Bis zum Abwinken

Jugendbücher | J. Gridl: Das Leben meines besten Freundes / B. Pfeiffer: Celfie und die Unvollkommenen

Der Winter ist die Zeit zum Schmökern, dementsprechend sind die Büchertische bestückt. Abenteuerliches kommt gut an, ob um jeden Preis ist allerdings fraglich. Von MAGALI HEIẞLER

J Gridl - Das Leben meines besten Freundes 9783957280633Die junge Autorin Judith Gridl setzt in ihrem Debütroman auf Bewährtes, Rollentausch. Garniert wird das mit Ingredienzien aus der lokalen Sensationspresse, in diesem Fall ein böser arabischer Clan im Berliner Wedding, dem Herzweh der ersten Teenagerliebe, liebevolle versus überehrgeizige Eltern, Detektivspiel und gute Freundinnen und Freunde.

Samir und Jacob sehen sich ähnlich genug, dass sie häufig verwechselt werden. Ihr Alltag dagegen könnte unterschiedlicher kaum sein. Samir ist im Wedding aufgewachsen, Jacob im reichen Teil Zehlendorfs. Dementsprechend verwöhnt ist er. Verliebt ist er auch. Als seine Eltern ihn ins Internat schicken, weil er fürs Lernen Nullkommagarnichts übrig hat, ist Jacob empört.

Es trifft sich gut, dass Samir gerade in der Patsche sitzt. Er hat sich mit dem bösen Clan angelegt. Sein Vater ist nämlich verschwunden und Samir ist überzeugt, dass die Weddinger Finsterlinge dahinterstecken. Denen passt der aufdringliche Kinderdetektiv gar nicht. Was liegt näher, als Samir als Jacob im Internat in Sicherheit zu bringen, während Jacob als sein Verwandter im Wedding untertaucht, um seine erste Liebe nicht zu verlieren?

Unvermutete Entdeckung

Die Setzung ist haarsträubend, garantiert jedoch prima Unterhaltung. Man kann die wild-rasante Geschichte inhalieren, kann mitfiebern, mitzittern und am Ende befriedigt zurücksinken. Sogar der böseste Finsterling hat ein weiches Herz. Also, wenn er Lust dazu hat. Jedenfalls bekommt auch er sein Fleißbienchen. Ist das schön!

Eingeschrieben hat sich in dieses altvertraute Muster eines Detektivromans für Jugendliche jedoch eine andere Geschichte, wobei nicht sicher ist, ob das so beabsichtigt war. Die männlichen Figuren, die auftreten, haben enorme Probleme damit, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Sie tun vornehmlich, was ihnen in den Kopf schießt und erklären das für recht und gut. Je nach gesellschaftlichem Stand auch zum Recht und zum Gut. Sogar ein Kaninchen fällt dieser Einstellung zum Opfer.

Verantwortlich verhalten sich dagegen die Frauen. Egal ob Kind, Teenager oder Schulleiterin, ob auf der Seite der Bösen oder der Guten, das bisschen Verstand und Sozialverhalten, das die Autorin ihren Figuren zugesteht, ist eindeutig beim weiblichen Geschlecht zu finden. Diese unvermutete Entdeckung in einer Geschichte, deren Hauptfiguren zwei Jungen sind, hat ihren eigenen Witz und ist ein Plus in dieser Ansammlung von Überkommenem, Stereotypen und Weltfernem, das Boden, Gerüst und Dach des Konstrukts bildet.

Lebende Kunstwerke. – Och, nö.

Letzteres gilt auch für ›Celfie und die Unvollkommenen‹ von Boris Pfeiffer, obwohl er mit einer reizvollen Grundidee hantiert. Ein Mädchen rätselhafter Herkunft und mit sehr seltsamen Blauaugen kann Graffitis zum Leben erwecken. Viel mehr, das sei gleich gesagt, kommt nicht.

Je weiter die Geschehnisse voranschreiten, desto mehr fragt sich die Leserin, wo denn die Geschichte bleibt. Schließlich ist nichts weniger als die Welt in Gefahr! Aneinandergereihte Rettungsaktion der von Sandstrahlern bedrohten Wandbilder stellen auf Dauer nicht zufrieden, so putzig die Figuren auch beschrieben werden.

Tatsächlich liest sich das Ganze bald wie ein ausführlich gestaltetes Personenverzeichnis, am ehesten für ein Bühnenstück. Die Figuren agieren nicht im Rahmen einer Erzählung, sie entwickeln sich nicht, zeigen keine anderen Facetten. Sie haben Auftritte, produzieren sich und sind sie selbst, wie beschrieben. Wozu man dazu die Dreidimensionalität bemühen muss, bleibt das Geheimnis des Autors.

Das ewige Kind

Celfie selber hat schlechte Karten bei diesem Spiel. Pate bei der Charakterisierung stand deutlich ein gewisser Kleiner Prinz. Auch Momo dürfte vorbeigeschaut haben. Das klassische Motiv des reinen Kinds als Heilbringer wird weidlich ausgenützt. Daher versackt der Text nach einem wirklich aufregenden Einstieg in Deklamationen philosophischer Überlegungen fragwürdiger Qualität bis hin zu plattem Moralisieren. Celfie ist allwissend und allweise. Dass der Bösewicht Despott mit Nachnamen heißt, ist ein Schritt jenseits der Schmerzgrenze, die bereits mit der Jungenfigur Kyle-ohne-Krone resp. Kyle, der Keil sowie der unseligen Benennung der Protagonistin erreicht ist. Da Handlung fehlt, müssen die magischen Augen Celfies, besonders ihre Farbe, wieder und wieder zur Unterfütterung herhalten. Im faszinierendsten aller Blautöne liegt das Heil. Na denn.

Celfie 9783440151945Bei der Erklärung der Zusammenhänge verheddert sich Pfeiffer immer stärker. Der geheimnisvolle Herkunftsort der Graffitis ist eine Art Paradies. Da Graffitis aus sich heraus leben und nichts brauchen, um am Leben zu bleiben, passt das. Überträgt man das auf Menschen, passt gar nichts mehr.

Die Dimension Zeit wird ins Spiel gebracht, die Angst macht, wodurch Menschen machtgierig und böse werden. Graffitis, die ohne Zeit leben, haben keine Angst und sind alle gut. Alle? Auch Nazi-Graffitis? Die kommen in diesem Kosmos gar nicht vor.
Kunst ist gut und unschuldig. Und wenn Menschen nur freundlich sind und miteinander spielen, kann niemandem etwas passieren. Ungeschickterweise muss Celfie für dieses Zuckerguss-Finale etwas einsetzen, dass ein Unschuldswesen wie sie eigentlich ablehnt. Macht.

Aber wir wissen alle, dass Macht von Guten gut ist. Nur bei Bösen ist sie böse. Was wir auch alle wissen, ist, dass wir uns am besten um nichts kümmern, denn es wird ein Wesen erscheinen, voller Magie, das alles gut machen wird. Eines Tages. Ganz bestimmt. Doch, doch. Wir hängen eben an unserem Kinderglauben. Ewige Kinder, die wir sind.
Und das im Jahr 2017!

| MAGALI HEIẞLER

Judith Gridl: Das Leben meines besten Freundes
München: Knesebeck 2017
237 Seiten. 14,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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Boris Pfeiffer: Celfie und die Unvollkommenen
Stuttgart: Kosmos 2017. 299 Seiten. 14,99 Euro
Jugendbuch ab 11 Jahren
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