/

Wer investiert, verliert

Roman | Petros Markaris: Das Lied des Geldes

Mitten in Athen wird die Linke zu Grabe getragen. Initiiert von Lambros Sissis, dem Freund des soeben zum stellvertretenden Kriminaldirektor beförderten Kostas Charitos. Der steht der Aktion des enttäuschten Altkommunisten zwiegespalten gegenüber. Einerseits kann er den Mann verstehen. Andererseits fürchtet er, in die gerade entstehende Protestbewegung der Armen, die sich von den eigenen Politikern betrogen fühlen, könnten sich Elemente mischen, die Fremdenfeindlichkeit und Gewalt predigen. Ihn selbst beschäftigen gerade ein Mord und ein damit in Zusammenhang stehendes Lied, die scheinbar nichts zu tun haben mit Sissis Initiative. Doch da irrt der Mann gewaltig. Von DIETMAR JACOBSEN

Der Vollmond geht über einer Häuserzeile aufEr hat Grund zur Freude, der Athener Polizist Kostas Charitos, den die Leser schon auf zwölf Missionen begleiten durften. Nun, kurz bevor ihn Fall 13 beschäftigt, ist er nicht nur endlich zum Vizekriminaldirektor befördert worden, sondern darf sich obendrein auch noch über einen Enkel freuen. Benannt hat man den nach einem alten Freund der Familie, Lambros Sissis, den Leiter eines Obdachlosenasyls. Allein während der kleine Lambros für große Freude bei Eltern und Großeltern sorgt, hat sein Namensgeber gerade damit begonnen, eine neue Protestbewegung ins Leben zu rufen.

Nachdem sie in die politischen Institutionen eingerückt ist, hält Sissis die griechische Linke nämlich inzwischen für gescheitert. Bei einem symbolischen Marsch durch Athen wird sie von ihm und einhundert weiteren Sympathisanten deshalb symbolisch zu Grabe getragen. Sissis Überzeugung, dass nur die Armen selbst sich aus ihrem Elend befreien können, soll eine neue soziale Bewegung von unten begründen. Und seine Initiative kommt gut an bei allen Verlierern der Krise bis weit hinein in den gebeutelten Mittelstand und die sich einen Platz in der Gesellschaft suchenden Migranten.

Der Aufstand der Armen

Derweil sind Kostas Charitos und sein Team wieder einmal mit einem Mord beschäftigt. Ein saudischer Investor ist kaltblütig erstochen worden. Mitten in Athen. Und Spuren, die den ermittelnden Polizisten helfen würden, gibt es kaum. Doch noch ehe man den Fall ungelöst zu den Akten legen muss, schlägt der Mörder ein weiteres Mal zu. Diesmal ist das Opfer ein chinesischer Geschäftsmann, der im Auftrag dubioser Investoren ein halbes Stadtviertel aufkauft, um Platz für airbnb-Wohnungen zu schaffen. Und eine Spur in Form eines Liedes tut sich ebenfalls auf – ein Lied, auf das es schon einen vagen Hinweis nach dem ersten Mord gab und das die Polizisten nun als eine bewusst hinterlassene Botschaft des Mörders zu verstehen beginnen.

»Was strebst du nur nach Gold und Geld?«, beginnt der Text des populären Schlagers. Und die erste Strophe endet: »Liebst du es dennoch allzu sehr,/ bringt’s nur Verdruss und Schmerz.« Will jemand mit der Ermordung ausländischer Investoren, die das Land dringend zu brauchen scheint, damit die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt, ein Zeichen setzen? Eine Nachricht an all jene senden, die an Hilfen von außen für die griechische Wirtschaft denken? Überlegt es euch gut und lasst uns Griechen das Land selbst wieder aufbauen, statt uns immer ärmer zu machen, könnte die lauten. Dass die Mordfälle – am Ende kommt ein dritter hinzu, diesmal an einem Landsmann, der Kontakte zu ausländischen Finanzberatern und Kapitalanlegern herstellt – auf großes Interesse auf ministerieller Ebene stoßen, versteht sich unter diesem Aspekt nur zu gut. Und so ist der Druck enorm, den Charitos und seine Mitarbeiter zunehmend verspüren. Doch endlich stößt man in einem Notizbuch, das bei dem toten Chinesen gefunden wird, auf  Hinweise bezüglich eines seine Opfer geschickt in die Falle lockenden Pärchens und der Fall scheint sich seiner Lösung zu nähern.

Das Lied von Geld und Gier

Dass Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, mit der griechischen Linken sympathisiert, weiß man seit Langem. Bei Kostas Charitos, seinem kleinbürgerlichen Helden von inzwischen mehr als einem Dutzend Kriminalromanen, ist das nicht so einfach. Als Polizeianwärter während der Zeit der Militärdiktatur (1967 – 1974) hat er sich systemkonform verhalten und sogar an Folterungen teilgenommen. Aus jenen Jahren kennt er den überzeugten Kommunisten Lambros Sissis, der zuerst als sein unerbittlicher Gegner auftrat, um ihm später sein Verhalten zu verzeihen und mit der Zeit sogar zum engen Freund der Familie zu werden.

