Touristen im Kugelhagel

Digitales | Games: Bulletstorm

Neulich des Nachts sah ich auf einem Privatsender die – zugegeben etwas spekulative – Dokumentation ›Zukunft ohne Menschen‹. Das eigentlich Interessante waren die Computeranimationen, die zeigten, wie sich die Natur Stück für Stück die städtischen Errungenschaften der Menschen zurückerobert. Mit Epics neuem Shooter ›Bulletstorm‹ hat diese Bilderflut natürlich ihre Faszination auf einen Schlag verloren. Denn hier zeigt sich Mutter Natur von ihrer widerlich-schönsten Seite! RUDOLF INDERST gibt da nur zu gern den Pauschaltouristen.

BulletstormKommen wir zunächst zum Bilderrahmen: In einer fernen Zukunft kämpft eine Elite-Friedenstruppe gegen die Unruhen eines Bürgerkrieges. Verrat in den eigenen Reihen bringt jedoch zwei Mitglieder der gefürchteten »Dead Echo«-Einheit dazu, auf eigene Faust zu handeln. Als die beiden frischgebackenen Weltraumpiraten Grayson Hunt und Ishi Sato später erfolglos versuchen, das große Geld zu machen, stoßen sie auf die Ulysses, das Kriegsschiff ihres Ex-Kommandanten. Zahlen- und waffenmäßig unterlegen greift Grayson den Koloss frontal an und trifft schließlich eine letzte, selbstmörderische Entscheidung, um Rache zu nehmen: Er rammt das Kriegsschiff.

Nach ihrer anschließenden Beinahe-Bruchlandung sind Grayson und Ishi nun, umgeben von Mutantenhorden und fleischfressenden Pflanzen, auf dem entlegenen, paradiesischen Planeten Stygia gestrandet. Sie werden von zwei Zielen angetrieben: Lebend von dort zu entkommen und sich an dem Mann zu rächen, der sie in diese Lage gebracht hat. Und wer eins und eins zusammenzählen kann, kommt auch ganz schnell dahinter, dass Spielerinnen nun in die Rolle der gestrandeten Space-Piraten schlüpfen und für kräftigen Rabatz sorgen müssen. Dies allerdings allzu konsequent zu tun, würde bedeuten, sich nicht die Zeit zu nehmen, der wunderbaren Welt in all ihrer fantastischen Optik zu huldigen.

Von Menschen, Mutanten und Monstern

Versteht der Mensch etwas nicht, nennt er es fremdartig oder exotisch. Möchte er noch einen Schritt weiter gehen in seiner subjektiven Klassifizierung, greift er zum Begriff der Andersartigkeit. Von dort aus ist es nur noch einen Sprung zur monsterhaften Mutation. ›Bulletstorm‹ ist voller Mutationen. Da ist zunächst einmal der Partner des Protagonisten: Zu Beginn der Geschichte noch ganz Mensch, wird er wenig später flugs zum Cybernauten frisiert. Dass dies seinem Charakter nicht sonderlich gut tut, sei nur am Rande bemerkt.

Das Team stößt allerdings bald schon auf ganz andere Veränderungen. Eine ganze Stadt, durch die sich die beiden Level für Level schlagen, befindet sich im ungewollten Rückzug. Durch unverschämt hohe Dosen von kosmischer Strahlung verwandeln sich die Menschen zunehmend in mordlüsterne Kreaturen, ehe sie sich auch körperlich verändern. Doch nicht nur diese Mutationen haben die einst prächtige Stadt der Marke Retro-Sci-Fi im Griff, sondern auch die Natur bahnt sich – angetrieben von den Strahlen – ihren Weg durch Gemäuer, Fenster und Türen. Spielerinnen werden Zeuge dieser beeindruckenden Rückeroberungen. So schlendert man bei Sonnenuntergang durch verfallene Bauwerke, während oberschenkeldicke grüne Verästelungen ihren Einstand in jedem Raum feiern.

