/

Eine Halbtags- Kriminalistin und ihre falschen Freunde

Roman | Monika Geier: Alles so hell da vorn

In ihrem siebten Fall bekommt es die Ludwigshafener Kriminalkommissarin Bettina Boll mit Kinderprostitution zu tun. Und sie muss erkennen, dass sie sich in mehr als nur einem Freund bitter getäuscht hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Vor zehn Jahren ist in dem kleinen Örtchen Höhbrücken in der Pfalz die sechsjährige Meggie Lepp verschwunden. Zwei, drei Einwohner haben das freundliche Mädchen, von der Schule kommend, noch gesehen. Dann niemand mehr. Unter Verdacht stand ein älterer Schüler, aber beweisen konnte ihm die Sonderkommission der Pirmasenser Polizei nichts. Und so galt Meggie bei den meisten Einwohnern fortan als tot.

Allein plötzlich taucht eine junge Fremde im Ort auf, fragt sich zur Schule durch und tötet vor den Augen der in der Turnhalle versammelten Schüler der unteren Klassen den Direktor der Einrichtung. Von der Polizei gestellt, gibt sie sich als die verschwundene Meggie zu erkennen und nennt als Motiv der Tat Rache, weil der Mann sie vor einem Jahrzehnt in die Prostitution verkauft habe. Und hier kommt die Ludwigshafener Kommissarin Bettina Boll ins Spiel.

Das verschwundene Mädchen

Denn Direktor Gutvatter ist nicht das erste Opfer der zu allem entschlossenen jungen Frau. In einem Frankfurter Bordell hat die bereits einen Zuhälter und Bolls Kollegen, ehemaligen Freund und Vertrauten, Michael Ackermann, erschossen. Mit dessen Dienstwaffe, die sie dem Stammgast des heruntergekomenen Etablissements, in dem für den perversen Kundengeschmack offensichtlich zu alt gewordene Kinder ihren vorerst letzten Aufenthaltsort gefunden hatten, kurz entschlossen abgenommen hatte. Und auch der gewaltsame Tod eines Kraftfahrers, in dessen Truck die Geflüchtete bis in die Nähe von Höhbrücken mitgefahren war, wird zunächst erst einmal mit ihr in Verbindung gebracht.

Ackermann Kunde einer dubiosen Einrichtung, in der Kinder gewaltsam zur Prostitution abgerichtet wurden? Entsetzt über das dunkle Geheimnis eines Mannes, den sie zu kennen glaubte, der immer verlässlich im Dienst und zuvorkommend als Freund war und wegen dem sie sich sogar mit einer jüngeren Kollegin zerstritten hatte, rutscht Boll in einen Fall hinein, der die Halbtagskriminalistin – Bettina kümmert sich um die beiden Kinder ihrer verstorbenen Schwester und ist außerdem noch damit beschäftigt, das von ihrer verstorbenen Tante geerbte, alte Haus zu verkaufen –, umso mehr schockiert und desillusioniert, je genauer sie durchzublicken beginnt.

Jagd auf den »Richter«

Dass der Ludwigshafener Kollege nicht der einzige Staatsdiener war, der in dem anrüchigen Klub ein und aus ging, ist nämlich schnell klar. Und von zwei weiteren Mädchen, die aus dem Etablissement entkommen sind, weil sie nach der Bluttat ihrer Leidensgenossin Angst um das eigene Leben haben mussten, erfährt Bettina auch, dass jemand, den man den »Richter« nennt, seine Hand über den Sumpf aus Entführung und Prostitution hält. Eine Hand, die alles bewirken kann, über Leben und Tod der sklavisch gehaltenen Minderjährigen entscheidet. Aber wer ist der Mann, der sogar die Macht zu besitzen scheint, Ermittlungen von Polizei und Justiz im Milieu zu unterbinden?

Alles so hell da vorn ist der siebente Bettina-Boll-Roman von Monika Geier. Zwischendurch hatte die Ludwigshafener Kriminalistin noch einen kleinen Auftritt in Geiers Roman Müllers Morde (2011). Aber ihre Erfinderin hat wohl schnell gemerkt, dass die Frau zu gut für eine Nebenfigur ist: taff, entschlossen und einzelgängerisch auf der einen Seite, mitfühlend, schlau und nicht auf den Mund gefallen auf der anderen. Diesmal muss sie gar, um ein junges Mädchen zu retten, in Westernmanier einen Mann erschießen. Und mehr als einmal den Mund fest zusammenpresssen, wenn die ihre Arbeit wieder aufnehmende Pirmasenser Sonderkommission, der sie aufgrund der Verbindung des Falles der Meggie Lepp zu den Frankfurter Morden zugeteilt wurde, statt emsig zu ermitteln lieber darüber diskutiert, wo in dem Pfälzer Örtchen es die beste Brotzeit zu ergattern gibt oder ob man lieber »Lewwerknepp« oder Rahmschnitzel in der »Goldenen Grumbeer« zum Mittag verdrückt: »Des is hausgemacht, des merkt mer, und wemm des net schmeckt,der weeß net, was gut schmeckt.«

