Was die Dandys für Kinshasa sind, sind die Sotramas für Bamako. Schrille, grellbunte, übermütige Selbstinszenierungen. Wild entschlossen trotzen sie Chaos, Armut und Staub und ziehen eine Spur des Lächelns durch die Straßen der malischen Hauptstadt. Die rollenden Dandys von Bamako sind private Mercedes-Kleinbusse für den öffentlichen Nahverkehr. Ihre Besitzer lassen sie von Busmalern zu exzentrischen Gesamtkunstwerken gestalten, voller Bilder und Botschaften, die Geschmack und Charakter der Chauffeure spiegeln und den Zeitgeist von Bamako. Das malische Foto-Kollektiv »Yamarou« hat dieses Kulturphänomen über ein Jahr lang für die Ausstellung ›Merci Maman. Straßenfotografie in Mali‹ porträtiert. Im Münchner ›Museum Fünf Kontinente‹ werden etwa 60 Arbeiten von fünf Mitgliedern der Gruppe präsentiert – atmosphärisch wie ein Marktplatz inszeniert und vom Rhythmus malischer Songs in Schwingung versetzt. Von SABINE MATTHES

SABINE MATTHES: Sie kamen 2012 das erste Mal nach Mali, der Norden war gerade von Dschihadisten besetzt. Bamako aber umarmte Sie friedlich und herzlich. Ein Bus mit einem riesigen aufgemalten Sylvester Stallone fuhr an Ihnen vorbei, fasziniert verfolgten Sie ihn mit dem Taxi … – die Initialzündung für die jetzige Ausstellung ›Merci Maman‹?
JONATHAN FISCHER: Nachdem meine Aufmerksamkeit einmal auf die fantastisch bemalten Sotramas gelenkt war, entdeckte ich immer neue Motive. Damals zierten noch François Hollande oder der gerade an die Macht geputschte Oberst Sanogo manche Busse. Neben Fußballern, Musikern, Cheikhs und Sängerinnen. Es kam mir vor, als würde auf den Straßen Bamakos eine rollende Zeitung an mir vorbeiziehen – und mir tausende Geschichten über die Vorlieben und Träume der Malier erzählen.

Bamako ist für Sie nicht nur ein Lebensgefühl, sondern »auch eine Bühne für Alltagskunst« – und die Sotramas, die bemalten Mercedes-Kleinbusse, das perfekte Symbol dafür. Wie kam es zu dieser speziellen Kulturgeschichte?
Laut Drissa Konaté, dem wohl bekanntesten Busmaler Bamakos, hat alles in den 90er-Jahren angefangen. Bis dahin waren die Sotrama-Mercedesbusse in der Regel einfarbig grün gestrichen. Nachdem er einen Friseursalon mit einem Porträt der New Yorker Rap-Ikone Notorious B.I.G. bemalt hatte, bekam er den Auftrag, die Mauern eines Freizeitparks zu gestalten. Die Bus-Chauffeure, die Konatés Murals passierten, wurden neugierig. Bald bekam er täglich bis zu drei Anrufe: Ob er nicht auch ihren Bus bemalen könne? Seitdem hat Drissa Konaté Hunderte von Sotramas etwa mit Adlern, dem Symbol der malischen Nationalmannschaft, oder großen Porträts von Bob Marley, Oumou Sangaré, Che Guevara bemalt. Allerdings ist diese Kultur der bemalten Busse gefährdet. In letzter Zeit lassen sich immer mehr Sotrama-Chauffeure bezahlen, um Werbung auf ihren Karosserien zu platzieren. Anzeigen für Erfrischungsgetränke, für Sprachschulen oder Waschmittel sind dort immer häufiger zu sehen …
Auf den Sotramas sind scheinbar widersprüchliche Motive friedlich vereint – das Schwert des Islam neben der amerikanischen Flagge, Gaddafi, Bob Marley, Rolling-Stones-Zunge und Putin. Drissa Konaté erklärt dazu: »Wir Malier leben eine Philosophie der Toleranz« – und die Bilder folgten einer Logik des eigenen Herzens. Das weiße Pferd gilt als Glücks- und Wohlstandssymbol; Leopard, Löwe und Adler als starke Tiere. Gaddafi als antikolonialer Freiheitsheld, der viel in die Infrastruktur Malis investiert hat und das Regierungsviertel erbauen ließ. Welche Motive sind Klassiker, welche ändern sich?
