Ausstellung | Rembrandt Bugatti: Alte Nationalgalerie Berlin, 28. März bis 27. Juli 2014
Was immer du unternimmst, du kommst zu spät, so ist das Leben. Mit dieser Ausstellung hatte ich Glück, sie lief noch, nur der Name des Museums war mir nicht mehr geläufig, die Museen verwechselt man schon mal, sie heißen auf der Insel alle gleich: Altes Museum, Neues Museum, Neue Nationalgalerie, Bode-Museum, Alte Nationalgalerie – wer soll sich da zurechtfinden? Von WOLF SENFF
[Titelfoto:Rembrandt Bugatti, Großer Ameisenbär (Le grand fourmilier), Detail, 1909, Bronze, 36 x 41 x 21,5 cm, Privatsammlung, Foto: privat]
Das ist alles längst überholt. ›Fly Emirates Museum‹, ›Allianz Museum‹, das wäre eingängig, das könnten wir unterscheiden, definitiv, das wäre auf der Höhe der Zeit. Oder als Kompromiss ›Bugatti Neues Museum‹, präsentiert von ›Beck’s‹, mit den Namen fängt es an, weiß man doch. War natürlich nicht das Neue Museum, war klar, war die Alte Nationalgalerie. War aber alles mit großen Buchstaben ausgewiesen, ich fand leicht hin, ein Museum soll auffindbar sein.
Das Rad bleibt rund
Ach es fällt viel Arbeit an, manches bleibt liegen, wir kümmern uns. Lässt sich nicht mehr Aktuelles ausstellen, also was den Leuten nahegeht, was sie berührt, was ihnen gefällt? Technischer Fortschritt. Nur als Beispiel. Straßenbeläge. ›Kopfsteinpflaster, Teer, Beton‹ im Alten Museum, präsentiert von ›Haribo‹. Wär‘ das nichts?
Oder ›Das Rad über die Jahrtausende‹. Speichen, Metallstreifen, Vollgummi, diverse Profile – das interessiert die Leute, man könnte aus ›Rio Lobo‹ die Szene zeigen, als beim Raubüberfall das Rad der Postkutsche bricht. Und immer blieb es rund, das Rad, wieso eigentlich, man sollte das wissenschaftlich erklären, diskutieren, statistisch belegen.
Die Tribüne vom Heysel
Aber auch aufgreifen aus der Erfahrungswelt, was einem so einfällt, Fußbälle, das wäre mal zeitgemäß. ›Die Fußbälle in den Endspielen der Fußballweltmeisterschaften seit 1930‹ im ›O2-Museum‹, die Originale, auf original Grassoden präsentiert von ›McDonalds‹. Darüber hinaus wird präzise erklärt, wie sich im Laufe der Jahre das Material veränderte, weshalb es immer noch Nähte gibt, und reichhaltig wird alles multimedial unterfüttert – wäre sensationell, kein Zweifel, wäre Quotenrekord.
Als Sonderleihgabe stellst du das am 1. April 1998 eingestürzte Tor von Madrid dazu, original, und wenn du Mut hast, die eingestürzte Tribüne vom Brüsseler Heysel-Stadion, 29. Mai 1985, original. Was ebenfalls gut ginge, müsstest du aber von weit herholen: die eingestürzte Tribüne aus dem Stadion Fonte Nova in Salvador de Bahia, 25. November 2007, war zwar erst neulich, war aber zweite Liga, wird schwierig.
Der Elefant auf dem Kühlergrill
Vor dem Cézanne stand ich flüchtig, weil wir ja wegen Bugatti in diesem Museum waren. Nein keine Autos, nicht was Sie denken, es handelt sich um den Bruder, den jüngeren, also nicht Ettore, sondern Rembrandt Bugatti, was für ein Name. Der Elefant, genau, der sich auf zwei Beine aufstellt, der den Kühlergrill der Bugattis ziert, der ist von Rembrandt, von Rembrandt Bugatti, das Auto von Ettore.