Eine Leiche im Keller

Natürlich bekommt die sympathische Einzelgängerin Bettina Boll am Ende heraus, wer die kleine Meggie Lepp vor Jahren hat verschwinden lassen. Und dass die wieder aufgetauchte Meggie nicht die richtige ist, ahnt der Leser auch von Anfang an. Dennoch hält das Buch am Ende noch eine faustdicke Überraschung auch für seine Heldin bereit. Und Stoff genug für weitere Romane – denn welcher Leser möchte nicht wissen, was es mit der Leiche auf sich hat, die in Bettinas geerbtem Haus den Keller zu einem gruseligen Ort macht.

Übrigens: Analog zu den sieben Fällen, die Kommissarin Bettina Boll seit dem Erscheinen von Geiers Erstlingsroman Wie könnt ihr schlafen (1999) zu lösen hatte, enthält Alles so hell da vorn nun auch sieben Nachworte. Das letzte davon ist das persönlichste und deutet auf die Dringlichkeit hin, mit der dieses Buch geschrieben werden musste. Mit ebensolcher Dringlichkeit ist seine Lektüre zu empfehlen – denn Monika Geiers Romans ragt heraus aus dem deutschen Krimieinerlei dieser Tage.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Monika Geier: Alles so hell da vorn
Hamburg: Argument Verlag (Ariadne) 2017
415 Seiten, 13.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

The Soul Of The Machine

Nächster Artikel

Beliebigkeit, mit einer Prise Pfeffer

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Hardcore-Hype in der Kulturhauptstadt

Roman | Krimi | Massimo Carlotto: Die Marseille Connection Am Ende des Actionkinos French Connection (1975) fährt der Drogenboss Alain Charnier auf seiner Jacht die schier endlose Ausfahrt des alten Hafens von Marseille entlang, während ihn der New Yorker Cop Jimmy »Popeye« Doyle alias Gene Hackman an der Kaimauer nachjagt. Dieser Dreh bezieht minutenlang die einmalige Stadtkulisse Marseilles um den Vieux Port mit ein. Eine cineastische Glanzleistung. Ganz im Gegensatz dazu vermeidet der italienische Erfolgsautor Massimo Carlotto in seinem neuesten Krimi Die Marseille Connection jegliche Anspielung auf das Lokalkolorit der europäischen Kulturhauptstadt von 2013. Über die Gründe kann HUBERT HOLZMANN

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein ›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von

Nicht auf dem Kasernenhof

Film | Im TV: TATORT – Eine Frage des Gewissens (SWR), 23. November Eine brandheiße Eröffnung. Hysterie, Alarm, Panik, Geiselnahme im Supermarkt. Thorsten Lannert muss sich, erste Schiene der Handlung, für die Tötung des Geiselnehmers verantworten, uns wird korrekt gezeigt, dass in einem solchen Fall die Grenzen polizeilichen Handelns strikt eingefordert werden. Von WOLF SENFF

Wer viel fragt, kriegt viel Antwort

Kriminalroman | Gerhard Henschel: Soko Heidefieber

Eines der Bestsellersegmente in der Literaturszene: der Regionalkrimi. Wie am Fließband rausgehauen, und oft so schlecht, dass es einen graust. So ist es wohl Gerhard Henschel gegangen, denn in seinem neuen Roman bringt er sie einfach alle um. Und unterhält mit seinem »Überregionalkrimi« prächtig. Von GEORG PATZER

Terror an der Côte d’Azur

Roman | Dominique Manotti: Marseille.73

Nach Schwarzes Gold (Argument Verlag 2016) ist Marseille.73 der zweite Roman, in dem Dominique Manotti in die Vergangenheit des in mehreren ihrer Bücher auftauchenden Kommissars Théodore Daquin eintaucht. Er führt den eben aus Paris Gekommenen und seine beiden Inspecteurs in die Szene der nach dem Ende des Algerienkriegs 1962 aus dem Maghreb heimgekehrten, so genannten Pieds-noirs. Deren militanter Teil hat sich in der UFRA, der »Vereinigung der französischen Algerienheimkehrer«, organisiert. Als mehrere Morde im algerischstämmigen Milieu die Öffentlichkeit aufwühlen, beginnt Daquin mit seinen Männern zu ermitteln. Und ahnt schon bald, dass ihn die Spuren auch in den Polizeiapparat und die Justizbehörden der südfranzösischen Hafenstadt führen werden. Von DIETMAR JACOBSEN