dahinter optisch zurückstecken muss, hat ihren Sinn, soll der Fokus doch nicht auf die immer weiter verdummenden Menschen oder die baulichen Ergebnisse der Ausbeutung gelenkt werden, sondern auf das nackte Leben der Thirdler. Gerade die Nacktheit der bloßen und benutzten Körper zeigt, dass es sich bei den Biomechanoiden um das bloße Leben von Figuren handelt, die, wie es der Philosoph Giorgio Agamben nennt, als »homo sacer« gelten; also Menschen, deren Leben vernichtet, aber nicht geopfert werden darf, da sie vom Recht als außerhalb des Rechts stehend definiert werden, ähnlich dem KZ-Häftling.

Diese einseitige Darstellung der Krassheit macht die Zeichnungen also umso erschreckender und perverser. Kago ist eben ein Meister des Body-Horrors, der die brutale Darstellung die Frage, was ein Leben eigentlich wert ist, fast schon resignativ beantwortet. Auf plakative Weise macht ›Parataxis‹ uns klar, dass die letzte Ebene der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in der kompletten Verwertung des Körpers liegt – ergo wird der Begriff des Humanmaterials hier wörtlich verstanden.

Parataxis Leseprobe
Parataxis Leseprobe

Aus der Ausbeutung im Kapitalismus folgt die Ausbeutung im Faschismus, scheint eine subtile Botschaft des Albums zu sein. ›Parataxis‹ ist ein grandioses, aber brutales Werk; plakativ und tiefsinnig zugleich, aber nichts für seichte Gemüter.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titel-Angaben
Shintaro Kago: Parataxis
Aus dem Japanischen von Verena Maser
Ludwigsburg: Cross Cult 2018.
Gebunden, 192 Seiten, 20,00 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eiskalte Steampunks

Nächster Artikel

Visionäre Internetromantik

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die dritte Phase

Comic | Luke Pearson: Hilda und die Vogelparade / Pirus: Der König der Fliegen / Benoit Sokal: Kraa 3 Mit ihrem jeweils dritten Band enden die beiden Comicreihen ›König der Fliegen‹ und ›Kraa‹. Während Eric einen verzweifelten Versuch unternimmt, aus seiner Vorstadthölle hinaus in die Natur zu fliehen, werden der Adler Kraa und sein Indianerfreund von einem Staudamm aus ihrem paradiesischen Tal vertrieben – ganz ähnlich wie auch die sympathische Comicheldin »Hilda«, die sich in ihrem dritten Album nicht mehr im einsamen Tal, sondern auf dem harten Pflaster der Stadt bewähren muss. BORIS KUNZ über Schluss- und Wendepunkte großartiger Comictrilogien.

Paranoia mit Stil

Comic | Thierry Smolderen, Alexandre Clérisse: Das Imperium des Atoms Thierry Smolderen (Autor von ›Ghost Money‹, ›Gipsy‹, ›Convoi‹ u.v.a.) hat sich von einem psychiatrischen Fallbericht und von alten Science-Fiction Romanen zu einer originellen Story inspirieren lassen, die gleichzeitig Paranoia-Thriller und Sci-Fi-Hommage ist: ›Das Imperium des Atoms‹. Der hierzulande noch kaum bekannte Alexandre Clérisse hat die großformatige Grahpic Novel als Verbeugung vor Stil und Eleganz der 50er Jahre in Szene gesetzt. BORIS KUNZ hat das Werk gelesen.

Flucht in ein freies Leben

Comic | Pénélope Bagieu: Unerschrocken Bd. 2 Mit Wut und Kampfesgeist werden Frauen von der Hausfrau zur Heldin. Pénélope Bagieu hat im zweiten Band ihrer Graphic Novel ›Unerschrocken‹ wieder 15 von ihnen porträtiert. Spannende und humorvoll erzählte Lebensgeschichten, zwischen Tragik und Mut, sind dabei entstanden. Von BIRTE FÖRSTER

Su casa es tu casa

Comic | Paco Roca: La Casa Der spanische Comic-Künstler Paco Roca legt mit ›La Casa‹ sein bislang persönlichstes Werk vor. Es lässt drei Geschwister nach dem Tod ihres Vaters im gemeinsamen Elternhaus zusammenkommen. Und hilft ihnen auf diese Weise, die verzahnten Verhältnisse ihrer Familienbande zu rekapitulieren – was einen auch selbst in Beschlag nimmt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Von der Natur. Und der des Menschen.

Comic | Peggy Adam: Gröcha   Peggy Adam reflektiert in ›Gröcha‹, ihrem zweiten Comic-Langwerk, über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur – mit ernüchterndem Ergebnis, mal abgesehen von der künstlerischen Leistung. Entsprechend genießt CHRISTIAN NEUBERT das Werk, solange es noch geht.