Kurzprosa | John Lennon: In seiner eigenen Schreibe (Zum 30. Todestag)
Skurrile Non-Sense-Texte, anspielungsreiche Gedichte, groteske Comedy – John Lennons In seiner eigener Schreibe ist eine Sammlung des Andersartigen, Herausstechenden, manchmal durchaus Provozierenden. Auch noch nach fast 50 Jahren. Von HUBERT HOLZMANN
Lennon überrascht mit kleinen Fragmenten, literarischen Einfällen, Parodien, skurrilen Illustrationen. Er notiert sie scheinbar so nebenbei zwischen Proben, Aufnahmen und PR-Terminen auf Notizzetteln und Papierservietten. Alltagsszenen inspirieren ihn, die Busfahrt zur Arbeit, der Bobby an der Straßenkreuzung, die Stimmung in einer Hafenkneipe, Auseinandersetzungen in Beziehungen. Lennon erweckt mit seiner Schreibe, seiner Sprechweise seine Geburtsstadt Liverpool zum Leben.
Dieser Mix aus Poplyrik, Dadaismus und Zeitkritik wirkt zunächst überraschend, gibt es dies in den frühen Beatles-Songs wie Love me do, Please, Please Me, All My Loving, A Hard Day’s Night nicht. Doch Lennon scheint diese harte Realität, teilweise auch Brutalität und Sarkasmus zu suchen, ist er doch immer auch Enfant terrible und Anarchist.
Momentaufnahme der Beatlemania
Vor 70 Jahren, am 9. Oktober 1940 in einer Liverpooler Bombennacht geboren, wächst John Winston Lennon, nachdem sich die Eltern getrennt haben, bei seiner Tante »Mimi« auf. Die erste Bandgründung fällt noch in die Schulzeit, ins Jahr 1956, zwei Jahre später kommt die Mutter bei einem Autounfall ums Leben. Er besucht für kurze Zeit das Liverpooler College of Art, jedoch durchkreuzt das Engagement im Hamburger »Indra Club« die weitere künstlerische Ausbildung.
Im Liverpooler »Caven Club« entdeckt Brian Epstein schließlich die Musiker. Sie treten 1960 im Hamburger »Starclub« auf und werden danach von EMI unter Vertrag genommen. Die Abbey Road Studios werden zu ihrer zweiten Heimat, wo sie die ersten durchschlagenden Singles Love me do (1962) und Please, Please me (1963) produzieren. Am 13. Oktober 1963 lösen The Fab Four mit einem Auftritt in der TV-Show im Londoner Palladium vollends einen »Hurrikan« der Popmusik aus.
»Über den Verfasler«
Bei Lennon selbst liest sich diese Entwicklung und seine Sicht auf »In his own write« in einem kurzen Statement – die deutsche Übertragung von Karl Bruckmaier »Über den Verfasler« findet man auf dem Buchrücken abgedruckt – so:
About the Awful
I was bored on the 9th of Octover 1940 when, I believe, the Nasties were still booming us led by Madalf Heatlump (Who had only one). Anyway, they didn’t get me. I attended to varicous schools in Liddypol. And still didn’t pass-much to my Aunties supplies. As a memebr of the most publified Beatles me and (P, G, and R’s) records might seem funnier to some of you than this book, but as far as I’m conceived this correction of short writty is the most wonderfoul larf I’ve ever ready.
God help and breed you all.
Wie in dieser Zeit des kometenhaften Aufstiegs der Beatles ein so kleines, scheinbar unbedeutendes Büchlein entstehen konnte, erzählt der britische Musikjournalist Jon Savage in seiner Einleitung. Er beleuchtet Lennons »geistreiche, spitze und auch verletzende« Skizzen, Sketche und Reime, die er »auf Notizblöcken in Hotelzimmern oder auf Servietten« hinkritzelt. Lennons Literaturverständnis ist offensiv, bestimmt von Pop-Kultur: »Ich ändere praktisch nie etwas ab… Wie geschrieben, so gedruckt – fertig.« Ein Mann des Augenblicks! Gleich mit dem Erscheinen des Büchleins im Jahr 1964 wurde es zum Bestseller, in den ersten zehn Monaten gingen 200.000 Exemplare über die Ladentheke.
Good Dog Nigel
Arf, Arf, he goes, a merry sight
Our little hairy friend
Arf, Arf, upon the lampost bright
Arfing round the bend.
Nice dog! Goo boy,
Waggie tail and beg,
Clever Nigel, jump for joy
Because we are putting you to sleep at three of the clock, Nigel.
Der Gute Hund Arthur
Waff waff macht er, hübsch anzusehn
der kleine Langhaarfreund,
waff waff, und bleibt am Pfosten stehn,
waff waff, macht er und streunt.
Du lieber Hund! Du feiner Spitz!
Hol doch den Stock und sitz!
Braver Arthur, spring nur zu,
Schlag Drei ist nämlich Ruh’.
Dann schläfern wir dich ein, kein Witz
(Übertragung: Karl Bruckmaier)
Carroll, Goethe und Karl May
Die Wortspiele wie aus Carrolls Alice in Wonderland, die Parodien auf Goethes Mignon Lieder, der Volksliedton, die kurze Karl-May-Posse klingen noch in der kongenialen deutschen Übersetzung des Duos Helmut Kossodo und Wolf D. Rogosky: spontan, albern, aus dem Ärmel geschüttelt. 1965, schon ein Jahr nach dem Erscheinen von Lennons Erstling erschien die deutsche Version.
Nun hat der Berliner Blumenbar Verlag zum 70. Geburtstag und zum 30. Todestag von John Lennon für eine Neuausgabe gesorgt. Der Übersetzer Karl Bruckmaier hat Lennons In seiner eigenen Schreibe noch einmal überarbeitet und stellenweise pointiert aktualisiert: »Und Sten Gunn ist in Würglichkeit ein Jüngling in der Blüte seiner Untugend, und Tom, die treue Katze, kehrt nach Kloster Ettal zurück, wo man ja jetzt weiß, was da los ist.« – Skurril! Aber auch im Original spielt Lennon mit Aktualität und herrschenden Klischees. In den 26 Zeichnungen streicht er die Textaussagen in Zusammenhang mit den Bildern derb heraus, er reduziert auf Umrisse und Silhouetten, jedoch nicht ohne erotisches Kolorit zu vernachlässigen. Ein geniales Produkt der Anarchie. – Ein Muss.
Am 8. Dezember 2010 läuft in den deutschen Kinos der Spielfilm Nowhere Boy von Sam Taylor-Wood über den jungen Lennon an.
Ebenfalls präsentiert das Maxim Gorki Theater Berlin in Zusammenhang mit dem Blumenbar Verlag am 10. Dezember 2010 John Lennons In seiner eigenen Schreibe als Lesung und ganzheitliche Neuinterpretation mit dem Schauspieler Thomas Schmauser. Die Veranstaltung findet um 20 Uhr in der Berliner Blumenbar statt.
| HUBERT HOLZMANN
Titelangaben
John Lennon: In seiner eigenen Schreibe
Aus dem Englischen von Helmut Kossodo und Wolf D. Rogosky
Berlin: Blumenbar Verlag 2010
88 Seiten. 16,90 Euro
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