Der niederländische Comic-Künstler Erik Kriek hat mit ›Die Grube‹ ein neues Werk vorgelegt, mit der er ins Horrorfach zurückkehrt. Der Band ist jüngst auf Deutsch im Avant-Verlag erschienen, steckt tief im psychologischen Grauen der Kingschen Schule, spielt gekonnt mit seinen Genre-Mechanismen – und ist schaurig schön. Von CHRISTIAN NEUBERT
Zunächst: merkwürdige runenartige Bilder auf Bäumen, die Unheil à la Blair Witch verkünden. Dann: Ein Auto fährt durch einen Wald, gezeigt wird es von oben – was ebenfalls auf nichts Gutes verweist, evoziert es doch die Bilder der Anfangssequenzen von Michael Hanekes ›Funny Games‹ oder Stanley Kubricks King-Verfilmung ›The Shining‹. Und schon ist das Setting auf Horror gemünzt, nach gerade mal fünf Seiten: Willkommen in ›Die Grube‹, dem neuen Werk des niederländischen Comic-Künstlers Erik Kriek!
Der erste Eindruck täuscht nicht: Wenige Seiten später wird in einem Rückblick erzählt, wie ein Junge stirbt, nachdem er im Spiel von einem LKW überfahren wird – was man ebenfalls aus einer King-Verfilmung kennt, nämlich ›Pet Sematary‹.
Es ist das Ehepaar Gruber, das hier zu Beginn in den Wald fährt. Der Junge wiederum ist ihr Sohn. Um dessen Tod zu verarbeiten, zieht es sie raus aus der Stadt. Sie möchten das abgelegene Haus eines verstorbenen Onkels beziehen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen – gemeinsam. Was allerdings nur bedingt gelingt, sind ihre Gemütszustände und die Methoden ihrer Trauerbewältigung doch sehr verschieden.
Der Wald ist keine Lösung
Er, ein Architekt, flüchtet sich in die Renovierungsarbeiten, ist mitteilsam und sehr bemüht im Umgang mit seiner Frau – und dennoch blind bezüglich ihrer Ängste, Sorgen und Bedürfnisse. Ihr wiederum fällt es schwer, in den Alltag zurückzufinden und an die Zeit anzuknüpfen, in der sie als bildende Künstlerin international gefragt war. In ihr herrscht eine Leere, die der Umzug nicht füllen kann. Dann jedoch findet sie die alten Tagebücher des einstigen Hausherren – verwirrende Aufzeichnungen, die von einer Geisterwelt erzählen. Sie ist von ihnen gebannt, mehr noch als von der mit Wasser vollgelaufenen Grube, die ein umgestürzter Baum unweit des Hauses hinterließ.
Die Schriften inspirieren sie, sie will einen neuen Bilderzyklus beginnen. Ihrem Mann kommt das wie gerufen, kann er so doch ohne schlechtes Gewissen nach Dubai fliegen, um für einige Wochen die Fertigstellung eines Hochhauses zu begleiten. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf.
King lässt grüßen
Kriek legt mit ›Die Grube‹ nach ›Der Verbannte‹ seine zweite längere Comic-Erzählung vor. Dass er sich im Horror versteht, belegte er zuvor mit den Anthologien ›Von Jenseits‹, die auf den Spuren H.P. Lovecrafts wandelt, und ›In the Pines‹, die den Schauer einiger ›Murder Ballads‹ der nordamerikanischen Folk-Music-Tradition nachzeichnet. Nun entfesselt er psychologischen Horror Kingscher Schule, was die eingangs erwähnten Erzählsituationen schon erahnen lassen. Das Grauen bahnt sich hier seinen Weg aus den seelischen Abgründen seiner Protagonisten, leise und langsam. Gerade weil es sich aus dem Alltäglichen speist, ist es schwer greifbar, da schwer zu benennen. Vampire? Zombies? Fehlanzeige. Hier trägt der Mensch seine Antagonisten in sich. Wie soll man mit denen fertig werden, ohne sich selbst fertigzumachen?
Kriek versteht sich auf dieses Spiel mit der Psyche – und weiß es auch in Szene zu setzen. Sein Pinselstrich lässt gerade den Wald als entrückten, mythologischen Ort erscheinen, was die herbstlich anmutenden Farbnuancen seiner flächigen Kolorierung gekonnt unterstreicht. Rückblenden oder wahnhafte Passagen setzen sich farblich ab und fügen sich dadurch nahtlos in die geradlinige Erzählhandlung. Einzelne Gesichtsausdrücke deuten den Schrecken, der sich nach und nach entfesselt, auf effektvolle Weise an, ohne ihm jedoch vorauszueilen. Alles wirkt bedrohlich, ohne dass das Grauen konkret wird – zunächst. Und dann geht alles ganz schnell. Was ›Die Grube‹ insgesamt zu einer packenden Lektüre macht.
Titelangaben
Erik Kriek: Die Grube
Aus dem Niederländischen von Katgrin Herzberg
Berlin: Avant-Verlag 2024
132 Seiten, 26 Euro
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Interview mit Erik Kriek bei TITEL
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