»Diese Ratlosigkeit, die sie spürt, einerseits ausgelöst durch die Geschehnisse im Text, aber auch angesichts des Zustands der Welt in der Gegenwart und der Frage, wie wir schreibend darauf reagieren können, wie man damit umgeht oder nicht, das sind für sie zentrale Fragen«, heißt es über die namenlose Protagonistin im neuen Roman der 40-jährigen Schweizer Autorin Dorothee Elmiger. Von PETER MOHR
Bereits in ihrem 2010 mit dem »Aspekte-Literaturpreis« ausgezeichneten Debütwerk »Einladung an die Waghalsigen« hatte Elmiger, die am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert hat, viel Mut bewiesen und sich inhaltlich und formal geradezu quer zum literarischen Zeitgeist positioniert. Zuletzt war von ihr der Band Aus der Zuckerfabrik (2020) erschienen.
Eine Schriftstellerin hält ihr Fahrzeug mit eingeschalteten Warnblinkern am Fahrbahnrand an, um einen Anruf entgegenzunehmen. Am Telefon ist ein international angesehener Theatermacher, der sie für ein hoch ambitioniertes, genreübergreifendes Projekt gewinnen will, das in den Tropen angesiedelt ist. Wenig später verlässt die Erzählerin Europa, um sich der Theatergruppe in einem Urwald anzuschließen.
Es geht dabei um das Schicksal zweier niederländischer Frauen, die nach einer Wanderung im lateinamerikanischen Urwald verschwanden. Eine gefundene Digitalkamera gibt Rätsel auf, denn sie enthält 91 hintereinander aufgenommene Fotos. Als äußerer Erzählrahmen des Romans dient der reale Fall der beiden jungen Niederländerinnen Lisanne Froon und Kris Kremers, die 2014 im Urwald Panamas verschwunden sind. Dieses Ereignis ist Ausgangspunkt für das gewagte Projekt des Theatergurus. Ihn interessieren dabei nicht die wenigen überlieferten Fakten, sondern das Leben im Dschungel, das er mit vielen fantasiereichen Facetten arrangieren will.
Dem Theatermacher geht es (so heißt ein Text) um das Herstellen »ekstatischer Wahrheit«. Als Leser partizipieren wir an einem umfangreichen Exkurs durch die Kultur- und Philosophiegeschichte – von der griechischen Antike bis zur Frankfurter Schule. Ein abgegriffenes Taschenbuch der »Dialektik der Aufklärung« liegt (keineswegs zufällig) im Dschungel-Camp Künstler, die ausnahmslos etwas schräg daher kommen. Zitate und Gedankensplitter von Werner Herzog und Walter Benjamin, von Francis Ford Coppola und Joseph Conrad begleiten uns durch die Handlung, die in einer Existenz- und Schreibkrise der Erzählerin mündet. Jahre später steht die junge Autorin vor einem kleinen Kreis interessierter Zuhörer und versucht in einer Poetikvorlesung ihre Kunst zu erklären.
Dorothee Elmiger erzählt den gesamten Roman konsequent in indirekter Rede. Das schafft Distanz zu den Figuren und erleichtert den bewussten Bruch mit linearen Erzählstrukturen. Hier steht nicht eine konventionelle Handlung im Vordergrund, sondern es dominieren zusammenhanglose Erinnerungen des bunten Ensembles. So entsteht ein bunter, teilweise ziemlich inhomogener Strauß an Assoziationen.
Die Holländerinnen ist trotz des geringen Umfangs kein Buch für zwischendurch. Man sollte viel Geduld mitbringen, um sich auf die gedanklichen Loopings von Dorothee Elmiger einlassen zu können. Am Ende des Romans heißt es über die Hauptfigur (und so ähnlich ließe sich auch das Gefühl des Lesers beschreiben): »Ein Taumel befällt sie, ihr Gang verliert an Sicherheit. Mit schwindligen Augen sucht sie torkelnd den Himmel ab, als käme etwas von dort auf sie herunter.«
Titelangaben
Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen
München: Hanser 2025
159 Seiten. 23 Euro
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