Tickt dieses Spiel noch richtig?

Digitales | Games: Alice: Madness Returns

Vor elf Jahren nahm ein fürchterliches Feuer Alice die Familie und hinterließ tiefe Narben in ihrem Geist. Sie wurde in der Rutledge-Irrenanstalt weggesperrt, wo sie sich mühte, ihre Dämonen zu bekämpfen, dabei aber immer tiefer in ihre Fantasiewelt abglitt – ins Wunderland. Jetzt, nach zehn Jahren, wird sie endlich entlassen – trägt jedoch noch immer schwer an der Last der Tragödie. RUDOLF INDERST gibt den Hutmacher und lädt zur Teeparty.

Alice - Madness returnsKeine leichte Aufgabe: In einem albtraumhaften Wunderland muss sich Roman-Ikone Alice den Dämonen stellen, die sie in ihren Visionen heimsuchen. Die Reise beginnt in der harschen Realität des viktorianischen London und führt ins wunderschöne und zugleich entsetzliche Wunderland, um die Ursache von Alices Wahnsinn und die Wahrheit hinter einem lang verborgenen, tödlichen Geheimnis zu enthüllen. Der Leser ahnt es schon: Mit der allseits bekannten und beliebten Kinder-Zeichentrickserie hat dieses Comeback nichts zu tun. Schon die Romanvorlage allerdings ist mitnichten das Kinderbuch, für das es viele geneigte Leserinnen lange hielten.

Der Verstand des jungen Mädchens ist zerschmettert; sie kann die Angst, die durch seltsame Erinnerungen, Träume und Visionen genährt wird, nicht zähmen. Vielleicht ginge es ihr im Wunderland besser. So wie früher. Sie reist dorthin und sucht, was ihr die »Realität« nicht bieten kann: Sicherheit, Erkenntnis und die Wahrheit über die Vergangenheit.

Während ihrer Abwesenheit hat allerdings auch das Wunderland leiden müssen. Irgendetwas ist gehörig schiefgegangen, und jetzt sucht eine böse Macht ihren einstigen Zufluchtsort heim. Die Frage ist also: Kann Alice das Wunderland – und sich selbst – vor dem Wahnsinn bewahren, der beide zerfrisst?

Bevor sich Regisseur Tim Burton letztes Jahr in gewohnt eigenwilliger Art den Lewis Carroll-Klassiker vornahm (und immerhin zwei Oscars und zahlreiche andere Ehrungen einheimsen konnte), hatte bereits im Jahr 2000 der Spiele-Designer American McGee seine gierigen Finger auf dem jungen Ding und entwarf eine eigene, dunkle, symbolhaft-aufgeladene Welt, die bei der Fachpresse sehr gut, in der Käufergunst gefühlt mittelmäßig ankam.

Vor allem die ungewöhnliche Charakter- und Weltdesigns stachen hervor, während sich unter erwähnten Hinguckern recht konventionelle Spielmechaniken tummelten. Ursprünglich dachten die kreativen Köpfe damals auch an eine Verfilmung des Spiels, doch nachdem einige Monate und Jahre ins Land gezogen waren, einigte man sich wohl lieber auf eine handfeste Fortsetzung des Titels.

Ich werd´noch verrückt!

Strukturell heruntergebrochen wechseln sich in Alice: Madness Returns drei Tätigkeiten in der 3rd-Person- Perspektive nacheinander ab: Springen, forschen und kämpfen. Und während sich die Kämpfe tatsächlich recht dynamisch und in den besten Momenten kraftvoll anfühlen (das Ausweichmanöver verleiht der Göre eine kräftige Portion Ninja!), sind die beiden anderen Teile karger Durchschnitt. Wenig inspirierend und sich wiederholend wirken diese Plattform sowie Entdecker-Passagen und offerieren – nebenbei bemerkt – jede Menge technische Mängel des ansonsten so pittoresken Fantasielandes.