… zu den Klassikern gehören auf jeden Fall die großen Cheikhs, also muslimische Religionsführer Malis. Etwa der Cherif von Niono oder Cherif Ousmane Madani Haidara, die beide einen toleranten, am Sufismus orientierten Islam predigen. Andere Sotrama-Bemalungen reagieren auf das tagesaktuelle Geschehen: Seit den Militärputschen 2020 und 2021 lässt sich eine Welle des Patriotismus beobachten. Das Porträt des Putschistenführers und Interimspräsidenten Assimi Goita prangt auf vielen Bussen, ebenso wie das Emblem der malischen Armee oder das Konterfei von Putin, der nach dem erzwungenen Abzug der Franzosen als neuer Partner eingesprungen ist.
Der ivorische Popstar DJ Arafat ist ein beliebtes Motiv. Gibt es, wie in Südafrika, Solidarität mit Gaza und Palästina-Flaggen? Warum ist neben der amerikanischen Fahne die deutsche beliebt, ebenso deutsche Logos und der Adler?
Gaza, Palästina, der aktuelle Krieg zwischen Israel und Iran ist für die Malier weit weg. Es gibt so viele Probleme in der unmittelbaren Umgebung zu lösen: ständige Stromausfälle, gestiegene Lebensmittelpreise, die allgegenwärtige Korruption und nicht zuletzt der Bürgerkrieg. Seit 2012 haben Separatisten, aber auch militante Islamisten, einen Großteil des malischen Territoriums besetzt – der Konflikt, der auch durch Feindseligkeiten zwischen ethnischen Gruppen befeuert wird, kostet täglich viele Hundert Leben.
Was die Fahnen betrifft: Sie drücken Sympathien und Bewunderung aus – und das kann für uns auch widersprüchlich anmuten, etwa wenn ein und derselbe Bus vorne einen Russlandwimpel und hinten Stars and Stripes oder auch den Union Jack trägt. Aber nach malischer Alltagsphilosophie darf alles nebeneinander existieren. Vor meinem Haus fährt täglich ein Bus vorbei, der Che Guevara mit dem Abbild eines islamischen Cheikhs kombiniert, ein anderer zeigt die Comicfiguren Tom und Jerry neben einer deutschen Flagge. Die Deutschlandfarben sind auf jeden Fall sehr beliebt: Deutschland steht hier für die Marke Mercedes, für großen Fußball, für Qualitätsdamast und für freundschaftliche Beziehungen – immerhin war Deutschland das erste Land, das Mali nach seiner Unabhängigkeit 1960 anerkannte.
Was bedeutet »Merci Maman« und Sinnsprüche wie »Limaniya«?
Merci Maman, oder auch Merci grand frère, Merci tonton gehören zu den häufigsten Sotrama-Aufschriften. Sie bedanken sich bei denjenigen, die geholfen haben, den Bus zu finanzieren, aber auch bei jenen, die einen generell im Leben unterstützt haben.
Auch Limaniya lese ich sehr oft: Das Wort bedeutet auf Bamana so viel wie »Gleichmut«, »Gelassenheit« – was gerade angesichts der widrigen Umstände des Alltags in Bamako eine sehr malische Charaktereigenschaft bezeichnet. Niemand hier regt sich auf, schimpft oder starrt säuerlich vor sich hin, wenn es einen Stau, eine Panne oder einen Zwischenfall gibt. Vielmehr wird alles als Anlass für Witzeleien und gut gelaunte verbale Schlagabtausche hergenommen …
… ein vergnügtes Gemeinschaftsgefühl unter Wildfremden herrscht auch in den Sotramas, als wären es rollende Cafeterias – kein eisiges Schweigen versteinerter Minen wie in unserer U-Bahn. Und wie unterscheidet sich das Kunstverständnis in Mali von unserem? Gibt es statt elitärer Kunst in Galerien und Museen eher Street Art, Performance, Alltagskunst?
