Ein deftiges Jambalaya

Comic | Søren G. Mosdal: Hank Williams – Lost Highway

Hank Williams, ein Mann, eine Legende. Søren Glosimodt Mosdal hat in ›Hank Williams: Lost Highway‹ den letzten Auftritt des Countysängers in Bilder und Worte gefasst. DANIEL WÜLLNER betrachtet den finalen Road Trip von der Rückbank aus.

Hank Williams - Lost HighwayDerzeit füllen sogenannte Biopics die Kinosäle und enthüllen vor unseren Augen jede noch so kleine Eigenheit jeder noch so unwichtigen Persönlichkeit. Im Comic, der Kunst der Reduktion, hingegen muss man mit dem Platz sehr sparsam umgehen und sich genau überlegen, wessen Vita, wie umgesetzt werden soll. Um das Leben von Hank Williams auf nur 64 Seiten darzustellen, hat sich Søren Glosimodt Mosdal in ›Hank Williams: Lost Highway‹ nur auf Williams‘ Ableben im Jahr 1952 konzentriert.

Erzählerische Ambivalenz

Gerade weil der Comic nicht das gesamte Leben und Werk von Hank Williams enzyklopädisch beleuchtet, bleibt dem Leser genug Freiraum, um sich seinen eigenen Reim auf die Geschehnisse zu machen. Was genau passierte in der Nacht, als Hank Williams starb?

Der Sänger wurde von dem 19jährigen Ersatzfahrer Charles Carr von Tennessee nach Ohio gefahren, um dort an einem Konzert teilzunehmen. Am nächsten Morgen kam Carr nur mit der leblosen Hülle von Williams an. Eingebetet in diesen Augenzeugenbericht lässt Mosdal Episoden aus dem Leben des Countrysängers noch einmal Revue passieren.

Carrs Beschreibungen dieser Nacht, die gleichzeitig die Vorlage für den Comic waren, lesen sich wie ein creolischer Eintopf, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart zu ein Jamabalaya vermischen. Nachdem der unreliable narrator im Schneesturm von der Straße abkommt, trifft er auf seinen Ausflügen ins Unterbewusste Figuren aus Williams‘ Vergangenheit.

Die Zutaten für dieses Jambalaya sind die Erinnerungen an ein kurzes aber rasantes Musikerleben: Figuren aus seinen Songs stehen gleichberechtigt neben realen Persönlichkeiten und imaginären Wesen. Die einzelnen Kapitel vermischen so bewusst Realität und Wirklichkeit.

Grafische Stringenz

Während die Realität im Comic nur an einem seidenen Faden hängt, wird die Kontinuität durch die grafische Stringenz erzeugt. Von einem Panel zum nächsten schlägt alles in Fiktion um und nur die grafische Ebene bietet dem Leser halt. So gelingt es Mosdal, das atemlose Hin und Her von Williams‘ unbändiger Musik darzustellen und in einer kohärenten Geschichte einzufangen.
 
Mosdals eckiger und kantiger Zeichenstil besitzt aber noch eine weitere Eigenart. Während der Künstler den Sänger aus sicherer Entfernung auf der Rückbank zeigt, sieht sein Antlitz stets fröhlich und vergnügt aus: Williams als Lebemann. Geht Mosdal bei seiner Darstellung jedoch näher an die Gesichter der Figuren heran, so offenbaren sich für einen Augenblick ihre traurigen Gesichtszüge: Williams als Trinker. Im nächsten Panel ist die heitere Fassade wieder errichtet.
 
