Comic | Bastien Vivès: Das Gemetzel
Die Stationen einer Liebe: Bastien Vivès seziert in Das Gemetzel die Liebesbeziehung eines jugendlichen Pärchens von den schwärmerischen Anfangstagen bis zum Ende – in Comic-Kabinettstückchen mit schwungvollen Bildern. Von CHRISTIAN NEUBERT
Frankreichs Comic-Wunderkind Bastien Vivès kehrt zurück zu seinem liebsten Schlachtfeld: dem der Liebe. In Das Gemetzel begleitet man ein junges Pärchen bei einzelnen Stationen seines Verliebtseins oder auch Nicht-mehr-Verliebtseins, die aneinandergereiht eine mehr oder weniger zusammenhängende Geschichte erzählen.
Sowohl inhaltlich als auch stilistisch erinnert Das Gemetzel an Vivès´ brillantes Album In meinen Augen, das ebenfalls von einer jungen Liebe handelt. Dieser Comic konnte vor allem durch einen besonderen erzählerischen Kniff punkten, nämlich aufgrund der direkten Ansprache seiner Protagonistin an den Leser, was diesen zum zweiten Handlungsträger machte. Die Buntstiftzeichnungen, mit denen Vivès seine narrative Glanzleistung festgehalten hat, entsprachen dabei nicht nur der anfänglichen Euphorie, sondern auch der Fragilität, die der geschilderten Romanze innewohnte. Bei gleichem Setting muss Das Gemetzel jedoch ohne einen vergleichbaren Geniestreich auf der Erzählebene auskommen. Vivès wirft den Leser in seinem neuen Comic unvermittelt ins Geschehen, exerziert die Handlung in kleinen, unkommentierten Episoden durch, und entlässt ihn schließlich wieder.
Schön und gut, …
Das alles ist schön und gut. Schön, weil Vivès es wie gewohnt versteht, durch seinen fast skizzenhaft verbleibenden Strich und eine einfache Buntstiftkolorierung die gebotene Bandbreite an Emotionen hervorragend einzufangen. Und weil er, wie zuletzt bei Polina, äußerste Präzision beim Darstellen von Bewegungsabläufen an den Tag legt. Gut, weil der junge Autorenzeichner nicht mehr Worte als nötig verliert, diese wohl gesetzt sind und jedem, das ist wohl der Trick, ausgesprochen bekannt vorkommen dürften. Und weil er durch gelungene Abstraktion die losen Episoden zwischendurch tatsächlich aufs Schlachtfeld führt, wo die seelischen Hiebe, die man in einer Liebesbeziehung austeilt und kassiert, auf eine physische Ebene übertragen sind. Dadurch gelingt es Vivès, dem Comic eine gehörige Portion bittersüßen Humor beizumengen.
… nicht mehr und nicht weniger
Im Vergleich zu seinen bisher vorliegenden Meisterwerken verbleibt Das Gemetzel allerdings nur schön und gut. Da man weiß, wozu das junge Talent außerdem fähig ist, meint man es bei diesem Band mit übrig gebliebenen Archivzeichnungen und Skizzen zu Bewegungsstudien zu tun zu haben, um die nachträglich eine Story gewoben wurde. Tatsächlich hat der Künstler Das Gemetzel zur Online-Veröffentlichung auf seinem Blog geschaffen. Womöglich ist das der Ort, an dem das Werk idealerweise dargeboten gehört – immerhin beschränkt sich der Comic fast ausschließlich auf die Abbildungen seiner Figuren auf weißem Hintergrund, was ein Seitenlayout fast obsolet macht.
Vielleicht meldet sich hier jedoch nur eine Stimme zu Wort, die sich von Das Gemetzel lediglich mit Einschränkungen und nicht ganz so vortrefflich unterhalten gefühlt hat wie vom atmosphärisch verdichteten Der Geschmack von Chlor, vom poetischen Kleinod In meinen Augen oder der betörenden Coming-of-Age-Künstlergeschichte Polina. Denn so schmal wie die Figur, die der Band im Regal macht, ist er erzählerisch keineswegs. Man kann ihn als Fingerübung abtun, doch selbst dann gilt es zu erkennen, zu welch beeindruckender Leistung Vivès bereits im Handumdrehen fähig ist.
Titelangaben
Bastien Vivès: Das Gemetzel (La Boucherie)
Aus dem Französischen von Claudia Sandberg.
Berlin: Reprodukt 2012
88 Seiten, 15,00 Euro.
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