… die meisten Malier haben weder Zugang zu Museen (es gibt einige in Bamako, aber ein Museumsbesuch gehört nicht zur traditionellen Kultur) noch zu Galerien oder Kunstausstellungen. Dafür ist Kunst im Alltag und auf den Straßen allgegenwärtig – ohne dass die Menschen das so nennen würden. Etwa in Form der Murals und Sotrama-Bemalungen, den raffinierten Kreationen der heimischen Schneider, den Marionettentheatern und überlebensgroßen Puppen, die anlässlich besonderer Zeremonien durch die Straßen paradieren.
Besonders schrill wirken die Koredugaw – das sind Geheimbünde der Älteren, die sich mit Taucherbrillen, Kasperlmützen, Trommeln und Holzpferden wie heilige Narren aufführen. Sie werden oft als Streitschlichter und Friedensstifter gerufen. Durch das bewusste Übertreten aller Normen schaffen sie Platz, um Konflikte auf humorvolle Art zu lösen.

… wie gelebte Pop Art, Surrealismus und absurdes Theater – Andy Warhol und Fernando Arrabal wären begeistert. Wie sieht die Situation malischer Kunstschaffender aus? Der Busmaler Drissa Konaté war schon als Kind vom Malen besessen, musste seine Leidenschaft aber mit viel rebellischer Kraft gegen sein traditionelles islamisches Elternhaus durchboxen. Wie verlief sein künstlerischer Werdegang?
… Drissa Konaté hatte es nicht leicht. Als Kind träumte er sehr lebhaft und versuchte dann tagsüber, das Gesehene mit Kohlestückchen und später mit Stiften festzuhalten. Später ließen sich seine Mitschüler auf der Madrassa oder Koranschule heimlich von ihm porträtieren – denn offiziell galt das Zeichnen und Malen von menschlichen Gesichtern als religiöses Tabu. Sie sagten: »Nur Gott dürfe das Leben erschaffen, und ich solle mich nicht als Künstler an seine Stelle setzen.« So erzählt es Konaté. Er wurde dann auch aus seiner streng religiösen Familie wegen seiner Malleidenschaft verstoßen. Was ihn nicht hinderte, Tag und Nacht an neuen künstlerischen Werken zu arbeiten. Als er schon einen Namen als Maler hatte, fiel er politisch in Ungnade: Er hatte eine Karikatur des damaligen Präsidenten ATT als Fußballspieler angefertigt, in der dieser seinem Gegenspieler IBK die Rote Karte zeigt. Der Präsidentensohn war von dem Bild erzürnt. Und Konaté musste sich ein halbes Jahr lang vor dem Zugriff der Polizei verstecken – eine Zeit, in der es niemand wagte, ihm Aufträge für Murals oder Sotramas zu geben. Die Erlösung kam mit einem Anruf der Präsidentencousine: Er solle doch bitte im Auftrag des Umweltministeriums überall in der Stadt große Wandgemälde für Abfallvermeidung und Recycling anfertigen …
Auch Seydou Camara, der aus einer Familie von Juristen kommt, musste erst seine Eltern austricksen, ehe er sich als Fotograf verwirklichen konnte. Das 2015 von ihm gegründete Foto-Kollektiv ›Yamarou‹ sieht Fotografie als Medium für gesellschaftlichen Wandel. Ähnlich wie der ›Kamoinge Workshop‹ – ein Kollektiv schwarzer Fotografen, das sich 1963 in New York gegründet hatte, sich als Teil einer globalen panafrikanischen Bewegung sah und Fotografie als emanzipatorisches Mittel nutzte, um Selbstbewusstsein und ein positives Schwarzes Image zu fördern. Wer sind die Yamaristen, welche Visionen verfolgen sie?
