///

Sehnsucht nach Kraut

Comic | Sohyun Jung: Vergiss nicht das Salz auszuwaschen

Unabhängigkeit und Sehnsucht, saures Kraut und aromatische Heimat sind die Zutaten zu Sohyun Jungs preisgekrönter Graphic Novel. Die eindringliche, dichte Bildwelt des Bandes lädt zur Empathie ein und weckt Erinnerungen an die ganz persönliche kulinarische Sozialisation. SUSAN GAMPER erkennt: Nicht ohne mein Kimchi!

Vergiss nicht das Salz auszuwaschenHana kommt aus Korea nach Deutschland. Sie meistert alle Herausforderungen: Wohnungssuche, Sprache, Wetter – doch das deutsche Essen bereitet ihr Probleme: So viel Butter, so viel Salz! Heimweh beschleicht die Arme und wir leiden mit. Einsam sieht sie aus und natürlich regnet es während des Sinnierens über die bittere Enttäuschung. Die Autorin Sohyun Jung schafft mit der Unmittelbarkeit ihrer Zeichnungen Feines: Sie zeigt Freude und Ärger, Realität und Traum. Jenseits von »Liebe geht durch den Magen«-Romantik erinnern wir uns: Nahrung ist Kulturgut, Lebensmittel haben Symbolcharakter. Essen kann Aneignung und Identifikation bedeuten. Und so ist Hanas Enttäuschung über die Fremdheit der deutschen Küche auch mit Sehnsucht nach Bekanntem verbunden.

Fern der Heimat wünschen wir uns zuweilen vertrautes Soulfood: Bäckereien und Würstchenbuden befriedigen in New York, Kapstadt und Tokio den Bedarf an deutschem Geschmack. Telefonate mit unseren Müttern helfen uns auf die Sprünge: Wie war das noch mal mit den Thüringer Klößen?

Was hat sie falsch gemacht?

Sehr fürsorglich ist auch Hanas Mama, sie macht sich Sorgen ums Töchterlein im fernen, fremden Land. Via Videotelefonie kommt sie in deren Leben und problemanalytisch gleich auf den Punkt: »Soll ich dir etwas Kimchi schicken?« Dieses Gericht, unter anderem aus Chinakohl, Rettich und Chili kreiert, ist – so erfahren wir – »die Seele der koreanischen Kultur«; eine sehr schmackhafte im Übrigen: sauer und salzig, scharf und knackig. