Ausstellung | Hamburger Kunsthalle: Der andere Janssen
Um den genialischen und leicht verlotterten Zeichner Horst Janssen ist in gewissen Hamburger Kreisen geradezu eine Art Kult getrieben worden. Den wenigsten dürfte dabei bewusst gewesen sein, dass es in der Hansestadt einen anderen Janssen gegeben hatte, der von der Kunstgeschichtsschreibung längst sanktioniert worden war und dessen ungewöhnliches Selbstbildnis ein Glanzstück der örtlichen Kunsthalle ist. Diese Selbstdarstellung von Victor Emil Janssen (1807-1845) ist denn auch nicht zufällig für den Umschlag des voluminösen Katalogs zur Ausstellung ›Hamburger Schule‹ gewählt worden, er ziert auch das Plakat der Schau und ist ein Leitbild der ganzen Unternehmung. Von PETER ENGEL
Der Janssen des 19. Jahrhunderts, dessen um 1828 entstandenes Selbstporträt überhaupt das am häufigsten für andere Ausstellungen entliehene Bild der Hamburger Kunsthalle ist, hat nur ein vergleichsweise schmales Werk hinterlassen, diente wegen seiner eigentümlichen Schönheit mehreren Malerfreunden als Modell, war aber eine eher unglückliche, fast tragische Gestalt.
Sein Selbstporträts, zweifellos sein bedeutendstes Werk, ist lange berätselt worden und wegen seiner angeblichen »Kränklichkeit« mit Hohlkreuz und vorgewölbtem Unterleib als ein prophetisches Bild für seine zum Tode führende Knochenerkrankung angesehen worden, eine weitgehend widerlegte Legende.
Dieser Maler soll jetzt zusammen mit etlichen anderen Hanseaten aus dem 19. Jahrhundert, darunter Philipp Otto Runge, Louis Gurlitt, Hermann Kauffmann oder Christian Morgenstern, Vertreter einer angeblichen ›Hamburger Schule‹ sein, wenn es nach den Initiatoren der entsprechenden Ausstellung geht. Einige dieser Maler waren in der Tat miteinander befreundet, sie bildeten an der Münchner Kunstakademie, wo die meisten von ihnen studierten, eine Art Hamburger Künstlerkolonie und bedienten sich des Plattdeutschen, um sich von ihren süddeutschen Kollegen zu unterscheiden. Und als sich später viele in Italien wiederfanden, bildeten sie in Rom einen Zirkel hanseatischer Maler und unterstützten sich gegenseitig.
Solch ein landsmannschaftlicher Zusammenhalt und Austausch war zu jener Zeit eher ungewöhnlich und mutet sympathisch an, aber allein darauf lässt sich keine »Schule« gründen, wenn an einem Ort eine regelrechte Kunsthochschule fehlt, wie es in Hamburg eben im 19. Jahrhundert durchgehend der Fall war. Nur auf ein solches Ausbildungsinstitut geht eine Schule zurück, etwa die Münchner oder die Düsseldorfer, wenn eben herausragende Maler als inspirierende Lehrer tätig sind und eine Schule mit relativ einheitlichen Stilmerkmalen bilden.
Davon kann in der Stadt an der Elbe auch deshalb nicht die Rede sein, weil keiner der jetzt neu für die angebliche ›Hamburger Schule‹ reklamierten Maler selbst Schüler gehabt hat und als solcher seine künstlerischen Erfahrungen und Ansichten weitergegeben hätte.
Trotzdem ist es natürlich sinnvoll und gut, die Leistungen Hamburger Maler des 19. Jahrhunderts in breiter Formation dem Publikum einmal wieder vor Augen zu stellen, denn frühere Kunsthallenleiter hatten diesen Teil der Sammlungen eher unterdrückt, und in den 1990er Jahren verschwand die vorherige Abteilung ›Hamburger Malerei‹ in Gänze aus der Dauerpräsentation. Demgegenüber ist es durchaus verdienstvoll, auf Künstler wie Jacob und Martin Gensler, Carl Julius Milde, Julius Oldach, Valentin Ruths, Erwin Speckter, Adolf Friedrich Vollmer und Friedrich Wasmann neu hinzuweisen, um nur die begabteren aufzuführen.
All diese Namen haben in Hamburg einen guten Klang, sind aber darüber hinaus nur Spezialisten bekannt. Ihre Landschaften, die sie in den skandinavischen Ländern oder vor allem bei ihren Italienaufenthalten malten und als Motive mit nach Hamburg zurückbrachten, können sich durch die Bank sehen lassen und müssen den Vergleich mit ihren Kollegen in anderen deutschen Landen durchweg nicht scheuen. Die meisten waren auch achtbare Zeichner, wovon etliche Arbeiten in der Ausstellung Zeugnis ablegen, einige porträtierten sich auch eindrucksvoll gegenseitig.Der all diese Maler überragende Künstler ist aber der Romantiker Philipp Otto Runge (1777-1810), der bekanntlich gar kein Hamburger war, sondern in Wolgast geboren wurde und – mit Unterbrechungen – nur zehn Jahre in der Stadt an der Elbe lebte. Aber dort entstand sein reifes Werk, das ihn über seine Kollegen in der Stadt weit hinaushebt und ihm letztlich internationalen Rang verschaffte. Auch ihn für eine ›Hamburger Schule‹ in Anspruch zu nehmen, wie es mit mehreren gezeigten Werken geschieht, darunter dem wunderbaren ›Selbstbildnis im blauen Rock‹ und der ersten Fassung des Programmbildes ›Der Morgen‹, ist ein völliger Missgriff.
Es handelt sich bei dieser Ausstellung, die eine Neuentdeckung sein will, im Kern um ein Konstrukt und den durchsichtigen Versuch, Hamburg als Kunststadt – rückwirkend ins 19. Jahrhundert hinein – einen breiteren Sockel zu verschaffen. Aber der ist nicht tragfähig, denn wo es keine herausragenden Maler als vorbildliche Lehrer in einer Akademie gibt – und das war seinerzeit in der Hansestadt eben nicht der Fall –, da kann man auch von keiner Schule im eigentlichen Sinne sprechen.
Titelangaben
Hamburger Schule – Das 19. Jahrhundert neu entdeckt
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg
Bis zum 14. Juli 2019 – Zu der Ausstellung ist ein Katalog erschienen
Petersberg, Michael Imhof Verlag 2019
496 Seiten, 29 Euro
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