Keinen Deut esoterisch!

Roman | Milena Moser: Montagsmenschen

Die Schweizer Schriftstellerin Milena Moser hat eine mittlere Odyssee hinter sich. Seit ihrem achten Roman Möchtegern (2010) scheint sie endlich eine verlegerische Heimat bei Nagel & Kimche in Zürich gefunden zu haben: Nach High Noon im Mittelland (2011), einer Sammlung ihrer Kolumnen, ist dort eben ihr neunter Roman erschienen, Montagsmenschen. Von PIEKE BIERMANN

Moser - MontagsmenschenWenn Milena Moser einen Roman bevölkert, dann kann man dreifach sicher sein: Erstens steckt er voller Figuren, bei denen vielen (vor allem, aber nicht nur) Leserinnen spontan einfällt: »Himmel, das kenn ich, geht mir genauso!« Zweitens sind die Sujets nicht in irgendwo in der Exotik angesiedelt – etwa unter Psycho- und Soziopathen, Vatikanverschwörern, in »der Mafia« oder sonst dergleichen, sondern da, wo der romanlesende Mensch meist selbst siedelt oder worüber er/sie sich Gedanken macht – auf Neudeutsch im modern times mainstream. In ihrem letzten Roman Möchtegern war das zum Beispiel die krause Welt der Fernseh-Castingshows samt Personal. Drittens schreibt Milena Moser immer extrem gut & gern lesbar, und das, obwohl sie Genregrenzen keck ignoriert und Literarisches, Lebenskluges, Alltägliches, sogar Trost & Rat mitplottet. Wie sie das alles hinkriegt, ist mir ein Rätsel. Aber was frommt guter Literatur mehr, als letzten Endes Rätsel zu bleiben?

Punktgenauer Anfang

Montags abends trifft sich eine Gruppe erwachsener Menschen – vor allem, aber nicht nur Frauen. Sie möchten sich mithilfe einer Lehre aus dem Wirrwarr lösen, in dem sie alle stecken, die Lehrerin eingeschlossen. Die Lehre heißt Yoga, gilt unter Verächtern als eine Art Ersatzreligion mit akrobatischen Mitteln und weckt oft Heilserwartungen, die ebenso oft brutal scheitern. Die Lehrerin heißt Nevada Marthaler, lebt mental in der Welt der klassischen Sutren des Patanjali und physisch in einem Zimmerchen über dem Yogastudio, isst vegan, raucht und trinkt nicht, nicht mal Kaffee. Sex ist seit fünf Jahren passé, dafür haben sich ihre täglichen asanas logarithmisch vervielfacht. Bis eines Tages das ganze Gebäude aus Selbstkasteiungen zusammenkracht und sie mit ihm: »Sie stand im Hund, und sie fiel auf die Schnauze.«

So beginnt der Roman, und gäbe es einen Oscar für punktgenaue Anfänge, er hätte ihn verdient. Er birgt alle Elemente in a nutshell: die ständige Reibung von vermeintlich heilend-heiligem Yogageist und tatsächlich banal-katastrophalen Lebenswelten, Milena Mosers verlässlich unheiligen, leichtfüßigen Erzählton und die Komik, die noch aus bösesten Prankenhieben des Schicksals Lebensfunken schlägt. Nevada hat Multiple Sklerose. Die nickeligen Grausamkeiten, mit denen ihre – eigentlich programmatisch der Sanftheit verpflichteten – Kolleginnen darauf reagieren, ist bald noch ihr kleinstes Problem.

