Comic | Guido Crepax: Valentina Underground
Mit ›Valentina Underground‹ ist beim ›avant-verlag‹ der zweite Sammelband einer der größten Heldinnen erschienen, die das Medium Comic je geboren hat. CHRISTIAN NEUBERT nahm sich die rund 50 Jahre alten Geschichten vor. Und ist immer noch baff.
Bizarr, rätselhaft, sexy. Mysteriös, schwer zu greifen, abgefahren. Alles Attribute, die man bemühen muss, um die zwischen 1965 und 1995 erschienenen Comic-Abenteuer von Guido Crepax´ Valentina zu beschreiben. Zumal flüchtige Blicke in die Geschichten dieser Heldin oft mehr verwirren, als dass sie erhellen. Dennoch: Blicken wir in den Comic. Und schauen dann weiter.
Also: Seite 73, links oben, erstes Panel. Filigran gezeichnete Figuren, zwei Männer, eine Frau, sind in ein Gespräch vertieft. Die Stimmung: irgendwie gehetzt, sichtlich aufgeregt, dennoch gefasst, insgesamt unwirklich. Der Dialog entwickelt sich folgendermaßen: »Mir ist entsetzlich kalt! Wohin hat es uns verschlagen?« – »Wie ich bereits sagte, wissen wir nicht, wo wir sind … wir könnten auf einem ganz anderen Breitengrad sein. Komm, zieh dir etwas an …« – » … seht mal, was für schöne Thonet-Stühle. Diese Form kenne ich so noch gar nicht.«
Schön schräg
Schräg. Entrückt. Ein Dialog wie aus einem Mario Bava-Film. Und typisch für die Valentina-Reihe. Es ist klar, dass hier etwas vor sich geht, was das Zeug hat, den Verstand zu überschreiten. Dennoch verliert hier keiner die Fassung. Alle bewahren kühlen Kopf, bleiben cool. Und nicht zu vergessen: stilsicher. Wenn sich in den Valentina-Comics unerklärliche Phänomene und Geschehnisse abspielen, steckt der innere Schöngeist nie zurück. So und nicht anders wird´s gemacht, siehe Valentina Rosselli und Philipp Rembrandt. Und den Dritten, der hier das Vergnügen hat, mitmischen zu dürfen. Während Valentina mir nichts, dir nichts das Medium aufmischt.
Denn aufgemischt, ja, das hat die Reihe von Beginn an, obgleich sich die Geister anfangs durchaus schieden. Crepax hat seine gefeierte Heldin 1965 im italienischen Comic-Magazin ›Linus‹ lanciert. Die Reihe lief zuerst unter dem Namen ›Neutron‹, dem superkräftigen Alias des Kunstkritikers Philipp Rembrandt, der – sobald er außer Dienst ist – Bösewichten mit lähmendem Blick begegnet. Fotoreporterin Valentina, die unverhohlen von der Stummfilmdiva Louise Brooks inspiriert ist, war da noch Nebenfigur. Doch nur zwei Ausgaben später gehörte ihr die Reihe. Was wohl daran liegt, dass Männer und Frauen gleichermaßen ihrem unwiderstehlichen Charme erlagen. Und/oder ihren langen Beinen und ihrem lasziven Blick.
Was Valentina und Co. erleben, ist schlichtweg abgedreht. Durchgeknallte Räuberpistolen in stilvollem Dekor geben mysteriöser Science-Fiction die Hand, machen sich obenrum frei und umnebeln sich mit psychedelischem New Age-Shit, wobei ein etwas snobistischer Abstand stets gewahrt und dabei ungefragt doziert wird. Von gängigen Erzählkonventionen, wie das Medium Comic sie bis dahin kannte, ist das losgelöst. Valentina selbst ist fest verankert. Und das nicht nur innerhalb der raffinierten Maschinerien, die ihre masochistischen Fantasien speisen: Crepax hat seiner bekanntesten Schöpfung nach und nach eine umfangreiche Biografie verpasst. Inklusive Geburtsdatum, Familienstand, Wohnort und Körpergröße. Mehr noch: Er lässt sie sogar altern. Was der Sache keinen Abbruch tut, dass ihre Abenteuergeschichten heute zeitlose Klassiker sind.
Klassiker neu entdecken
›Valentina Underground‹, der zweite Sammelband, mit dem der Berliner ›avant-Verlag‹ dabei hilft, die reizvolle Dame in bibliophiler Aufmachung neu zu entdecken, schickt seine Heldin ins Innere der Erde. In verschollene Reiche uralter Völker, die in großer Tiefe parallel zu den Menschen existieren. Wer meint, es hier mit gängigen Genre-Mustern zu tun zu haben, wird rasch eines besseren belehrt. Valentina bricht schneller aus festgelegten Kategorien aus, als dass sie ihr Negligé abstreift.
Es gehört wohl zu Crepax´ Markenzeichen, dass er seine Leser erst innerhalb nüchtern erzählter, aber verworren arrangierter Storys zurücklässt, sie ins kalte Wasser wirft und treiben lässt, bevor er ihnen in ausführlichen Rückblenden einen Leitfaden zur Hand gibt. Der ist allerdings auch nur mäßig tauglich, um Valentinas abstruse Erlebnisse zu dechiffrieren. Was kein Wunder ist, verschwimmen bei ihren Abenteuern doch ständig die Grenzen zwischen fetischisierter Wunschvorstellung, erotischem (Tag-)Traum, Umnachtung und Wirklichkeit.
In dieser nie ganz aufgehobenen Diskrepanz liegt dann eben auch die besondere Faszination, die von Valentina ausgeht. Kombiniert natürlich mit den schier unglaublichen Bilderwelten, die die Lektüre ihrer Abenteuer zu einer rauschhaften Erfahrung macht. Die verlangt nun mal vom Leser, sich ihr hinzugeben.
Ein Erlebnis
›Valentina Underground‹ will eher erlebt als verstanden werden. Ähnlich wie das italienische Genre-Kino der Sechziger, dessen anmutig-ungestüme Kraft und Ästhetik Crepax seinerzeit wohl mit elegantem Tuschestrich aufs Papier übertragen wollte, inklusive der kompletten visuellen Bandbreite des cineastischen Handwerks. Der 2003 verstorbene Architekt am Zeichenstift zeigt sich dabei als obsessiver Regisseur, begnadeter Kameramann und manischer Set-Designer.
Logik spielt da zwar schon eine Rolle, aber nicht unbedingt eine übergeordnete. Vielmehr geht es um Wirkung, um die Kraft des Ausdrucks. Wer sich darauf einlässt, wer den waghalsigen Bildkompositionen in all ihrer zügellos schnellen, scharf geschnittenen Wirkungsweise folgt, den packen sie und tragen ihn fort. ›Valentina Underground‹ ist eine optisch überwältigende Grindhouse-goes-Arthouse-Orgie in Comic-Form.
Titelangaben
Guido Crepax: Valentina Underground
Aus dem Italienischen von Paolo Canepelle und Günter Krenn
Mit einem Vorwort von Oreste del Buono
Berlin: avant-verlag 2016
224 Seiten, 34,95 Euro
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