Ausstellung | ›Flow of Forms/Forms of Flow‹ (München)
Die Münchner Ausstellung ›Flow of Forms/Forms of Flow‹ zeigt schillernde Designgeschichten aus Afrika. Alafuro Sikoki ist eine der 41 beteiligten KünstlerInnen. SABINE MATTHES sprach mit der Industriedesignerin aus Nigeria über Identität, schwarze Puppen, Göttermode und wie aus Wasserhyazinthen Lampenschirme werden.
In Ruanda fliegen Blutkonserven mit Drohnen durch die Luft, um entlegene Orte medizinisch zu versorgen. Ist Afrika dazu berufen, eine experimentelle Spielwiese für irreal-futuristischen Pragmatismus zu werden? Die kreativen Explosionen, die gerade in mehreren Städten Afrikas stattfinden, haben auch Ikea erreicht: Zwölf afrikanische Designer wurden engagiert, um dem Möbelkonzern frischen Wind einzublasen. Eine schillernde Bandbreite solch faszinierender Denkräume zeigt jetzt die Münchner Ausstellung ›Flow of Forms/Forms of Flow Designgeschichten zwischen Afrika und Europa‹ an vier verschiedenen Orten. Im Museum Fünf Kontinente wird zum Beispiel das südafrikanische Modelabel ›Black Coffee‹ als zeitgenössische Antwort auf die Pariser Afrikabegeisterung seit den 1920er Jahren – Nancy Cunard, Man Ray, Kubismus, Surrealismus – gegenübergestellt. Mit installationsähnlichen Modeschauen, kubistischem Design und picassoesken Farben zelebrieren sie eine Rückaneignung afrikanischer Formen. Im Kunstraum zeigt das Berliner Projekt ›Cucula – Refugees Company for Crafts and Design‹, das mit afrikanischen Flüchtlingen arbeitet (Cucula bedeutet auf Hausa »etwas gemeinsam machen«, »aufeinander aufpassen«), seine »Botschafter Stühle«. Die Idee dazu entstand, als ein Teilnehmer im Schiffsfriedhof von Lampedusa aus den bunten Planken seines Flüchtlingsbootes einen Stuhl bauen wollte. Design ist auch in den Arbeiten von Alafuro Sikoki ein Weg zur Selbstermächtigung – ein Ausdruck kollektiver Identität und persönlicher Wahl, wer wir sind. Sie ist im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne mit zwei Arbeiten vertreten.
Interview von Sabine Matthes mit Alafuro Sikoki
Sie sind aus Nigeria, haben in Philadelphia, USA, Industriedesign studiert und arbeiten heute zwischen London und Nigeria. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen afrikanischem und westlichem Design? Behandelt es unterschiedliche Bedürfnisse?
Meine Herkunft und Reisen waren sehr prägend, wie ich die Welt sehe und auch wie ich kreative Probleme löse. Ich würde sagen, die Umgebung macht einen enormen Unterschied für Objekte aus Afrika und dem Westen. Vor Ort erfüllen sie ihren Zweck, aber an andere Orte versetzt, nehmen sie eine mehr aufgeladene Bedeutung an. Ich denke, designte Objekte machen einen Wandel durch jenseits ihres Gebrauchswertes, und Konsumenten sind informierter über ihre Wahl und wie wir die Umwelt und Gesellschaft belasten auf einer lokalen und globalen Ebene.
Es gibt auch eine unterschiedliche Auffassung von Design durch den Zugang zu den Herstellern. Zuhause in Nigeria haben wir alle Schneider, kaufen regelmäßig Stoffe und entwerfen unsere Kleidungsstücke selbst. In Europa aber ist individuell geschneiderte Kleidung sehr teuer, weswegen die Auswahl beschränkt ist auf das, was es in den Geschäften gibt. Design wird in Europa als etwas für Spezialisten angesehen, wofür man jahrelang studiert, wohingegen es in Afrika offen und organischer ist.
Wie ist die heutige Design Szene in Nigeria?
Die nigerianische Design-Szene wächst und ändert sich rasant. Einer meiner Lieblingsorte in Lagos ist ein Boutique Cafe namens ›Stranger‹. Es führt konzeptuelle Modedesigner wie Adeju Thompson und handgefertigte Bananenblätter-Notizbücher von Minku. Es gibt viel zu sehen und sich inspirieren zu lassen in Nigeria und es ist sehr spannend für mein Studio, Teil dieser vielversprechenden Kultur zu sein.
In der Euphorie der Unabhängigkeitswerdung haben sich alltägliche Objekte in Formen der Freiheit verwandelt. Welche Geschichten erzählen sie?
