Comic | Christophe Bec, Patrick Alain Dumas: Aeropostale – Legendäre Piloten. Band 1: Henri Guillaumet
In der Splitter-Serie ›Aeropostale‹ erzählt der sonst eher auf phantastische Stoffe abonnierte Autor Christophe Bec wahre Geschichten aus dem Leben französischer Flugpioniere nach, die für die legendäre Gesellschaft ›Aéropostal‹ Anfang des letzten Jahrhunderts Post auf gefährlichen Routen geflogen haben. BORIS KUNZ war beim Jungfernflug der Serie mit an Bord.
Der hierzulande bekannteste Name, der in dem Comicalbum auftaucht, ist sicherlich der des jungen Piloten »Saint-Ex«. Das steht natürlich für Antoine de Saint-Exupéry, den weltberühmten Autor des ›Kleinen Prinzen‹, der ebenfalls für die Luftfahrtgesellschaft ›Aéropostal‹ geflogen ist. Er hat ihr in seinen Romanen schon ein paar Denkmäler gesetzt. Die Titelhelden der Comicreihe sind in Deutschland weniger bekannt, haben aber in Frankreich den Klang von Legenden und gelten als Pioniere der Luftfahrt. In der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg mussten Piloten, die in ihren Doppeldeckermaschinen Luftpost zwischen Frankreich und seinen Kolonien transportierten, noch richtige Helden sein, und fast jeder von ihnen ist schließlich auf einem Flug verschollen und hat auch vorher schon ein paar legendäre Abstürze in seiner Biografie.
Ein historischer Survivaltrip
So auch Henri Guillaumet, dem der erste Band der Reihe gewidmet ist. Er stürzt im Jahr 1930 mitten in den Anden in einem Schneesturm ab. Nachdem er einige Tage lang neben seiner beschädigten Maschine halb erfroren auf das Ende des schlechten Wetters gewartet hat, muss er feststellen, dass auch der klare Himmel keine Rettung bringt: Sein eingeschneites Flugzeug ist von oben ebenso wenig zu erkennen wie seine eigene winzige Gestalt. Mehrmals fliegen die suchenden Kollegen über ihn hinweg und sehen nicht einmal seine Signalraketen. Also muss sich Guillaumet zu Fuß auf den Weg machen: Mit schlechtem Schuhwerk, zu leichter Kleidung und einem Koffer mit kümmerlichem Proviant in den Händen kämpft er sich durch verschneites Hochgebirge. Seinem eisernen Willen stehen immer wieder brutale Rückschläge entgegen, sodass ihn irgendwann nicht mehr der Gedanke vorwärtstreibt, seine Frau jemals wieder zu sehen, sondern nur noch der, irgendwo auf offenem Gelände zu sterben, wo seine Leiche irgendwann gefunden und identifiziert werden kann. Nur dann wird seiner Frau die Lebensversicherung ausbezahlt.
Der einsame Kampf des Einzelnen um sein Überleben in einer aussichtslosen Lage, die sowohl Einfallsreichtum, Durchhaltewillen, Leidensfähigkeit als auch eine gewisse Portion Glück erfordert, hat sich in den letzten Jahren vor allem im Kino immer wieder als dankbares Sujet erwiesen. Filme wie ›127 Hours‹ oder ›All is lost‹ haben bewiesen, dass Geschichten, in denen es in dieser Art ums nackte Überleben geht, gar keiner spektakulären Settings bedürfen: Ein Mann, festgeklemmt in einer Schlucht oder allein auf einem sinkenden Segelboot auf dem Ozean. Auch der Comic profitiert von der eiskalten Klarheit der Situation: ein einsamer Fußgänger mitten im unwegsamen Hochgebirge. Bec macht sich daher wenig Umstände, die gesamte Lebensgeschichte Guillaumets vor uns auszubreiten. Zwei knackige Szenen genügen als Vorlauf, um uns den risikofreudigen und etwas sturköpfigen Charakter des Piloten nahezubringen, und schon geht es auf in die verschneiten Anden.
… nicht ohne Stolperfallen
Die Kulisse wird uns vom Zeichner Patrick Alain Dumas in eindrucksvollen Bildern präsentiert. Dumas ist in Deutschland wenig bekannt, hat aber in Frankreich schon viel veröffentlicht. Mit seinem sehr klaren, von der Ligne Claire inspirierten Strich gelingt es ihm wunderbar, die alten Flugzeuge in Szene zu setzen, die natürlich mit zu den wesentlichen Schauwerten des Comics gehören. Die Menschen dagegen wirken bei ihm in Gestik und Mimik merkwürdig steif und es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat. Die Berglandschaften sehen grandios aus, sind allerdings auf Dauer wenig abwechslungsreich. Es ist die aufwendige und stimmungsvolle Kolorierung von Diogo Saito, der es gelingt, die leicht altbackenen Zeichnungen von Dumas zum modernen Eyecandy aufzupimpen.
Auch wenn die wahren Begebenheiten von Guillaumets Überlebenskampf eine Steilvorlage für eine spannende Erzählung liefern, haben Autor und Zeichner ebenfalls ihre Hindernisse zu meistern: Nicht nur Temperaturen, auch die Distanzen und Größenverhältnisse der Berglandschaften sind nicht ganz so leicht in Comicbilder umzusetzen, die gleichzeitig beeindruckend aussehen und dennoch akkurat wirken wie man das etwa aus ›Tim in Tibet‹ kennt. In ein paar Sequenzen, in denen Guillaumet sich in wenigen Bildern durch Schluchten und reißende Ströme kämpft, wünschte man fast, Dumas hätte Hergé noch etwas länger über die Schulter gesehen. An anderen Stellen wiederum, in denen es vollauf genügt hätte, den Zeichnungen Raum zu geben, lässt Bec seinen Protagonisten in etwas überflüssigen Selbstgesprächen dem Leser sein Tun und Lassen erklären. Das mag in manchen Szenen unerlässlich sein, aber wenn Guillaumet sich Gras in den Mund stopft, und dabei auch noch »Essen« sagt, hat das schon eine gewisse, unfreiwillige Komik.
Aber auch wenn die Erzählung hier und da etwas holprig geraten ist, bleibt das Portrait dieses Überlebenskampfes doch spannend bis zum Schluss und man hat die rund 50 Comicseiten schnell verschlungen. Drei Folgebände sind bei Splitter schon in Vorbereitung, in denen noch andere Luftfahrtpioniere wohl mit eisernen Nerven um ihr Leben kämpfen werden…
Titelangaben
Christophe Bec (Text), Patrick Alain Dumas (Zeichnungen): Aeropostale – Legendäre Piloten – Band 1: Henri Guillaumet
( L’Aéropostale – Des Pilotes de Légende: Guillaumet) Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Bielefeld: Splitter Verlag 2015
56 Seiten, 14,80 €
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