Comics von Daniel Clowes sind immer ein Ereignis. Kein Wunder, dass der US-Künstler einen Szenepreis nach dem anderen absahnt. Auch MONICA, sein neuestes Werk, wurde prämiert: Als bestes Album, beim wohl bedeutendsten Comicfestival der Welt, dem ›Festival international de la bande dessinée d’Angoulême‹. CHRISTIAN NEUBERT hat sich den genreübergreifenden Band, der in deutscher Übersetzung bei Reprodukt erschien, angesehen.
»Monica« prangt es auf dem Vorsatzpapier, das eine vulkanisch brodelnde Urzeitlandschaft zeigt: Der gleichnamige Comic beginnt schon hier, auf dem aufgeschlagenen Buchdeckel. Schon vor den bibliographischen Angaben, die eine Art Weltgeschichte in Zeitraffer zeigen und dem Inhaltsverzeichnis, das augenscheinlich die Titel einer Kurzgeschichtensammlung präsentiert, in Wahrheit aber die Namen der einzelnen Kapitel auflistet.
Doch Vorsicht: Was ist schon Wahrheit? Wo findet man sie, in einer Welt der Heuchler, Esoteriker, Schwurbler und falschen Propheten? Etwa im »Schützenloch« inmitten des Vietnamkriegs, in das einen das erste Kapitel führt? Wo zwei US-Soldaten über das Leben sinnieren? Einer der beiden, Johnny, »will doch bloß ein ganz einfaches Leben: Penny heiraten, Kinder kriegen.« Penny allerdings, das erfahren wir im nächsten Kapitel, sucht derweil die Freiheit des »Flower Power« – mit allem, was dazugehört. Und schließlich mit dem, zu was das führen kann: Monica – ihre Tochter. Trotz Pille, Verhütungscreme und zweifelhafter Hippiekräuter.
Eines Tages, Monica ist etwa vier, fünf Jahre alt, bringt Penny ihre Tochter zu ihren Eltern, wodurch der Comic nun seine Blickrichtung ändert. Denn »von da an lebte ich ein normales, glückliches und behütetes Leben. Aber meine Mutter sah ich nie wieder.«
Alles auf Anfang
Was hier wie das Ende klingt, ist der Anfang von Monica als Protagonistin eines Comics, deren Erzählinstanz sie schon vorher war. Das mit dem normalen, glücklichen und behüteten Leben sollte indes nicht lange währen: Als junge Erwachsene verliert Monica ihre Großeltern, was sie gründlich aus der Bahn wirft. Sie wird zur Getriebenen, die Sinnhaftigkeit und Nestwärme finden möchte, indem sie den Geistern ihrer Vergangenheit nachspürt. Beim Entrümpeln ihres Hauses meint sie schließlich, über ein altes Radio mit ihrem Opa kommunizieren zu können. Ist sie verrückt geworden? Und wenn ja: wer und was noch?
Alles scheint irgendwie durchgedreht in ›Monica‹. Daniel Clowes bruchstückhaft-verworrene Biographie einer Hippie-Tochter erinnert insofern an seine frühen Werke ›David Boring‹ und ›Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln‹. Das Groteske, Unbehagliche, das den Band kennzeichnet, wird auch durch die mit klarer Linie gezeichneten Bilder genährt, die auf den ersten Blick aussehen, als stammten sie aus jahrzehntealten US-Comicheften. Denn immer wieder sind Gesichtszüge arg versteinert, Gesten übertrieben und die Kolorierungen merkwürdig beißend.
Unbehagen ohne Ende
Dass sich zwischen die Kapitel, die Monicas unstet-getriebenes Erwachsenenleben nachzeichnen, auch noch kurze Ausflüge ins Fantastische einfügen, unterstreicht den Eindruck des Bizarren. In welchem Zusammenhang stehen die Episoden, die beispielsweise von der Herrschaft blauhäutiger Wesen in einer Kleinstadt erzählen, zu Monica Biographie? Mit jener Zeit etwa, in der Monica, ihrer Mutter nachspürend, in die Fänge einer Sekte gerät?
Daniel Clowes hinterlässt viele Fragezeichen, weswegen ›Monica‹ zur wiederholten Lektüre drängt. Mit vollkommener Klarheit wird man dabei wohl nie belohnt werden – wir sind ja schließlich nicht in einer Sekte! Nein, scheint, der Comic sagen zu wollen: Dies ist immer noch Amerika. Das Land of the Free, wo Klarheit aktuell felsenfest behauptet wird und der Wahnsinn zügellos um sich zu greifen scheint.
Denn ja: ›Monica‹ lässt sich auf beklemmende Weise als Kommentar auf das aktuelle Weltgeschehen und die besondere Rolle der USA lesen. Wohin uns das wohl führt? Auf ein apokalyptisches Szenario, wie es auf den hinteren Umschlagsseiten des Comics zu sehen ist? Oder einfach nur in den Schützengraben, wie im ersten Kapitel? So oder so – und um es mit dem »Schützenloch«-Soldaten zu sagen: »Etwas Dunkles nähert sich, wie eine dicke schwarze Wolke.« Tja. Mal sehen, welches Donnerwetter uns erwartet.
Titelangaben
Daniel Clowes: Monica
Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland
Berlin: Reprodukt 2024
106 Seiten, 24 Euro
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