Meine Installation ›Private Atlas: Nigeria 1960‹ zeigt solche Alltagsgegenstände aus dem Jahr der nigerianischen Unabhängigkeit und der Politik des Wandels. Gewöhnliche Objekte nehmen hier eine größere Symbolik an: Der bescheidene Ton-Topf wird auf den Esstisch erhoben, um selbstbewusst neben dem wertvollen alten Familien-Porzellan Platz zu nehmen. Es gab während der Unabhängigkeitsbewegung ein wiedererlangtes Gefühl für den Besitz unseres Landes, der Sprache und Identität. Was vorher wegen seiner lokalen Herkunft als volkstümlich oder minderwertig galt, nahm jetzt stolz seinen Platz in der Öffentlichkeit ein.
Das ›Independence Beer‹ wurde 1960 in Nigeria zur Erinnerung an die Unabhängigkeitsfeiern produziert. Das englische Lavendel-Parfüm war der Lieblingsduft meiner Großmutter, einer Damenschneiderin, die mit 44 das erste Mal in ihrem Leben nationale Souveränität erfuhr. Die schwarze Puppe und der Ein-Pfund-Schein sind zwei Seiten der über Nacht gekommenen Veränderungen; die Währung wechselte vom Pfund zur Naira und die Puppen in den Geschäften wechselten von weiß zu schwarz. Die Schreibmaschine war ein übliches Kommunikationsmittel … auf ihr sind Umschläge mit den ersten Unabhängigkeitsmarken von 1960. Chinua Achebes zukunftsträchtiger Roman ›Things Fall Apart‹ war sehr populär, da er 1959 erschien und die Wucht des bevorstehenden Wandels auf verschiedenen Ebenen beschrieb, von den kulturellen zu den persönlichen Existenzkämpfen mit denen die Charaktere im Buch konfrontiert sind.
Kolonialismus und Sklaverei haben Afrikaner von ihrer Geschichte entwurzelt und sie in eine Art Außerirdischen-Status katapultiert. Künstler des Afrofuturismus, wie die kenianische Filmemacherin Wanuri Kahiu, überbrücken diese Entfremdung, indem sie Topoi aus Mythologie und Science-Fiction verknüpfen. Kahius Film ›Pumzi‹ (Swahili für »Atem«), 2009, spielt nach dem Dritten Weltkrieg, dem »Krieg um Wasser«. Auf dem zerstörten Planeten muss Wasser mühevoll aus Urin und Schweiß destilliert werden. Die Heldin Asha trotzt der ewigen Dürre, indem sie fürsorglich einen Baum mysteriöser Herkunft großzieht – ähnlich wie Wangari Maathai, die für ihr »Green Belt Movement« in Kenia den Friedensnobelpreis bekam. Ist Afrika ein Laboratorium möglicher Zukünfte?
›Pumzi‹ ist ein so cooler Film! Ich sehe jedes Problem als einen Vorschlag für eine Möglichkeit. Und weil wir täglich mit so vielen Schwierigkeiten umgehen müssen, wie dem Mangel an Trinkwasser, Elektrizität etc., sind wir natürlich höchst anpassungsfähige und aufgeweckte Denker geworden. Afrikas Stärke liegt in seinen Menschen … unser menschliches Kapital ist reich und vielfältig und dem Kontinent steht eine vielversprechende Zukunft bevor.
Afrikanische Designer experimentieren auch mit visionären Ideen zu ökologischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart. ›Repurpose Schoolbags‹, 2013, des südafrikanischen Start-up Rethaka, haben eine integrierte Solarleuchte, die sich während des Schulwegs auflädt und in der Dunkelheit zur Leselampe wird. Aus Wüstensonne und -sand entwirft der Produktdesigner Markus Kayser mit seinem 3D-Drucker ›Solar-Sinter-Maschine‹ Schalen. Ihr ›H++ Water Hyacinth Project‹, 2011/2017 verfolgt ein ähnliches Anliegen.
