Zwei beste Freunde

Kinderbuch | Werner Holzwarth: Mein Jimmy

Vom Tod erzählen ist nicht einfach. Zu oft wird es kitschig, oder der Schmerz wird weggetröstet. Werner Holzwarth, dem Erfinder des ›Maulwurfs, der wissen will…‹, gelingt es, ohne Sentimentalität, Pathos oder religiöse Verklärung davon zu erzählen. Für GEORG PATZER schon jetzt eines der schönsten Bilderbücher des Jahres

Bilderbuch: Mein JimmyVerschmitzt lächelnd senkt Jimmy den Kopf, Hacki sitzt ihm auf der Nase und lehnt seine Stirn an Jimmys. Grade haben sie sich wieder mal doofe Witze erzählt. Wie den von den zwei Jägern, die sich treffen: »Beide tot.« Das machen sie gern, auch wenn sie wissen, wie doof die Witze sind. Und immer wieder fliegt Hacki hinter Jimmy her, und der dreht sich um, um zu sehen, wo Hacki bleibt.

Dicke Freunde sind sie, Jimmy, das Nashorn, und Hacki. Der Madenhacker pickt Jimmy die lästigen Insekten vom Rücken, und sie erleben rasante Abenteuer: Verjagen drei Löwinnen, die Jimmy fressen wollen, schütteln freche Affen vom Baum, die sie mit Früchten und Ästen bewerfen, vertreiben sogar einen Großwildjäger, bevor der schießen kann. Da rettet der kleine Hacki das große Nashorn, indem er den Jäger pausenlos umflattert, dass der abwehrend die Hände nach oben reißt und dabei das Gewehr fallen lässt.

Und Jimmy stampft los, und der Jäger »rast wie ein angeschossener Elefantenbulle zu seinem Auto.« Und wenn Hacki diese Geschichten erzählt, werden sie von Mal zu Mal gefährlicher, da sind es dann nämlich 300 Löwinnen oder 70 Affen: Jimmy muss ihn dann immer lächelnd korrigieren…

Die besten Freunde sind sie, im Regen und im Sonnenschein. Aber dann wird Jimmy immer müder und müder, will nur noch ausruhen. »Aber du hast mich nicht in Ruhe gelassen. Hast mich gepiekt – überall, auch da, wo gar keine Maden waren – einfach, damit ich auf die Beine komme…«

Aber dann, eines Tages, kommt er nicht mehr hoch. Hacki protestiert: »Ich brauch dich doch, Jimmy. Wer soll mir helfen, wenn ich angegriffen werde? Wer sorgt für mein Fressen, wenn du nicht mehr da bist? Wer tröstet mich? Wer nimmt mich in den Arm, wenn ich traurig bin?« Aber Jimmy stirbt. Davor sagt noch: »Irgendwann wachst du auf, und die Sonne scheint, und ein anderes Nashorn kommt oder ein Zebra oder ein Nilpferd, und dann hast du einen neuen Freund.«

Eine persönliche, berührende Geschichte

Werner Holzwarth, der mit dem ›Maulwurf, der wissen will, wer ihm auf den Kopf gemacht hat‹ berühmt wurde, hat für seinen fünfjährigen Sohn Tim eine persönliche, berührende Geschichte von Freundschaft und Tod erzählt. Es gibt nicht viele gute Bilderbücher über Tod und Trauer: »Gehört das so??!« von Peter Schössow und ›Ente, Tod und Tulpe‹ von Wolf Erlbruch sind zwei herausragende Beispiele. Und auch Holzwarth gelingt es grandios, von diesem Tabuthema sanft und natürlich zu erzählen, ohne Sentimentalität, Pathos oder religiöse Verklärung: Freunde sterben, man trauert, und das Leben geht weiter. Und wie bei jeder guten Beerdigung gibt es eben auch Witziges zu erzählen, was die Trauer nicht leichter macht, aber auf eine eigene Art abrundet.

