Digitales | Games: Frostpunk
Die große Hitze hatte Deutschland fest im Griff. Wer keine Klimaanlage sein Eigen nennen darf, zerfloss in verdunkelten Wohnungen vor sich hin, wenn der Weg nicht gerade zu einem kühlenden Gewässer führt. Für zumindest visuelle Abkühlung kann das Computerspiel ›Frostpunk‹ sorgen, das ein eisiges Endzeitszenario auf den heimischen Bildschirm zaubert. In tropischen Sommernächten hat FLORIAN RUSTEBERG einen Blick in die Eiszeit geworfen.
Es kam einfach so über sie. Zwar brachte die neu entdeckte Dampfkraft die Menschheit Ende dieses fiktionalen 19. Jahrhunderts zu neuen Höhenflügen und zur technologischen Blüte, aber gegen die massive Kälte waren sie machtlos. Gewöhnt hatten sich die Menschen an die vollautomatischen, mit Dampf betriebenen Maschinen im Alltag und die nahezu grenzenlos scheinende Macht des Fortschritts. Doch vor den stetig sinkenden Temperaturen vermochte nichts zu schützen.
Eine letzte, von Verzweiflung getriebene Expedition verlässt das erstarrte London, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Nur wenige von ihnen erreichen den Eiskrater, in deren Mitte sich ein lebensspendender, gigantischer Ofen erhebt. Um sein Wärme spendendes Feuer herum muss nun eine Siedlung entwickelt werden. In greifbarer Nähe sind Kohle, Holz und Eisen vorhanden, die Stoffe aus der eine Steampunk-Zivilisation erwachsen kann.
Soviel zur Vorgeschichte von ›Frostpunk‹, denn ab hier liegt es nun in der Hand des Spielers, aus den ehemaligen Bürgern Londons eine Gemeinschaft zu formen, die dem Hunger und der Kälte widersteht. Zu Beginn ist es ausreichend, einige Zelte aufzuschlagen und Arbeiter für die Jagd abzustellen. Der erste Kälteeinbruch konfrontiert die einfache Siedlung dann mit Krankheit, Erfrierungen und dem Drang nach Forschung. Die Ingenieure müssen Krankenstationen besetzen und in Werkstätten an Verbesserungen tüfteln. Schnell werden Arbeitskräfte in solchen Situationen knapp und es ist verlockend, auch die Kinder zur Arbeit heranzuziehen.
Hoffnung und Unmut
Möglich ist das durch ein Gesetzesbuch, in dem wichtige, unwiderrufliche(!) Entscheidungen für die Gemeinschaft getroffen werden können. Kranke pflegen oder lieber schnell zu Amputationssäge greifen? Sollen die Toten bestattet werden oder für spätere Verwendung gekühlt gelagert werden? Die verabschiedeten Gesetze eröffnen nicht nur neue Möglichkeiten, sondern beeinflussen zusätzlich direkt das Gemüt eurer Bevölkerung. Die Hoffnung und der Unmut sind die Größen, in der das Volk ihr (Über-)Leben bewertet. Sinkt die Hoffnung auf Null oder sind die Zustände nicht mehr hinnehmbar, droht der Siedlung der Zusammenbruch.
Gutes Timing, wenn zum demotivierenden Anblick von Kinderarbeit und gefrorenen Leichen nun auch die einfachen Ressourcen zur Neige gehen und der Aufbau richtiger Industrieanlagen zum Bohren ins Eis zwingend notwendig wird. Eine kurze Kohleknappheit reicht und die Stimmung ist nicht mehr ausreichend, um mit Sägemehl gestrecktes Essen zu tolerieren. Wer meint, mit dem Bedürfnis im eigenen Krater alleine schon ausgelastet zu sein, darf sich darauf freuen, Spähtrupps in die eisige Wildnis zu entsenden, die auf ihren Erkundungstouren Rohstoffe, neue Überlebende oder den eigenen Tod finden. Dem Verwalter der Menschheit bei -60°C bleibt im Spielfluss selten Zeit zum Ausruhen. Stets wartet das Spiel mit neuen Kniffen und Umschwüngen, die den etablierten Status Quo herausfordern – oder einer sowieso schon strauchelnden Siedlung den Stoß in den Abgrund geben.
Kinderarbeit und Sägemehl
Einmal zu Ende gebracht ist der Anreiz für weiteres Durchspielen eher gering. Allerdings kann ab der Mitte der Geschichte aus zwei Alternativen, wie die Gesellschaft sich entwickeln soll, gewählt werden und mit der Erfahrung der ersten Runde fällt es nun wesentlich leichter, der Kälte zu trotzen. Abhilfe schaffen weitere Szenarien, die durch neue Aufgabenstellungen Abwechslung bieten sollen. Nach dem Erscheinen wurden auf Wunsch der Community neue Modi bereitgestellt, die einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad bieten oder stetig Abspeichern und Neuladen unterbinden. Die Entwickler versprechen für das kommende Jahr auch weitere kostenfreie Erweiterungen.
Zu hoffen ist, dass dabei auch an der grafischen Leistung geschraubt wird. Ja, optisch macht das Spiel als Produkt eines kleinen Studios zweifellos einen sehr guten Eindruck. Einzelne Personen kämpfen sich stampfend durch meterhohen Schnee, während voluminöse Wolken aus dem Heizofen quillen. Es lässt sich alles frei drehen und zoomen, um die eigene Stadt beim grauen Tag oder der finsteren Nacht zu bestaunen. Es ist hübsch anzuschauen, aber mit einer wachsenden Anzahl von Gebäuden geraten auch leistungsstarke Computer an ihre Grenzen. In einer gänzlich bis zum Kraterrand ausgebauten und mit vielen Rauchquellen erfüllten Stadt wird sich ein Stocken der Bildrate kaum vermeiden lassen.
Fazit
›Frostpunk‹ ist ein klassisches Aufbaustrategiespiel, unterscheidet sich aber von den typischen Genrevertretern dadurch, dass es keine komplexen Produktionsabläufe zu kontrollieren gibt und die widrigen Umstände stets für Druck sorgen. Erfrischend sind die Zufallsschicksale der Bewohner sowie die vielfältigen Möglichkeiten, die Gesellschaft durch Verordnungen und Technologie an seinen eigenen Stil anzupassen. Gerade am Ende sind die Möglichkeiten für ambitionierte Spieler zu fix erschöpft. Natürlich spielt sich ›Frostpunk‹ am besten in einer lauen, entspannten Sommernacht, wo die erbarmungslose Kälte wie eine Verheißung wirkt.
Titelangaben
Frostpunk
11 Bit Studios, Microsoft Windows
erhältlich für PC.