Drei ihrer einst viel zu vielen Schüler bleiben ihr treu. Die Ärztin Marie Leibundgut kriegt ihr Leben zwischen Arbeit und Ehe mit einem Fernseh-Traummann und dessen Teenie-Tochter nicht geregelt. Der Lehrer Ted Flubacher ist von Frauen umzingelt und versteht trotzdem – oder deshalb? – keine, nicht mal seine sechsjährige Tochter. Poppy Schneider schließlich, beruflich im Keller der Lokalzeitung bei der »Online-Leserbindung« geparkt, kommt mit ihrem ganzen Leben nicht klar, hat einfach zwei linke Hände und ist der klassische Trampel aus Versagenspanik. Irgendwie funktionieren sie alle nicht richtig. Sie sind eben »Montagsmenschen« – so wie Autos mit Produktionsfehlern »Montagsautos« sind. Nur kann man mit Menschen keine Rückrufaktion veranstalten. Die müssen trotzdem durchs Leben kommen.

Tragisch, komisch, tricky

Wie sie das tun, wie sie allmählich dahinterkommen, warum sie sind, wie sie sind, und wie man damit durchs Leben kommen kann, darum geht es in Milena Mosers neuem Roman. Und zwar mit meisterhafter trickyness. Wer nur das Cover ansieht oder das Buch durchblättert und die Yogasutren vor den Kapiteln liest, automatisch »Eso-Schneso-Tüdelü« erwartet und abwinkt, dem entgeht eine bis in kleinste Fäden präzis geführte, vertrackte Dramaturgie um vier Hauptfiguren und ihre ziemlich zahlreiche Umgebung.

Es geht hier auch weder um irgendein modisches Wellness-Milieu, noch zetteln die identifikationsträchtigen Figuren Sisterhood-is-powerful-Kitsch an, im Gegenteil. Nicht nur, weil Männer auch Platz haben und auch diverse Mütter-Töchter-Freundinnen-Schwestern ziemlich bös ihr Fett abkriegen, sondern vor allem weil Milena Moser nie die Distanz verliert, aus der man sieht, wie grotesk das ganze Theater auch ist, und befreit lachen kann. Sie hat ein absolutes Gehör für all die neumodische Rabulistik und einen Adlerblick für eine Gegenwart, in der sich Vergangenheit und Zukunft verheddern und entwirren lassen. Und schließlich verweist der Wink mit einer Leiche im Klappentext keineswegs auf »Krimi«. Zumal der kriminalistische Nebenzweig der einzige mit schlechter Bodenhaftung ist: Eine der Hauptfiguren geht freiwillig in U-Haft für eine Tötung, die jemand anderes begangen hat – plausiblerweise würde sich spätestens der Haftrichter dafür interessieren, wie sie die Tat denn so begangen haben will.

Trotzdem ist der Roman sehr wohl auch Verbrechensliteratur, und das wird Schicht für Schicht unter dem Oberflächengewebe deutlich. Denn er handelt vom Verbrechen, das mitten im Leben nistet: als Regel, nicht als Ausnahme. Er erzählt von der ganz alltäglichen, entsetzlich normalen Gewalt, deren Auswirkungen sich in feinste Kapillaren ätzen und Kinderseelen genauso zerstören wie Vatergefühle und Liebesfähigkeit. Gemessen daran verliert ein Tötungsakt jede sensationelle Aura – eine kühne Pointe. Und so gesehen ist Montagsmenschen ein sehr ernster Roman, gerade weil er einen mit seiner Komik zwingt, die Dinge des Lebens gefälligst selbst in die Hand zu nehmen. Auch so eine Yoga-Weisheit.

Eine erste Version dieser Rezension wurde am 7. März 2012 bei Deutschlandradio Kultur veröffentlicht.

| PIEKE BIERMANN

Titelangaben
Milena Moser: Montagsmenschen
Zürich: Nagel & Kimche 2012
400 Seiten. 19,90 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nachwelt in der Schleife

Nächster Artikel

Halb-göttlich, voll-zornig

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Klick und ratsch!