Die Präsentation des Spiels ist, das muss an dieser Stelle ausdrücklich unterstrichen werden, eine tolle Leistung. Auch abseits des Wunderlandes entschließt sich McGee, konsequent dem Hasen in seinen Bau zu folgen und eine fabeleske Cityscape zu zeigen, die in ihrer Tristesse und mit ihrem menschlichen Antihumanistentheater viel bedrückender und bedrohlicher wirkt, als jede imaginierte Welt.

| RUDOLF INDERST

Titelangaben
Alice: Madness Returns
Entwickler Spicy Horse
Publisher Electronic Arts
Release: Erhältlich seit 16. Juni 2011
Plattformen: PC (Windows), Xbox 360, Playstation 3
Genre: Jump ’n‘ Run 
USK 16

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Monat in Spielkritik: Juni 2011

Nächster Artikel

Trennung, Schmerz & Katastrophe

Weitere Artikel der Kategorie »Digitale Spiele«

Rennen um die Pole-Position

Digitales | Games: Forza Motorsport 6 vs. Need for Speed Es könnte der Eindruck entstehen, der Rennspiel-Markt sei nur von Oldtimern besetzt. Das seit 2005 immer für Xbox erhältliche ›Forza Motorsport 6‹ trägt die Sechs stolz im Namen (und verheimlicht dadurch zwei Ableger mit offener Spielwelt). Im Vordergrund steht die Abbildung des modernen Motorsports; gefahren wird auf real existierenden Rennstrecken. ›Need for Speed‹ andererseits versteckt gut, dass es sich bereits um den 22. Titel der Reihe handelt. Deswegen haben sich die Entwickler ein Jahr Boxenstopp auferlegt, um mit einem frischen Produkt zurück zu den Wurzeln der Serie zu düsen. FLORIAN RUSTEBERG

Vom Klempner zum Architekten

Digitales | Games: Mario Maker 2 Als Nintendo im September 2015 mit Super Mario Maker den nutzerfreundlichen Editor zum Erstellen eigener Mario Level veröffentlichte, war die Begeisterung unter den Fans groß. Auf intuitive Weise konnten selbst die jüngsten Baumeister ihre Visionen verwirklichen. Der Erfolg sprach für sich, es war also nur eine Frage der Zeit, dass Nintendo einen Port für die Switch ankündigen würde. Wie wir im Februar 2019 erfuhren, sollte es jedoch nicht bei einem einfachen Port bleiben. Nintendo hat sich nicht lumpen lassen und einen vollwertigen Nachfolger entwickelt, der einige Kritikpunkte des Vorgängers ausgebessert hat und sogar Elemente

Brichst du auf gen Ithaka…

Digitales | Games: Assassin’s Creed: Odyssey … wünsch dir eine lange Fahrt. So beginnt ein bekanntes Gedicht Konstantinos Kavafis‘, das sich einiger Motive aus Homers Odyssee bedient und als Metapher für die Reise des Lebens interpretiert werden kann. Der neuste Ableger von Ubisofts ›Assassins’s Creed‹ Reihe hat mich immer wieder an dieses Gedicht erinnert. Begleiten Sie SEBASTIAN BLUME bei seiner Odyssee durch das antike Griechenland.

Wenn Wasserbomben in Zeitlupe in Gesichtern zerplatzen

Digitales | Games: Call of Duty: Modern Warfare 3 Am 9.11.2010 erschien ›Call of Duty: Black Ops‹ in Deutschland. Und, weil doch schon wieder ein Jahr herum ist, kommt ›Call of Duty: Modern Warfare 3‹ gerade recht. Zwar mangelt es nicht an anderer Actionkost, aber wenn die Pflicht ruft, folgen eben doch die meisten Spielerinnen. Auch RUDOLF INDERST tritt zum Appell an.

Tokyo sucht den Superstar

Digitales | Games: Tokyo Mirage Sessions #FE So viel vorweg: ›Tokyo Mirage Sessions #FE‹ wurde für den japanischen Markt entwickelt. Das verrät schon einiges, oder? Zumindest erwarteten die Entwickler offensichtlich keinen allzu großen Umsatz in Europa, denn es wird ausschließlich ein englischer Bildschirmtext in japanischer Sprachausgabe geboten. Zudem ist der Name des Hauptcharakters »Itsuki Aoi «für den Standard-Europäer nicht ohne Grimassen auszusprechen. Wenn das alles nicht abschreckt: Macht euch bereit für eine bunte Mischung voller Kitsch und Absurdität! Liebe Anime-Fans, hier ist TMS. Von PHILIPP LINKE.