›Hank Williams: Lost Highway‹ ist ein Comic, der vor allem von seiner erzählerischen Ambivalenz lebt. Denn was wirklich in dieser letzten Nacht passiert ist, bleibt offen. Mosdal nutzt die Eigenheit der Erzählform Comic – die Uneindeutigkeit der Bilderreihe – voll für seine Zwecke aus und porträtiert das Leben eines Musikers, der sich zeit seines Lebens allen Definitionen zu entziehen vermochte. Für alle diejenigen, die anschließend aber doch wissen möchten, was denn so alles in dem creolischen Eintopf war, erläutert Musik-Journalist Franz Dobler im Nachwort sowohl erhellend als auch kritisch alle verwendeten Figuren und Ereignisse.

| DANIEL WÜLLNER

Titelangaben
Søren Glosimodt Mosdal: Hank Williams – Lost Highway
Ausdem Dänischen von Christoph Schuler
Zürich: Edition Moderne 2010
72 Seiten, 24 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der »vergessene Krieg« kehrt zurück

Nächster Artikel

Orbital Obliteration, Oida!

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Allein in den Anden

Comic | Christophe Bec, Patrick Alain Dumas: Aeropostale – Legendäre Piloten. Band 1: Henri Guillaumet In der Splitter-Serie ›Aeropostale‹ erzählt der sonst eher auf phantastische Stoffe abonnierte Autor Christophe Bec wahre Geschichten aus dem Leben französischer Flugpioniere nach, die für die legendäre Gesellschaft ›Aéropostal‹ Anfang des letzten Jahrhunderts Post auf gefährlichen Routen geflogen haben. BORIS KUNZ war beim Jungfernflug der Serie mit an Bord.

Späte Vögel

Comic | Arne Zank: Die Vögel - fliegen hoch!

Tocotronic-Drummer Arne Zank besinnt sich auf seine Illustrationsfertigkeiten – und kehrt mit »Die Vögel« zu seiner Comic-Vergangenheit zurück. Zunächst auf Instagram veröffentlicht, liegen »Die Vögel« nun in Buchform vor – und schießen echt den Vogel ab. Findet CHRISTIAN NEUBERT

Zwischen Kinderzeichnungen, Partys und Bomben

Comic | Marcelino Truong: Ein schöner kleiner Krieg. Saigon 1961-1963 Noch heute ist der Vietnamkrieg das Trauma in der Geschichte der US-Außenpolitik: Ein Krieg gegen die nordvietnamesischen Kommunisten, mit technisch überlegenen Mitteln und menschenrechtswidrigen sowie widerwärtigen Methoden, den Amerika dennoch nicht gewinnen konnte und daher ein zerstörtes Land zurückließ. Ein Trauma zwar, das jedoch die USA häufig zu wiederholen scheint. Doch viel wichtiger als das amerikanische Vietnamtrauma ist das, was dieser Krieg mit Vietnam machte. Darum geht es in Marcelino Truongs Comic >Ein schöner kleiner Krieg. Saigon 1961-1963<. Als Sohn einer Französin und des vietnamesischen Dolmetschers Truong Buu Khánh verbrachte

Verliebt in einen Vampir

Comic | Joann Sfar (Text und Zeichnungen): Vampir (Grand Vampire Tome 1 – 4) Der kleine Vampir Desmodus ist erwachsen geworden: In seiner Serie ›Grand Vampire‹ erzählt der französische Comicstar Joann Sfar von amourösen Komplikationen in einer Welt voller Hexen und Vampire, Golems und Geister, Werwölfe und Gespensterjäger. BORIS KUNZ über den ersten Band der zweiteiligen Gesamtausgabe, mit der der Avant-Verlag das kultige Universum von Sfar weiter ausbaut.

Menschliche Dämonen und dämonische Menschen

Comic | Miguelanxo Prado: Die Lethargie

Es ist der uralte Kampf zwischen Gut und Böse, der vor allem aus dem Fantasy-Genre nicht wegzudenken wäre. Dabei scheint es immer offensichtlich, wer der Held und wer der Bösewicht ist. Aber was, wenn die Bösen gar nicht wirklich böse sind? Prado hinterfragt in dem Comic ›Die Lethargie‹ (Carlsen Verlag) das Verhältnis zwischen Gut und Böse, die Rolle des Menschen im Universum und dessen Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Natur. Von JANA FEULNER