Roman | Nina Sahm: Das letzte Polaroid Übermütige Momentaufnahmen und eine innige Mädchenfreundschaft, trügerische Erinnerungen und die Vergänglichkeit aller Dinge sind die verbindenden Themen von Nina Sahms leichtfüßigem Erstlingsroman. Was passiert, wenn das Schicksal zuschlägt und als Andenken nur noch Das letzte Polaroid übrig bleibt? Von INGEBORG JAISER

Der rettende Schuss

Roman | Javier Cercas : Outlaws Spätestens mit seinem Roman Anatomie eines Augenblicks, den die wichtigste spanische Tageszeitung El Pais 2009 zum Buch des Jahres kürte, hat der 52-jährige Javier Cercas auch außerhalb Spaniens den Durchbruch geschafft. Als »grandios« hatte der bekannte argentinische Autor Albert Manguel diesen, auch mit dem  Premio Nacional de Narrativa ausgezeichneten Roman gerühmt, der um den gescheiterten Militärputsch des Jahres 1981 kreist. Jetzt ist sein neuer Roman Outlaws erschienen. Von PETER MOHR

Es ist nicht vorbei

Krimi | Horst Eckert: Wolfsspinne Zum dritten Mal lässt der Düsseldorfer Autor Horst Eckert in Wolfsspinne seinen Kommissar Vincent Ché Veih ermitteln. Der kommt aus einer tief in die deutsche Geschichte verstrickten Familie. Der Großvater ein unbelehrbarer Nazi, die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater – wie man erst in diesem Roman erfährt – zunächst linksextrem, dann zur extremen Rechten konvertiert und ein Cousin aus dem thüringischen Jena als V-Mann des Verfassungsschutzes in die NSU-Affäre verstrickt. Kein Wunder, dass sich Veih mit Vorliebe in Fälle stürzt, die einen politischen Hintergrund besitzen. Auch diesmal dauert es nicht lang, bis er sich mit

Ermittlungen im Exil

Roman | Deon Meyer: Todsünde

Kapstadts Spezialeinheit zur Aufklärung von Tötungs- und Gewaltdelikten ohne Bennie Griessel und Vaughn Cupido? Undenkbar. Und doch müssen Deon Meyers Helden in ihrem achten Fall nicht nur erneut gegen die Zeit und einen raffinierten Feind, sondern auch um ihre Reputation kämpfen. Aus disziplinarischen Gründen hat man sie nämlich degradiert und in die Universitätsstadt Stellenbosch abgeschoben. Dort halten sie zwei Vermisstenfälle auf Trab. Dass die mit der Ermordung eines Polizisten in Kapstadt zusammenhängen, der Korruptionsfällen im Sicherheitsapparat auf die Spur gekommen ist, scheint zunächst nur eine Vermutung zu sein. Aber Griessel und Cupido beginnen, Zusammenhängen nachzuforschen- wenn sie Erfolg haben, könnte das ihren Ruf vielleicht wiederherstellen. Von DIETMAR JACOBSEN

Kein Ort für Gott

Roman | Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen

Der polnische Fernfahrer Radek Malarczyk hat Glück: Als ein Unbekannter seinen VW Bulli, in dem er seit einiger Zeit auf Berliner Parkplätzen übernachtet, in Brand steckt, gelingt es ihm, gerade noch mit dem Leben davonzukommen. Der Journalistin Jette Geppert erzählt er daraufhin im Unfallkrankenhaus eine Geschichte von Schuld und Sühne. Die junge Frau Anfang 30 steckt selbst gerade mitten in einer Krise. Doch das Angebot der Polizistin Romina Winter, sich ihr anzuvertrauen, schlägt sie vorerst in den Wind. Und währenddessen glaubt ein junger Postbote dazu bestimmt zu sein, dem über die Stadt herrschenden Satan mit Feuer entgegentreten zu müssen. Johannes Groschupfs drittem Berlin-Roman gelingt auf beeindruckende Weise das Porträt einer Stadt, in der die Widersprüche unserer Zeit und unserer Gesellschaft wie nirgendwo anders in Deutschland zutage treten. Von DIETMAR JACOBSEN