Aus Geschichte werden Geschichten. Das birgt immer ein Risiko in sich, ganz besonders wenn es um das 3. Reich und Konzentrationslager geht, findet ANDREA WANNER
In ihrem Nachwort berichtet Lucy Adlington davon, dass Hedwig Höß, die Frau des Lagerkommandanten von Auschwitz-Birkenau, sich zunächst einen Teil ihrer Garderobe von Häftlingen in ihrer Villa anfertigen ließ, ab 1943 dann in einer eigens dafür eingerichteten Werkstatt. Dort waren auf dem Lagergelände dreiundzwanzig Schneiderinnen beschäftigt, eine von Ella, Heldin des Romans.
Ella kann nähen, das hat sie bei ihrer Großmutter gelernt. Dass sie eine Zuschneiderin sei, die geübt in der Anfertigung von Musterentwürfen sei, ist eine Lüge. Aber eine, die ihr einen Platz in der Schneiderei und damit das Überleben sichern soll. Sie ist auch nicht, wie behauptet 16, sondern erst 14 Jahre alt. Auf dem Heimweg von der Schule wurde sie in ein Fahrzeug gezerrt und in das Vernichtungslager gebracht. Es ist der Horror pur, Ellas Chancen, Birkenau zu überleben, sind gering. Sie hat das Pech, Jüdin zu sein.
Die Fakten, die Adlington anfügt, berichten von über einer Million ermordeten Menschen in Auschwitz. Das Grauen, das diese unvorstellbare Zahl hervorruft, schwebt über den Seiten der Geschichte. Vorsichtig versucht die Autorin, das Unbeschreibbare zu beschreiben. Das Essen, das den Namen nicht verdient; das Ungeziefer in den Baracken; die Kälte; die Scham. Und das Entsetzen, als Ella klar wird, woher der Rauch aus den Schornsteinen kommt. Was sie dagegen setzen kann, sind Erinnerungen an die Tage bei ihren Großeltern. Und Träume von einer besseren Zukunft, in der sie ein eigenes Modeatelier haben wird. Wer sie dabei mit Fantasie und Geschichten unterstützt, ist Rose, ein Mädchen aus besseren Kreisen, die mit Personal und einer schreibenden Mutter groß geworden ist. Die beiden werden Freundinnen. Zwei, die sich aufeinander verlassen, was innerhalb des Lagers eine Seltenheit ist.
Es ist schwierig, sich von der Geschichte gefangen nehmen zu lassen und dabei nicht zu vergessen, dass Auschwitz entsetzliche Realität ist, ein Stück deutscher Geschichte, das bis heute sprachlos macht. An vielen Stellen gelingt Adlington diese Gratwanderung tatsächlich. Das, was Ella und Rose erleben, ist entsetzlich. Ein rotes Samtband gibt ihnen Hoffnung in den dunkelsten Stunden. Die Kapitel tragen die Namen von Farben: GRÜN – GELB – ROT – GRAU – WEISS – ROSA. Mit jedem Kapitel beginnt ein neuer Abschnitt, eine neue Phase des Leidens.
Aber dann ist das Ganze eben auch ein Jugendbuch und irgendwie hat man das Gefühl, Adlington selbst hat das Erschütternde nicht länger ausgehalten. Also gibt es ein Zuckergussende, das vielleicht zu einem Märchen gepasst hätte, aber nicht zu einem Auschwitzroman. Natürlich spürt man Erleichterung, freut sich über ein Happy End, das aber so unglaubwürdig ist, dass am Ende das Gefühl hat, dass da eine nicht verstanden hat, was damals tatsächlich geschehen ist.
Titelangaben
Lucy Adlington: Das rote Band der Hoffnung
(The Red Ribbon, 2017). Aus dem Englischen von Knut Krüger
Bamberg: Magellan 2021
336 Seiten, 18 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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