Der Unwohlfühl-Shooter

Digitales | Games: Spec Ops: The Line

Da geht noch was: VOLKER BONACKER hat sich mit ›Spec Ops: The Line‹ ins Herz der Finsternis gewagt, um nach einer Antwort auf die Frage zu suchen, ob es abseits wehender Fahnen und Alphamännchen-Überkrieger nicht auch anders funktionieren kann.

Spec Ops The LineDas Spannende an der Frage, was digitale Spiele zu leisten oder nicht zu leisten vermögen, ist, dass die Antwort darauf konstant neu verhandelt werden muss. Jeder neu erscheinende Titel ist schließlich in der Lage, das Medium entweder um einige Nuancen reicher zu machen oder – in seltenen Fällen – gleich komplett auf ein neues Level zu heben. Im Falle von ›Spec Ops: The Line‹ ist in dieser Hinsicht vielfach die Frage gestellt worden, ob das ambitionierte Werk der Berliner Entwickler Yager den Shooter aus seinem selbstgewählt-selbstverschuldeten Exil irgendwo in den Untiefen von übersteigerter Männlichkeit, Hurrapatriotismus und stupider Handlung führen könne – lautet das Mission Statement der Macher doch, Unwohlfühlen zu erzeugen und den Krieg als das zu zeigen, was er ist: grauenhaft, unmenschlich.

Ein Punkt, an dem bisherige Shooter mit Kriegsszenario sich oftmals vergeblich abgearbeitet haben: Call of Duty hat mit verschiedenen Szenen (der Flughafen-Abschnitt in Modern Warfare 2 sowie die Familienurlaubs-Aufnahmen aus London in Modern Warfare 3) versucht, Terror und Leid persönlich erfahrbar zu machen. Homefront wurde noch deutlicher und sparte nicht mit drastischen Darstellungen von Massengräbern. Beide haben für einen kurzen Moment gekonnt zu schocken vermocht – nur ist das gezielte Triggern audiovisueller Reize eben nicht mit dem Erzeugen einer komplexen Emotion wie Grauen oder Abscheu zu verwechseln. Vor allem dann nicht, wenn es sich nur um wenige, von der Hauptgeschichte isolierte Szenen in ansonsten biederen Shootern handelt, an deren Ende der Gute (aus der westlichen Welt) den Bösen (aus der post-sowjetischen oder arabischen Welt) besiegt. Der Eindruck, die Entwickler bauten derartige Elemente nur um des Schockmoments willen ein, etwa um auf einen nachfolgenden Skandal zu spekulieren (eine Rechnung, die im Falle von Modern Warfare regelmäßig aufgeht), besteht weiterhin.

Gleichermaßen mängelbehaftet hat sich in zahlreichen Fällen die Beziehung zwischen Spieler und Spielfigur gestaltet. Sei es durch eine Dauerrotation an Charakteren, die der Spieler zu übernehmen hat (Call of Duty), Sinnlos-Sprüche klopfenden Helden (Medal of Honor) oder schlicht einer Story, die ihr Potenzial nicht ausschöpft (Homefront): Sich vollends in eine Figur hineinversetzen zu können, in ihr aufzugehen und damit in jener »überlebensgroßen Situation« zu fühlen, als Activision-CEO Eric Hirshberg die Call of Duty-Spiele bezeichnet hat, wollte bislang einfach nicht so recht klappen. Es bleiben Momente, in denen Spieler angesichts fetter Explosionen, effektreicher Materialschlachten oder Ein-Mann-Armee-Jobs zwar gepackt werden, deshalb aber noch lange nicht mitfühlen mit dem, was da auf dem Bildschirm eigentlich geschieht. Stattdessen gilt: Neue Gegnerwelle, draufhalten, nachladen, neue Gegnerwelle, draufhalten.

Derart pessimistisch über das Genre zu urteilen, beantwortet die eingangs gestellte Frage allerdings nicht – bieten festgefahrene Strukturen doch den idealen Nährboden für Neues. Hier macht Spec Ops: The Line zunächst auch einiges an Boden gut und zeigt der etablierten Konkurrenz, dass und wie es eben doch anders gehen kann. »Das Erzählen einer glaubwürdigen Geschichte ist uns sehr wichtig und hat Einfluss auf alle Entscheidungen die im Verlaufe der Entwicklung von Spec Ops: The Line getroffen wurden« fasst Art-Director Mathias Wiese die Idee zusammen.

Die glaubwürdige Geschichte dreht sich um ein im Wüstensand versunkenes Dubai. Gewaltige Sandstürme haben der Stadt den Garaus gemacht, die Natur zeigt dem Menschen die Grenzen der eigenen Hybris auf. Eine US-Einheit, die auf dem Rückweg aus Afghanistan ist, entschließt sich zu einer Rettungsmission in der arabischen Metropole – und verschwindet anschließend spurlos von der Bildfläche. In der Rolle des Elitekämpfers Walker ist es die Aufgabe des Spielers, Monate später nach Dubai zu reisen und das verschollene Bataillon von Colonel John Konrad ausfindig zu machen.

