Gesellschaft | Ulrich Teusch: Der Krieg vor dem Krieg
Uns wird nach Kräften Honig ums Maul geschmiert, so intensiv, dass wir argwöhnen müssen, sie hätten uns am liebsten mit Honig im Kopf, das vorherrschende Empfinden ist die eigene Ohnmacht. Wirklichkeit ist anders, als sie uns in flimmernd bunten Bildern entgegentritt. Für das zahlende Publikum wird eine flächendeckende Begriffsverwirrung in Szene gesetzt. Von WOLF SENFF
Allein was das Wort ›Propaganda‹ angeht – heimlich, still und leise wurde es aus dem Alltag heraus expediert, in den Medien wird es höchst selten verwendet, und das selbstredend nur, sofern es um »die« Russen geht oder besser gleich um Putin oder um »die« Chinesen und eine neue globale Frontstellung insinuiert wird. Dabei ist es gar nicht so lange her, dass in deutschen Schulen noch neutral über propagandistische Redeweise und manipulative Nachrichtengestaltung unterrichtet wurde oder gar ›Tagesschau‹ und ›heute‹ auf ihren politischen Standort geprüft. Die Welt wird so rasant umgestülpt, dass unser Verständnis oft hinterherhinkt und darüber hinaus der Eindruck entsteht, es sei von vornherein die heimliche Absicht gewesen, Verwirrung zu stiften.
Vom Reden, vom Schweigen
Dass sich unsere Begriffe wieder schärfen können, dazu leistet Ulrich Teusch einen wertvollen Beitrag. Anhand diverser Beispiele beschreibt er eine stromlinienförmig geschliffene Medienwelt, eine Homogenisierung der Berichterstattung, deren Spielraum von ökonomischen Eliten und deren Interessengruppen definiert ist.
Das hört sich wie eine radikale These an und wird von den Medien selbst flugs als Verschwörungstheorie diffamiert oder, alternativ, sie lassen die Aufregung abklingen und machen seelenruhig weiter, als ob gar nichts geschehen wäre. Lammfromm sozusagen. Im Schafspelz. Reden, das weiß doch jeder, ist Silber, Schweigen ist Gold.
Russophobia
Nur dass das nicht mehr in jedem Fall verfängt beim lästigen Wahlvolk. Laut einer repräsentativen Umfrage 2018 sind vierundsiebzig Prozent der US-Amerikaner sicher oder nehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass auf nationaler Ebene ein Apparat existiert, der als Staat im Staat funktioniert, die Inhalte der Politik setzt und zurecht »Deep State« genannt wird.
Beispiel hier: Wer weiß, wie heftig in den USA durch eine imperiale Denkkultur und einen Neo-McCarthyismus eine Anti-Russland-Kampagne inszeniert wird, der wird erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass weniger als ein Prozent der US-Bürger in der Russland-Frage überhaupt ein drängendes Problem sehen. Darin, dass die Bürger sich in dieser Frage nicht über den Tisch ziehen lassen, sieht Ulrich Teusch eine Schwächung der Position der herrschenden Eliten.
Konfliktaffine Eliten
Das dürfte jedoch von allzu viel Zuversicht geprägt sein, denn Teusch selbst verweist auf die Diagnose eines »Inverted Totalitarianism« von Sheldon Wolin, einem der bedeutendsten Politik-Theoretiker der vergangenen Jahrzehnte. Demzufolge bestünden die demokratischen Abläufe und Institutionen lediglich noch als eine Fassade, die tatsächliche Macht übe der »Corporate State« bzw. »Deep State« aus, also die tonangebenden Spitzen der Finanzindustrie, des Militärs, der Geheimdienste etc., und es ist anzunehmen, dass die Zügel straff gehalten werden und die Machtstrukturen nicht verrückbar sind.
Teusch weist jedoch zurecht darauf hin, dass der Konflikt innerhalb der herrschenden Eliten selbst – in den USA zwischen der rechtskonservativen und der rechtsextremen Rechten: den Demokraten und den Republikanern – die bestehende Balance gefährden kann, wir kennen diese spalterischen Tendenzen bereits von europäischen rechten Parteien, nicht zuletzt von den britischen Tories.
Mit der Abrissbirne
›Der Krieg vor dem Krieg‹ ist ein lesenswertes, informatives Werk, das die Diskussionen belebt. Was generell irritiert, ist – zumal unter den Bedingungen eines kollabierenden Klimas – die unhinterfragte Überzeugung, dass überhaupt gesicherte gesellschaftliche Strukturen erhalten bleiben. Möglicherweise erleben wir ja – lass die Stromversorgung zusammenbrechen – urplötzlich den Ausfall unserer hochgerüsteten Kommunikationsnetze, und wir können ordnende Strukturen vergessen. Nein, die Presse liefert keine Erfahrungen mit der Situation nach der Überschwemmung in Mosambik.
Das Interesse des gegenwärtigen US-Präsidenten richtet sich unverkennbar darauf, bestehende internationale Ordnungen mit der Abrissbirne einzureißen sowie den Aufbau geordneter nationaler Strukturen in diversen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas durch Sanktionsmaßnahmen zu unterminieren. Diese imperiale Strategie schlägt tiefe Wunden und hinterlässt schmerzende Narben, die Generationen benötigen werden, um auszuheilen.
Konsequent und gewohnt aggressiv
Zu dieser destruktiven politischen Strategie zählt außerdem die Politik einer aggressiven Positionierung der NATO, einer Spaltung Europas sowie die Unterstützung des britischen EU-Austritts, ferner die Strategie eines ›Permanent War‹, also pausenloser Kriegsführung unter Regie des militärisch-industriellen Komplexes der USA, vor dem bereits Eisenhower in den fünfziger Jahren warnte – bekanntlich erfolglos.
Die außenpolitischen Grundlinien stehen in den USA nicht zur Debatte, und es steht zu erwarten, dass die amerikanische Politik weiterhin konsequent und gewohnt aggressiv zur Destabilisierung der internationalen Ordnung beitragen wird.
Titelangaben
Ulrich Teusch: Der Krieg vor dem Krieg
Wie Propaganda über Leben und Tod entscheidet
Frankfurt/Main: westend 2019
224 Seiten, 18 Euro
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