Comic | David Schraven (Text), Vincent Burmeister (Zeichnungen): Kriegszeiten
Mit Kriegszeiten legt das Comic-Duo Schraven und Burmeister eine »grafische Reportage über Soldaten, Politiker und Opfer in Afghanistan« vor. BORIS KUNZ musste sich bei der Lektüre zunächst die Frage stellen, ob dabei eigentlich sonderlich viel rumkommt.
Die Frage stellt sich gleich schon auf den ersten Seiten, wenn David Schraven die Geschichte des Afghanistankrieges mit seinen Erinnerungen an den 11. September einleitet. »Es sah aus wie eine melancholische Kaligrafie im blauen Spätsommerhimmel«, beschreibt der Autor den Anblick der brennenden Türme des World Trade Centers. Auch Vincent Burmeisters Zeichnungen zeigen diese Brennenden Türme über der Silhouette von New York, die dann, im zweiten Panel, im Rauch und Qualm schon halb versunken ist. Doch Burmeisters Spätsommerhimmel ist nicht blau, er ist tiefbraun. Denn er hat sich dazu entschlossen, den Comic hauptsächlich in schwarz-weiß zu belassen und für die eher flächige Kolorierung von Bildhintergründen oder zum Setzen von Akzenten nur drei Brauntöte zuzulassen, von Rost bis zu gelblichem Ocker.
Kraftlose Bilder
Diese Auswahl verleiht der gesamten Grafik natürlich etwas bewusst Artifizielles. Sie erinnert daran, dass diese Bilder eben nicht versuchen, die Dinge die sie abbilden, möglichst wirklichkeitsnah erfahrbar zu machen. Illustrationen, die vor ihrer eigenen Verführungskraft warnen. Auch das ist natürlich nichts neues und seit 9/11 auch schon oft häufig thematisiert worden: Die Schwierigkeit, den Krieg in die richtigen Bilder zu verpacken. Welche Bilder sind denn noch frei von Klischees und Propaganda, sind denn noch so ehrlich und unmittelbar, dass sie uns mehr über den Krieg erzählen, als wohlgewählte Worte es tun können?
Die Bilder in Kriegszeiten sind es irgendwie nicht. Das hat nichts mit dem (unbestritten großen) zeichnerischen Talent von Vincent Burmeister zu tun, sondern mit der Auswahl dessen, was er uns zeigt. Über die weitesten Strecken des Comics tut Burmeister irgendwie nichts anderes, als die Texte von Schraven mehr oder weniger 1:1 zu illustrieren: Der Text handelt von Wasserflaschen am Straßenrand, die Zeichnungen zeigen Wasserflaschen am Straßenrand. Der Text beschreibt die Explosion einer Sprengfalle: Wir sehen die Explosion einer Sprengfalle. Und erstaunlicherweise sieht das auch immer noch genauso aus, wie man es sich vermutlich ohnehin vorgestellt hätte, hätte man den Text ohne die Zeichnungen gelesen. Unser Bild des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan wird durch diesen Comic nicht verändert – zumindest nicht auf einer visuellen Ebene.
Anders sieht es da auf der rein inhaltlichen Ebene aus. Hier besticht der Comic dadurch, dass der Autor seine eigene Sichtweise mit zum Thema macht und zunächst weniger eine Situation als Ganzes, sondern seinen Eindruck der Situation beschreibt. Joe Sacco (Palästina) oder Emmanuel Lepage (Reise zum Kerguelen-Archipel) nicht unähnlich, lässt uns David Schraven daran teilhaben, woher seine Informationen stammen, lässt Soldaten zu Wort kommen, mit denen er sich unterhalten hat, beschreibt seine eigenen Reiseerfahrungen in Afghanistan. Was ihn dabei von Sacco und Lepage unterscheidet, ist hauptsächlich die Tatsache, dass er von sich nur als Reporter, nicht als Zeichner berichten kann. Während deren Arbeiten im wahrsten Sinne des Wortes direkt aus Gaza oder dem Kerguelen Archipel kommen, ist hier ein Zeichner zwischengeschaltet, dessen grafisches Talent unzweifelhaft hoch ist, aber der sich (so steht zu vermuten) dann doch nur an Archivmaterial abgearbeitet hat, was man dem Comic auch irgendwie anzusehen meint. Burmeisters Zeichnungen überhöhen oder stilisieren nicht, aber einem Realismus sind sie nur in Details verpflichtet, in der genauen Darstellung einzelner Waffen oder Kleidungsstücke – das große Ganze, die Totale, die Übersicht über eine Schlacht – solche Dinge werden eher simplifiziert.
Kraftvolle Worte
Der Erzählton von Schraven ist, trotz der Ich-Erzählung zunächst auch um diese eigenartige, distanzierte Art von Neutralität bemüht. Er erzählt, was er erlebt hat, und nicht, wie sich seine Gefühlswelt dazu verhält. Nach und nach entfaltet er dann ein Bild des Auslandseinsatzes, das uns mit eben diesem nüchternen Tonfall weit in das Album hinein lockt. Es passiert darin auch erst einmal nicht ganz so viel. Die Zeichnungen sind großformatig, die Textblöcke großzügig verteilt – kurz: Die Informationsdichte pro Seite ist nicht sonderlich hoch. Angesichts dessen wird schnell klar: als umfassendes Werk zum Afghanistankrieg wird dieser Comic nicht in Frage zu kommen. Dazu ist das Tempo zu gedämpft und der Standpunkt zu deutschlandzentriert.
Doch irgendwann bekommt diese Reportage ihren ganz einen Drive, und zwar dann, als Schraven plötzlich mehr tut, als nur zu beschreiben: Er urteilt. Er nennt Dinge beim Namen. Er redet Tacheles: »Keiner hatte eine blendende Idee, wie ein Sieg aussehen könnte. Aber wenigstens fiel irgendwem ein, wie man sich möglichst bald ohne Gesichtsverlust aus dem Staub machen kann. Die Staatsmänner nannten das ›Strategie‹«.
Je mehr Schraven in den Krieg hineingezogen wird, umso mehr gewinnt er zu ihm auch eine Haltung, die nicht mehr die des neutralen Erzählers oder Reporters ist. Der zweite Teil des Buches ist nicht nur Reportage sondern auch Statement – und das tut erstaunlich gut. Hier beweist der Comic seinen Mehrwert gegenüber einer reinen Reportage, an deren Bildern wir sowieso schon übersättigt wären. Hier bekommt das Buch so etwas wie eine Stimme, die etwas zu sagen hat, dem man vielleicht nicht unbedingt zustimmen muss, aber an dem man sich reiben kann. Damit trägt der Comic der Tatsache Rechnung, dass er nicht alle Aspekte seines sehr großen Themas abdecken kann, sondern mit seiner Haltung einen besonderen Aspekt der Geschichte aufzeigt. Das ist dann endlich die Stelle, an der man dem Werk wahrhaftig zubilligen kann, aktuell und wichtig zu sein – und daher lesenswert!
Titelangaben
David Schraven (Text), Vincent Burmeister (Zeichnungen): Kriegszeiten (Originalausgabe)
Hamburg: Carlsen Verlag 2012
128 Seiten, 16,90 Euro
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