Dabei erinnert der Kampf auch mehr an den Besuch eines Vergnügungsparks denn einer echten Expedition in den sprichwörtlichen Großstadtdschungel. Statt von Interaktion sollte man in diesem Fall von einer Mono-Aktion sprechen. Die Perspektive und die Inszenierung sind alles – für die spielerische Freiheit bleibt nur der zweite Platz. Aber wäre dieses Urteil nicht etwa voreilig? Gibt es da nicht das gewisse Extra, das ›Bulletstorm‹ von anderen Shootern unterscheiden soll? Das Kill with Skill-Feature? 

Begabte und fleißige Handwerker des Todes werden in dem Actiontitel durch visuell brutale Animationen »belohnt«. Und plötzlich ist die Umwelt als Interaktionspartner wieder im Gespräch. Man muss sich aktiv mit ihr auseinandersetzen, um seine Punkteausbeute zu maximieren – zum Muss wird dieses Credo übrigens im Mehrspieler-Part. Dort wollen Wellen von Gegnern aus dem Verkehr gezogen werden; nur wenn die vorgegebene Punktehöhe erreicht wird, wird eine neue Runde eingeleitet. »Einfaches« erschießen reicht da nicht.

| RUDOLF INDERST

Titelangaben
Bulletstorm
Entwickler: People Can Fly, Epic Games
Publisher: Electronic Arts
Platformen: PlayStation 3, Xbox 360, Microsoft Windows

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

*thunk* Du bist nicht zum Spass hier!

Nächster Artikel

Tennis ist Krieg!

Weitere Artikel der Kategorie »Digitale Spiele«

Geisterjagd

Digitales | Games: Project Zero: Priesterin des schwarzen Wassers Habt ihr Angst im Dunkeln? Wie fühlt ihr euch nachts in einem verlassenen Flur bei Stromausfall, nur mit einer Taschenlampe ausgerüstet? Wenn es von irgendwoher klopft oder raschelt? Sind dann etwa Geister am Werk? Bei ›Project Zero: Priesterin des schwarzen Wassers‹ definitiv. Um die verlorenen Seelen aus der realen Welt zu verbannen, braucht ihr ein gutes Auge und natürlich eine geeignete Waffe. Und da nichts furchtbarer ist, als ein schlechtes Foto, macht Koei Tecmo das Gamepad kurzerhand zur Kamera. PHILIPP LINKE hat heute (k)ein Foto für Gespenster.

Der Monat in Spielkritik: März

Digitales | Der Monat in Spielkritik: März Jeden ersten Dienstag im Monat blickt das Ressort Digitale Spiele zurück auf lesenswerte und wichtige Texte zum Thema Spielekultur. Wir versuchen einen Überblick zu schaffen, und Aufmerksamkeit auf deutsche Texte zu lenken, wollen aber auch den englischsprachigen Raum, der zurzeit synonym mit informierter Spielekritik ist, nicht aus den Augen lassen. Von DENNIS KOGEL und CHRISTOF ZURSCHMITTEN

Täglich grüßt das Poketier

Digitales | Games: Pokémon: Let’s go! Was ist klein, gelb und bekommt eine neue Bewertung? Genau! ›Pokémon – Let’s go‹ von DANIEL MEYER.

Mit Feuerball und Enterhaken

Digitale Spiele | The Elder Scrolls Online Bethesda kann es nicht lassen. Nach dem erfolgreichen Rollenspiel Skyrim folgt gleich das nächste Abenteuer aus dem Hause des amerikanischen Entwicklers. Jetzt allerdings als online Multiplayer-Game. In The Elder Scrolls Online (kurz ESO) trifft Altbekanntes auf neu Gewonnenes. Wir bewegen uns im Elder Scrolls-Universum Tamriel, treffen auf monströse Bosse und bewältigen spannende Quests. Was das Spiel noch zu bieten hat, fand PHILIPP LINKE im Beta-Review heraus.

Vor der Revolution

Digitales | Games: Fable 3 Fable 3 ist seit genau einem Monat nun auch für den PC erhältlich und gibt damit Gelegenheit, sich nochmal ein Spiel anzuschauen, das seit dem »Arabischen Frühling« kaum aktueller sein könnte. DENNIS KOGEL über Staatsgewalt, Tyrannei und Revolution.