Austellung | GIACOMETTI-NAUMAN – Schirn Kunsthalle Frankfurt
Zwei Künstler aus zwei verschiedenen Generationen und Kulturkreisen, die unterschiedlicher nicht sein können: Eine umfassende Schau mit rund 70 Werken zeigt überraschende und bislang nicht gesehene Verbindungen im Werk von Alberto Giacometti (1901–1966) und Bruce Nauman (*1941). PETRA KAMMANN hat die Doppelschau in der Kunsthalle Schirn besucht.

Vielleicht hat der irische Autor Beckett mit seinem minimalistischen Godot-Stück sowohl Pate für die langen, schlanken raumgreifenden Skulpturen des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti gestanden für als auch für die streng auf Wiederholung bedachte körperbetonte Konzept- und Performancekunst des US-Amerikaners Bruce Nauman.
Was die beiden in ihren Ausprägungen nicht nur generationsmäßig so unterschiedlichen Künstler, die immerhin 40 Jahre voneinander trennen, in der Doppel-Schau der Frankfurter Schirn dann aber doch miteinander verbindet, scheint die Sisyphos-Arbeit in der Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper, dem Raum, der Leere und dem Scheitern als ständiger Inspirationsquelle zu sein. Etwas auf den ersten Anschein ebenfalls Absurdes.

In diesem frühen Videotape ›Slow Angle Walk‹ bewegt sich der Darsteller, Nauman selbst, mit gestreckten Beinen kreuz und quer durch sein Atelier, ohne sich um die Logik der geraden Linie zu kümmern, während der menschliche Körper dabei von der auf der Seite liegenden Kamera als »Instrument des Bewusstseins« aufgenommen wird. Dieser Vorgang jedenfalls kommt der Beschreibung in Becketts Text ›Molloy‹ nahe, in welchem der Protagonist mit steifen Beinen vorwärts stolpert. Beckett nutzt den Akt des Gehens, um einen bewegten Stillstand, in dem der Leser Zeuge seines körperlichen und geistigen Verfalls wird, in Szene zu setzen. Nauman greift das ziellose Hin- und Hergehen wie das endlose Abschreiten der immer gleichen Wegstrecke auf. Jedenfalls korrespondiert die rhythmische Struktur der Schritte mit der repetitiv-monotonen Struktur der Handlung bei Beckett.

Obwohl die beiden so bekannten und gut erforschten Künstler, welche in ihrer Zeit die Bildhauerei revolutioniert haben, einander nie begegnet sind und sich auch nie explizit aufeinander bezogen haben, treten zentrale Werke auf diese Weise sowohl räumlich als auch inhaltlich in ein Zwiegespräch ein, sodass dem Werk des jeweils Anderen dabei auch neue Seiten abgerungen werden können. Unabhängig davon kann der Betrachter auch bestens das jeweilige – bisweilen durchaus irritierende – Einzelwerk auf sich wirken und sich zu neuer Wahrnehmung verleiten lassen wie bei den zu Miniaturen höchst differenziert verkleinerten Figuren der späten 1930er und frühen 1940er Jahre Giacomettis, wo die Lebensgröße der Menschen als Referenz wegfällt, oder in der Beschäftigung mit dem nackten ungeschützten Körper bei Nauman, die einem oft brutal nahekommt. Ein andermal wird der leere Raum als sichtbare Dimension spürbar wie in Giacomettis ›La Cage‹ oder Naumans ›Shelf Sinking into the Wall with Copper-Painted Casts oft he Spaces Underneath‹.

Die Ausstellung beginnt mit einer Gegenüberstellung zweier Frühwerke, die fast noch ungeschlacht wirken. Alberto Giacomettis ›Objet invisible (Mains tenant le vide)‹ von 1934/35 aus der Fondation Marguerite et Aimé Maeght im südfranzösischen Saint-Paul und ihm gegenüber Bruce Naumans stark blendendes ›Lighted Center Piece‹ von 1967. In beiden Werken ist aber schon das Phänomen des Unsichtbaren, der Leere, angelegt – ein Thema, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Um das Fragmentarische des Körpers wie Nase, Hand, Kopf oder um ein überdimensioniertes Bein, geht es dann im letzten Saal der Frankfurter Schau. Giacometti, der von seinem Rückzug in die Schweiz wieder in das zum Teil zerstörte Paris zurückgekehrt war, zeigt den entfremdeten Menschen nach den Katastrophen des Zweiten Weltkriegs.

Während Giacometti als Vertreter der klassischen Moderne sein eigenes, originäres, weil anders proportioniertes Menschenbild entwirft, kreisen die Werke Naumans in seiner Performancekunst um die Aggressivität des Körpers. Da drückt er zum Beispiel drastisch seinen ausgestreckten Zeigefinger gewaltsam und unerbittlich in Auge und Nase oder bohrt ihn ins Ohr.
Beider Künstler Werke, die insgesamt rund 70 großartigen Exponate, handeln von der conditio humana, den Bedingungen des Menschseins, in einer unbehausten Welt. In ihren jeweiligen Ausdrucksformen war der eine so radikal wie der andere. In Naumans ›Corridor with Mirror and White Lights‹ von 1971 schließlich, einem Gang, der so schmal ist, dass man ihn nicht betreten kann, weil man Klaustrophobie empfindet, mag der Betrachter sich selbst, so Esther Schlicht im Katalog, »als fadendünne Giacometti-Figur imaginieren«. Ein fadenscheiniges Argument? Das Urteil mag sich jeder selbst bilden, der sich auf diese Art von Raumerfahrung einlässt.
| PETRA KAMMANN
Titelangaben
GIACOMETTI-NAUMAN
Schirn Kunsthalle Frankfurt
28. Oktober 2016 bis 22. Januar 2017
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