Mein Hauptanliegen bei H++ war, eine negative Situation in mehrere positive umzudrehen, die wiederum noch mehr Positives bewirken würden. Ich betrachtete die Wasserhyazinthe, die ein Eindringling ist und die Wasserwege in Bayelsa im Süden Nigerias zerstört, als eine reichlich vorhandene Quelle kreativen Materials, als eine Möglichkeit das Ökosystem wieder auszubalancieren. Außerdem habe ich mich mit den sozialen, kulturellen und ökonomischen Problemen der Inselgemeinschaft befasst, mit der ich arbeitete: Arbeitslosigkeit und die aussterbende Flechtkunst. Zuerst dokumentierte ich die letzten alten Flechterinnen der Insel. Dann gründete ich ein kleines Kollektiv von Flechterinnen und wir ernteten Hyazinthen, trockneten sie und drehten daraus Schnüre, aus denen ich Stühle, Hocker, Tische und Lampenschirme fertigte. Ein weiterer großartiger Aspekt der Ernte ist, dass die nicht-flechtbaren Teile der Hyazinthe dazu genutzt werden, Kompost für die Landwirtschaft herzustellen. Wir sind noch am Anfang, aber wir wachsen mit den Aufgaben und sind einem positiven Wandel für die Umwelt und Gesellschaft verpflichtet, von der Graswurzel Ebene aus.
Für welche Vorstellung von Design steht Ihr Studio Sikoki? Wie werden die Ideen umgesetzt?
Studio Sikoki ist eine Kunst-, Design- und Forschungs-Organisation. Einer unserer bestverkauften Artikel ist die Spiegel-Serie ›Born Kinky‹, die aus afrikanischen Holzkämmen gemacht ist. Als ich aufwuchs, waren diese Kämme allgemein üblich, aber sie wurden ziemlich rar, als wir anfingen, unsere Haare chemisch zu glätten und Haar-Verlängerungen zu tragen. Bis zur jüngsten Naturhaar-Revolution wurde es von vielen missbilligt, gekräuseltes Afro Haar zu tragen. ›Born Kinky‹ hat Fragen aufgeworfen über Vorstellungen, Darstellungen und Archetypen, zu denen wir tendieren.
Ein anderes Studio Sikoki Projekt ist die Druck Serie ›Nigerianisms‹, die populäre Redewendungen, hauptsächlich in Pidgin-Englisch, durch Illustrationen und Text erschließt. Diese Serie entstand, als ich in den USA lebte und begann, nach einer visuellen Darstellung nigerianischer Identität zu suchen und deswegen beschloss, diese Ausdrücke zu sammeln, die ich selten hörte, und sie sichtbar zu machen, um sie zu bewahren. Es liegt mir am Herzen, afrikanisches Design und Konzepte zu betonen und feiern, weil ich von der reichen Kultur und dem Erbe des afrikanischen Kontinents begeistert bin.
Momentan entwerfen Sie auch Mode für Götter.
Diese Arbeit ist ein Auftrag des Horniman Museums und beruht auf dem Ijaw-Schöpfungsmythos und dem weiblichen Gott Woyingi. Mein Projekt untersucht den Geschlechter-Wandel von Gott durch die Ankunft des Christentums im südlichen Nigeria. Ich erkunde Haltungen zu weiblicher Macht und Sexualität durch meine Mode Skulptur, die aus der Phantasie kommt, dem Reich der Chimären und der Biologie. Das Gewand ist aus ledernen Blütenblättern, Federn, Reptilienschuppen und einem Geweih gemacht. Ich denke, es ist großartig, durch die Kunst auf die Geschichte, Kultur und den Wandel zu blicken, und in diesem besonderen Fall wird der historische Sturz des weiblichen Gottes der Ijaw Gemeinschaft durch das Prisma der Mode erforscht.
Was inspiriert Sie? Wer sind Ihre kreativen Vorbilder und Helden?
Natur und Wandel inspirieren mich. Ich bewundere Kreative aus den unterschiedlichsten Bereichen: die Kreativdirektorin des Modehauses Celine, Phoebe Philo, wegen ihrer minimalistischen und subversiven Haltung zu Luxuswaren. Ich finde die visuelle Sättigung der Filme von Wong Kar Wei besonders eindringlich und schön. Mein Lieblingsgedicht ›Call of the River Nun‹ wurde von Gabriel Okara geschrieben; ich habe es als Kind gelesen und es ist seitdem immer bei mir geblieben. Ich finde es ermutigend und verbindend, weil der Fluß Nun neben meiner Insel in Nigeria fließt, von der ich herkomme. Chimamanda Ngozi Adichie gefallt mir wegen ihres schönen Schreibens und ihrer feministischen Haltung und ich liebe die träumerischen Bilder von Njideka Akunyili Crosby. Ich glaube, Inspiration ist ein wesentlicher Teil der Kreativität. Sie hält die Kreisläufe von Ideen, Erneuerung und Neugier am Fließen.
Titelangaben
Flow of Forms/Forms of Flow. Designgeschichten zwischen Afrika und Europa
München: Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, Museum Fünf Kontinente, Kunstraum, Galerie Wimmer, bis 12. März 2017