Der Name Yamarou bedeutet: Einer, der täglich Neues schafft. Er ist dem jüngeren Bruder von Soundiata Keita, dem Begründer des malischen Imperiums, entlehnt. Dieser Königsbruder interessierte sich nicht so sehr für Politik, sondern für die schönen Künste und die Musik. Er soll zahlreiche Musikinstrumente und Tänze erfunden haben. Ähnlich wollen die Yamaristen die Fotografie als Mittel suchen, um auf künstlerische Weise die Identität Malis und der Malier zu verhandeln. Yamarou sieht sich nicht nur als Selbsthilfegruppe von Fotografen. Das Kollektiv veranstaltet regelmäßig Workshops für Frauen, Kinder, Jugendliche – um sie für die Kunst der Fotografie zu begeistern.
Bamako gilt als afrikanische Hauptstadt der Fotografie. Klassische malische Porträtfotografen wie Seydou Keita und Malick Sidibé begründeten den Ruhm. Aber es waren Europäer, die deren Bilder zur Kunst erhoben und 1994 die Fotografie-Biennale in Bamako initiierten. Wie unterscheidet sich die zeitgenössische Fotografie der Yamaristen von der traditionellen?
»Wie wollen wir uns selbst sehen? Und wie wollen wir von den anderen gesehen werden?« Das sind die wesentlichen Fragen, die das von Seydou Camara gegründete Fotografenkollektiv immer wieder stellt. Es geht ihnen um mehr als nur technische oder ästhetische Fragen. Sie versuchen über die Fotografie vielmehr auch ethische und soziale Themen anzuschneiden, diskutieren, wie Malier sich im Sinne der Gemeinschaft in das öffentliche Leben einbringen können. Das zeigt sich auch an der Sotrama-Ausstellung: Die bemalten Busse sind der künstlerische Schlüssel, um Geschichten über das tolerante Miteinander, die Kunst des Zuhörens und der Konfliktregelung in einer afrikanischen Metropole wie Bamako zu erzählen.

Sie sind auch von der emanzipatorischen Kraft und dem literarischen Drama des Boxens fasziniert. Miles Davis soll durch Boxen seine Heroinsucht besiegt haben. Der Film ›Lionhearted‹ erzählt vom Toleranztraining des mit Ihnen befreundeten einstigen Weltklasseboxers Ali Cukur mit Jugendlichen in München und Ghana. Sie haben – neben vielen anderen Kompilationen Schwarzer Musik – die CD ›Hits And Misses‹ herausgebracht, die mit zwei Dutzend Songs Muhammad Ali huldigt. Welche Helden sollten Ihren eigenen Sotrama schmücken?
»Boxen ist nicht ein Abbild des Lebens. Sondern das Leben ein Abbild der Boxkunst.« So hat es einmal die Schriftstellerin Joyce Carol Oates formuliert. Tatsächlich hat mir meine jahrzehntelange Faszination für das Boxen und das eigene Boxtraining in Afrika sehr geholfen: nicht im Sinne von Kampf, sondern um Kontakthemmungen zu überwinden, Menschen direkt anzusprechen, sich zu riskieren. Gerade erst hat mir der Busmaler Drissa Konaté ein Geschenk gemacht. Er hat einen Bus mit einem von mir sehr verehrten jamaikanischen Boxer und (hier viel bekannter) Reggae-Sänger bemalt: Toots Hibberts. Seitdem reist ein Albumcover, das mich seit meiner Jugend begleitet, auf der Rückwand eines Sotrama durch die Straßen Bamakos.
| SABINE MATTHES
| Titelfoto: Der Musiker Iba One ist einer der populärsten Rapper Malis. Bamako, Mali, 2024, Fotografie © Seydou Camara
Titelangaben
Merci Maman. Straßenfotografie in Mali
Museum Fünf Kontinente, München
Bis 16.11.2025
Begleitprogramm und reich bebildertes Booklet mit Texten von Jonathan Fischer