Lesehäppchen für zwischendurch

Kurzprosa | Heinz Strunk: Das Teemännchen

Es ist der ganz normale Alltagswahnsinn, den Heinz Strunk in seinem Buch Das Teemännchen mit 50 Geschichten festhält, kurze Begebenheiten, Momentaufnahmen. Und: es sind Geschichten für jede Lebenslage und jede Laune. Von BARBARA WEGMANN

Stellen Sie sich einen Karton mit 50 Petit Fours vor. Durchaus überschaubar, da ja so klein und: schmackhaft. So ist auch dieses Buch, ausgefallen: 50 Geschichten, davon einige nicht mal eine halbe Seite lang. Eine Fülle an Szenen, Begebenheiten, an Menschen und Vorkommnissen.

Und alle Geschichten berühren irgendwie, so, wie die tiefe Krise eines Paares, das im Auto sitzt und nur knapp einem tödlichen Unglück entgeht: »Mit beiden Händen greift sie ins Steuer und reißt den Wagen nach links vor einen Laster, der gerade zum Überholen ansetzt. Sie will, dass ihr Wagen von dem Dreißigtonner überrollt, zermalmt, auf die Größe eines Schuhkartons zusammengequetscht wird.« Menschen, die unglücklich, am Ende sind, verzweifelt, an Grenzen stoßen.

Es sind Geschichten, die das Innerste von Menschen zutage bringen, es sind Menschen, die irgendwie, na, sagen wir, ein kleines Problem haben, eine Macke, durchaus auch liebenswert, manchmal aber auch ganz schön gestört, so, wie die Frau im Supermarkt. Sie beobachtet einen Mann, der sich nicht entscheiden kann, welche Nasigoreng-Sorte er nehmen soll. Bis sie ihn völlig unvermittelt anschreit: »Ich weiß selbst, dass mit meiner Nase was nicht stimmt.« Man weiß nicht so genau, soll man lachen oder weinen, oder beides?

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk schöpft aus dem vollen Gefühlstopf, schildert deutlich, beobachtet minutiös und scharf, nimmt kein Blatt vor den Mund, es ist als sprudele das Geschehen aus ihm heraus. Passend dazu die meist kurz angebundene Erzählweise, plakativ, kurze Sätze, manchmal Satzfetzen, wie Lautmalerei, man meint, die Geräusche oder Dialoge zwischen den Zeilen hören zu können.

Ein sehr unterhaltsamer kleiner Band mit abwechslungsreichen Geschehnissen, die irrwitzig sind, aber auch durchaus zum Nachdenken anregen, die kurz sind, aber lange nachhallen, Beobachtungen, die auch dem Leser nach der Lektüre Augen und Ohren schärfen für den Alltag, denn irgendwie stammen ja alle Figuren Strunks aus dem wahren Leben, der ganz normale Wahnsinn also. Ein bestens geeignetes Buch für unterwegs, für zwischendurch und ab und zu.

| Barbara Wegmann

Titelangaben
Heinz Strunk: Das Teemännchen
Reinbek: Rowohlt 2019
208 Seiten, 20.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Es begab sich aber zu der Zeit …

Nächster Artikel

Frühe Impressionisten: ›Die Freiheit der Malerei‹

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Brunetti – ein interessanter Mann

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Donna Leon am 28. September

Es gibt literarische Figuren, die bekannter sind als ihre Schöpfer. Das gilt für Georges Simenons Kommissar Maigret, für Agatha Christies Miss Marple und ganz sicher auch für Donna Leons Romanprotagonisten Guido Brunetti. Im Frühjahr ist der 31. Roman mit dem eigenbrötlerischen Kriminalkommissar aus Venedig seit 1992 erschienen, und viele von ihnen standen (auch dank der Verfilmungen) lange auf den Bestsellerlisten. Pünktlich zum Geburtstag hat der Diogenes Verlag den Band ›Ein Leben in Geschichten‹ vorgelegt. Von PETER MOHR

Zwei feine Herren unter sich

Roman | Martin Suter: Allmen und Herr Weynfeldt

Zum siebten Mal seit 2011 lässt Martin Suter in Allmen und Herr Weynfeldt seinen kultivierten Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen nach verschwundenen Werken suchen. Diesmal ist es ein umstrittener Picasso, der über Nacht aus dem Besitz des renommierten Kenners Adrian Weynfeldt verschwunden ist. Und ob das Bild mit dem schönen Titel Baigneuses au ballon 4 nun ein echter Picasso ist oder nicht – irgendjemand scheint zu glauben, damit das große Geschäft machen zu können. Von DIETMAR JACOBSEN

Die Würfel sind gefallen

Roman | Sascha Macht: Spyderling

Brettspiele haben in den letzten Jahren einen wahren Boom erlebt, nicht nur pandemiebedingt. Doch welche Menschen stecken hinter einem Spiel, als Autoren, Erfinder, Entwickler, Gestalter? Selten fand das Metier einen literarischen Niederschlag. Bis nun Sascha Machts Spyderling auf den Plan tritt und mit den Mitteln der puren Imagination ein unheilschwangeres, vernichtendes, boshaftes Netzwerk spinnt. Von INGEBORG JAISER

Vielstimmige Collage

Roman | Kathrin Röggla: Laufendes Verfahren

»Wir werden die sein, die man nicht wirklich wahrnimmt im Gericht, aber von denen man weiß, dass sie da sein müssen. Die Neugierigen und scheinbar Unbeteiligten, die, die erst mal auf keiner Seite stehen, sondern dem Handwerk des Richters zusehen wollen, dem Funktionieren der Maschine, die historisch und zeitgeschichtlich Erschreckten, die Aufgeschreckten, dass so eine Mord- und Terrorserie in Deutschland möglich sein kann. Wir werden die sein, die sich wundern«, lässt die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla einen Chor aus unterschiedlichsten Stimmen zu Beginn ihres collageartigen Romans über den NSU-Prozess sagen. Von PETER MOHR

Beton, Biker und ein Psychopath

Roman | Scott Thornley: Der gute Cop
Detective Superintendent Iain MacNeice genießt den Ruf, der beste Cop der Mordkommission von Dundurn zu sein. Der Witwer und passionierte Grappa-Trinker ist einfühlsam, unkonventionell in der Wahl seiner Methoden und immer ein kleines Stückchen schneller als seine Mitarbeiter, wenn es gilt, Schlüsse zu ziehen. Als zwei rivalisierende Biker-Gangs einen blutigen Krieg anfangen, sechs Leichen aus dem Hafenbecken der fiktiven, am Ontariosee gelegenen kanadischen Stadt geborgen werden und obendrein ein perverser Frauenmörder damit beginnt, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen, ist das aber auch für MacNeice fast zu viel. Doch zum Glück muss er ja nicht allein gegen das Verbrechen antreten. Von DIETMAR JACOBSEN