Kein richtig im Falschen

Der Weg ins Herz der Finsternis (die Macher nennen Heart of Darkness und Apocalypse Now explizit als Vorbilder) beginnt jedoch fernab Dubais. Die Silhouette der Wüstenstadt zeichnet sich am Horizont ab, Walker und seine beiden Mitstreiter landen im Sand. Auf dem Weg in die Metropole lenkt der Spieler die Soldaten durch Autobahnen, die voll von zerstörten Luxusautos sind (welch Gleichheitsmoment! In der Flucht vor der Naturgewalt hatten Ferrari-Besitzer gegenüber Busfahrern endlich einmal keinen nennenswerten Vorteil), seilt sich von Brücken ab und stellt alsbald fest: So tot und verlassen ist die Gegend gar nicht. Ganz im Gegenteil: Als Walkers Einheit von einem Trupp arabisch aussehender Kämpfer attackiert wird, verwandelt sich die Erkundungs- in eine Rettungsmission.

Die Macher geben an, den Spieler im Verlauf der Geschichte mehrfach emotional herausfordern zu wollen. Das beginnt mit einem Verwirrspiel: Während glasklar ist, was Dubai vernichtet hat, herrscht in der Frage nach dem weiteren Verlauf der Dinge Uneinigkeit. Konrad scheint – das stellt sich recht zügig heraus – ganz offenbar durchgedreht, innerhalb Dubais ist ein blutiger Krieg um die verbleibenden Ressourcen ausgebrochen. Mittendrin tauchen auch noch CIA-Agenten auf, die Walker vor die Entscheidung stellen: Auf die eigenen Leute schießen oder nicht? Die Line im Titel, also jener Rubikon, dessen Überschreiten wohl bedacht sein will, verwischt mehr und mehr. Die Reise nach Dubai wird zu einer Reise ins Innere des Soldaten Walker – an deren Ende eine weit grauenhaftere Erkenntnis als ein bloßes »Krieg ist scheiße« wartet.

Ehe es zum dramatischen Finale kommt, lassen die Entwickler den Spieler mehrfach spüren, dass sein Tun nicht ohne Folgen bleibt. Dazu bedienen sie sich einer Methode, die zwar nicht neu ist, deren Implementierung in den Shooter jedoch eine Innovation darstellt: sie lassen den Menschen am Gamepad die Entscheidungen treffen, statt ihn zu zwingen, ihre Version der Story nachzuerleben. Ein Beispiel: Zwei Menschen hängen gefesselt vor Walker. Der eine, ein Zivilist, hat Wasser gestohlen, der andere, ein Soldat, dafür die Familie des Zivilisten abgeschlachtet. Per Funk überlässt Konrad dem Elitesoldaten die Wahl, welcher von beiden für seine Taten sterben soll. Sollte Walker sich nicht entscheiden, droht beiden das Aus. Eine Situation, wie sie der Joker in The Dark Knight nicht perfider hätte erschaffen können. Denn wie es auch ausgeht, gewinnen wird niemand. Am allerwenigsten der Mensch vor dem Bildschirm, der sich nun fragen muss, ob die getroffene Entscheidung die richtige war, ob es überhaupt ein Richtig im Falsch geben kann.

Walker selbst stellt sich derartige Fragen immer weniger, sondern erledigt ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch linear-mechanisch, was seiner Meinung nach der Auftrag ist, oder einmal war. »Linear« und »mechanisch« sind Attribute, die sich leider auch auf die Spielmechanik anwenden lassen: Denn so interessant Spec Ops: The Line von der Story her ist, so konservativ läuft das Spiel ab: Stupide agierende Gegner werden zu Dutzenden nach Moorhuhn-Prinzip erledigt, es wird wie andernorts draufgehalten, Deckung gesucht, nachgeladen, weiter monoton draufgehalten. Während man sich bezüglich der Story also vom zurecht als dumpf wahrgenommenen Kriegs-Shooter emanzipiert hat, stagniert das Genre auch nach Spec Ops: The Line weiterhin auf technischer Ebene. Gleiches gilt für die Darstellung von Konsequenzen: Während die Reise äußerlich mehr und mehr ins Psychedelische abdriftet (auch optisch lässt Apocalypse Now grüßen), bleiben Entscheidungen darüber, ob Wasserdieb oder mordender Soldat zu sterben haben, ohne Folgen – ein Punkt, den man dem Spiel aber auch als Stärke auslegen kann, zeigt er doch, welche Sinnlosigkeit dem Handeln der Soldaten innewohnt, ganz gleich, wofür oder wogegen sie sich entscheiden.

Dennoch lässt sich die eingangs gestellte Frage nach dem, was Spec Ops: The Line bezüglich der Entwicklung des Mediums digitale Spiele zu leisten vermag, positiv beantworten: Der Shooter hat einige gute, wichtige Schritte gemacht hin zu einer erwachsenengerechteren, kritischen Darstellung von Krieg, weg von Hurrapatriotismus und überzeichneten Charakteren. Mitverantwortlich hierfür sind auch der großartige Soundtrack sowie die gelungene Sprachausgabe. Den schrittweisen Zerfall des Helden erleben Spieler deutlich mit. Dass Krieg kein 90-minütiger Nachfeierabendfilm mit muskelbepackten Hauptdarstellern ist, ebenso. Nur die volle Tragweite der immer unmenschlicher werdenden Handlungen Walkers lässt sie das Spiel nicht spüren. Denn statt ausführlich Fragen zu stellen, innezuhalten und über das eigene Tun nachzudenken, gilt es, das nächste Magazin ins Sturmgewehr zu schieben – schließlich ist bereits die nächste Gegnerwelle im Anmarsch.

| VOLKER BONACKER

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