Mehrdad Zaeri hat diese Geschichte stimmungsvoll illustriert, mit einem gemütlich graubraunen Nashornkoloss und einem etwas aufgeregt flatternden, quietschbunten Hacki, die Savanne mit ihren großen Schirmakazien im Hintergrund. Die Geschichten, die die beiden erzählen – mit den Löwinnen und den Affen, den Ameisen und dem Großwildjäger – fängt Zaeri in Holzschnitte ein, wie eine Rückblende. Am Berührendsten sind die drei Bilder, die von Jimmys Tod erzählen: Da werden die Schatten länger und die Dunkelheit wird dichter, bis Jimmy fast mit der Schwärze verschmilzt, und Hacki allein und traurig in eine stürmisch düstere Welt fliegt.

Eine wunderschöne, realistische und anrührende Geschichte und für mich jetzt schon eines der schönsten Bilderbücher des Jahres. Der letzte Clou sind die beiden Zeichnungen, die der kleine Tim Holzwarth spontan dazu gemalt hat: das auf dem Vorsatzblatt könnte glatt von Joseph Beuys sein.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Werner Holzwarth: Mein Jimmy
Illustriert von Mehrdad Zaeri
München: Tulipan Verlag 2019
40 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vom Ausguck

Nächster Artikel

Vorzimmer zum Sarg

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Andere Welt – gleiche Probleme

Kinderbuch | Constanze Spengler: Die Hexe, die sich im Dunkeln fürchtete Man glaubt ja immer, dass die, die zaubern können, ein paar Sorgen und Probleme weniger haben als die, bei denen Magie kein bisschen wirkt. Sieht man genauer hin, ist das Leben einer Hexe aber gar nicht so verschieden von unserem. Weil die Hexe nämlich, abgesehen davon, dass sie hexen kann, genauso fühlt wie Menschen auch. Besonders schlimm fühlt sie sich, wenn es dunkel wird. Aber wer etwas auf sich hält, findet sich nicht mit der Angst ab. Constanze Spengler hat mit Die Hexe, die sich im Dunklen fürchtete, ein

Auf der Suche nach dem roten Sonnenschirm

Kinderbuch | Susanna Mattiangeli: Ein Strandtag

Sommer, Sonne: ab ans Meer. Ein kleines Mädchen lässt sich kein Detail von diesem herrlichen Strandtag entgehen. Von ANDREA WANNER

Ein Maß für die Zeit

Kinderbuch | Sigrid Eyb-Green: Die Sonnenschaukel Vier Zwerginnen sind jedes Jahr zu Gast im Garten. Eine besondere Begegnung mit Frau Morgenzwerg, der grünen Frau, Frau Westen und Frau Knochenbein. ANDREA WANNER folgte ihren Spuren.

Willkommen im neuen Jahr

Kinderbuch | Daniela Kulot: Reim dich durch den Januar und den Rest vom ganzen Jahr Irgendwann haben wir es gelernt: die Monate, die Jahreszeiten, die einander folgen. Später haben wir sogar gelernt, warum das so ist. Und warum es auf der Südhalbkugel andersrum funktioniert. Aber jetzt fangen wir noch mal ganz von vorne an und freuen uns an dem stabilen Pappbilderbuch für die Kleinsten, wo in fröhlichen Versen alles erklärt wird. Von ANDREA WANNER

Gruseln garantiert

Kinderbuch | Julia Kahrs: Sturm überm Winkelhaus

Ein windschiefes altes Haus, das ewig leer stand und in das keiner einziehen wollte, wird das neue Zuhause von Sam, ihren beiden älteren Brüdern Gabriel und Fleming und ihrer Mutter. Gørja ist auf den ersten Blick eine ganz normale kleine Stadt, auf den zweiten Blick gibt es dort jede Menge Geheimnisse und ungelöste Rätsel. Das wäre eine superspannende Sache, gäbe es da nicht einen schrecklichen Verdacht. Von ANDREA WANNER