Inzwischen ist Sissis freilich desillusioniert von dem, was er in den letzten Jahren in seiner Heimat erleben musste, und denkt an neue Formen des Widerstands. Die erforderliche Plattform dafür soll auf Kundgebungen geschaffen werden, zu denen man alle einlädt, die unter den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen mehr zu leiden haben, als dass sie vom staatlich proklamierten Aufschwung profitieren. Auch Charitos‘ Frau Adriani, seine Tochter Katerina und viele andere Bekannte beteiligen sich daran.

Die »Internationale der Armut«

Kostas selbst tut sein Möglichstes als für die Sicherheit von Stadt und Bürgern zuständiger Polizeibeamter, damit die Aktionen des Freundes nicht eskalieren oder rechte Elemente in die Protestbewegung einsickern. Dass der Mörder, den er und sein Team just zu dieser Zeit suchen, schließlich dennoch im Umkreis von Sissis‘ Bewegung gefunden wird, empfindet dieser zunächst als schweren Schlag für sein Anliegen. Bevor er jedoch kapitulieren kann, bestärkt ihn nicht zuletzt die Familie seines Freundes Kostas Charitos im weiteren Kampf für die von ihm  ins Leben gerufene »Internationale der Armut«.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Petros Markaris: Das Lied des Geldes
Ein Fall für Kostas Charitos
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger
Zürich: Diogenes Verlag 2021
311 Seiten, 24 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Überlebenstipps

Nächster Artikel

Ein bisschen Glanz in finsteren Zeiten

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Radikal innovativ

Film | Im TV: ›TATORT‹ 924 – Die Feigheit des Löwen (NDR), 30. Nov Diesmal wird in deutsch-syrischen Zusammenhängen ermittelt, es geht zunächst um illegale Immigranten und um einen Schleuserring, der in einen Todesfall verwickelt ist, gefälschte Pässe, die Bundespolizei fahndet. Von WOLF SENFF

Krass kann hilfreich sein

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Das verkaufte Lächeln (BR) 28. Dezember, 20.15 Uhr Kinder sind ein heikles Thema. Enorm vorbelastet, Kinderschänder und so, aber manche Themen werden eben überstrapaziert. Kinder kommen ebenfalls gut im Drehbuch, wenn das ausgewachsene Publikum gerührt werden soll, gab’s alles, hatten wir neulich erst, so mancher Sender barmt um sein Profil zwischen Qualität und Quote. Von WOLF SENFF

Beton, Biker und ein Psychopath

Roman | Scott Thornley: Der gute Cop
Detective Superintendent Iain MacNeice genießt den Ruf, der beste Cop der Mordkommission von Dundurn zu sein. Der Witwer und passionierte Grappa-Trinker ist einfühlsam, unkonventionell in der Wahl seiner Methoden und immer ein kleines Stückchen schneller als seine Mitarbeiter, wenn es gilt, Schlüsse zu ziehen. Als zwei rivalisierende Biker-Gangs einen blutigen Krieg anfangen, sechs Leichen aus dem Hafenbecken der fiktiven, am Ontariosee gelegenen kanadischen Stadt geborgen werden und obendrein ein perverser Frauenmörder damit beginnt, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen, ist das aber auch für MacNeice fast zu viel. Doch zum Glück muss er ja nicht allein gegen das Verbrechen antreten. Von DIETMAR JACOBSEN

»Death sells« – Der Tod als Marketinginstrument

Roman | Musik | Hollow Skai: Samuel Hieronymus Hellborn – Memoiren eines Rockstar-Mörders Bei David Bowie oder Lemmy Kilmister hatte er seine Finger nicht im Spiel. Das kann aber purer Zufall sein: als die starben, war er selbst schon tot. Bei praktisch allen anderen Big Names aus der Branche »populäre Musik« dagegen hat sich Samuel Hieronymus Hellborn zum Herrn über (Markt/Nach-)Leben & Tod aufgespielt. Wie und warum, das hat Hollow Skai soeben veröffentlicht: in den ›Memoiren eines Rockstar-Mörders‹, nach Diktat von Hellborn persönlich. Von PIEKE BIERMANN

Das Ungeheuer von Hannover

Roman | Dirk Kurbjuweit: Haarmann

»In Hannover an der Leine,/ Rote Reihe Nummer 8,/ wohnt der Massenmörder Haarmann,/ der schon manchen umgebracht«, heißt es in einem populären Schauerlied aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es bezieht sich auf den bekanntesten Serienmörder Deutschlands: Fritz Haarmann. 1879 in der Stadt geboren, in der er 1923/1924 mindestens 24 Morde beging, verurteilte ihn, nachdem man seiner habhaft geworden war, ein Schwurgericht im Dezember 1924 zum Tode. Das Urteil wurde im April des darauffolgenden Jahres vollstreckt. In der Kunst (Literatur, Film, Bildende Kunst, Musik) lebt Haarmann freilich bis heute weiter. Nun hat der gelernte Journalist Dirk Kurbjuweit einen Roman über den »Werwolf von Hannover« geschrieben. Und es gelingt ihm auf faszinierende Weise, den Mörder Haarmann und die mörderische Zeit, in der er lebte, als zwei Seiten einer Medaille darzustellen. Von DIERMAR JACOBSEN