Wachssausschmelzverfahren
An die Gemälde hatte niemand gerührt, sicher. Die Skulpturen Rembrandt Bugattis standen in den wunderschön großzügigen Räumen auf Marmorplatten, in passable Höhe aufgestützt, sehr zierlich, sehr elegant, viele Tiere, eher klein als groß, über die drei Geschosse des Museums verteilt, die Exponate waren aus allen Gegenden der Welt herbeigeliehen, was für eine Arbeit sie sich machen, mir gefiel das außerordentlich.
Nein, ich weiß gar nicht, wie eine solche Skulptur hergestellt wird. Man kann es nachlesen: Ein Gipsmodell, wenn ich richtig verstanden habe, dient dazu, die Form herzustellen, das Negativ, in das die Bronze für das Original gegossen wird, man kann es anschließend geringfügig bearbeiten, den Feinschliff gewissermaßen. Adrien-Aurélien Hébrard, der Besitzer der Gießerei in Paris, war auf das besonders aufwendige Wachsausschmelzverfahren spezialisiert, wer macht sich heutzutage so viel Arbeit.
Wurst darf nicht fehlen
An den Exponaten lassen sich Stilepochen nachempfinden. Eine Kuh, das Äußere wie grob und flüchtig modelliert, hat impressionistisches Flair. Zwei Löwen, sehr nobel gezeichnet, abstrakt und ohne individuellen Ausdruck, als seien sie einem Pharaonengrab entnommen – das geht als feiner Humor eines souverän arbeitenden Künstlers durch, allemal.
Und wieder bewundernswerte Tiefe des Ausdrucks. Eine Gruppe von drei Antilopen, das Muttertier mit einem bandagierten Bein wird vom Jungtier getröstet. Sag‘ bitte niemand, ein Tier sei ohne Seele. Rembrandt Bugatti war Dauerbesucher im Zoo von Antwerpen und studierte die Haltungen und Bewegung der Tiere. Ja, auch Hunde. Den eigenen Dackel namens Wurst verewigte er ebenfalls in Bronze. Auch ein Affe war ausgestellt, kühl gezeichnet wie aus dem Pharaonengrab. Ein Elefant streckt mühsam den Rüssel, als nehme er von einem Besucher im Zoo einen Apfel entgegen. Entspannt in sich ruhende Pferde. Ein imposanter Büffel. Die Dinge sind einfach. Man muss nur hinsehen.
Im feinsten Zwirn, ein Strauß Blumen
Im Ersten Weltkrieg wird der Zoo in Antwerpen geschlossen, viele Tiere, denen Rembrandt Bugattis Zuneigung galt, werden getötet, ach, nimmt das kein Ende, nicht wieder diese todtraurigen Nachrichten. Er modelliert einen Tiger, der eine Schlange zertritt – Symbol für das menschliche Streben, über das Böse zu siegen. Am 8. Januar 1916, zweiunddreißigjährig, kauft er Blumen, legt seinen besten Anzug an und dreht den Gashahn auf, das war’s.
Er sei depressiv gewesen, wissen Freunde und Verwandte zu berichten. Depression ist ein Fremdwort und, jeder weiß es, Fremdwörter dienen dazu, unangenehme Wahrheiten zu verbergen. Man übersetzt dieses Fremdwort deshalb völlig korrekt mit ›Ich-scheiß-auf-die-Welt‹ oder, wahlweise, mit ›Mir-graut-vor-euch‹. Mehr ist dem nicht hinzuzufügen. Die Ausstellung dauert noch einige Tage. Der Besuch ist sehr zu empfehlen.
| WOLF SENFF
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| Ausstellung Rembrandt Bugatti, Alte Nationalgalerie Berlin, 28. März bis 27. Juli 2014
Titelbild
Rembrandt Bugatti
Großer Ameisenbär (Le grand fourmilier), Detail, 1909
Bronze, 36 x 41 x 21,5 cm
Privatsammlung
Foto: privat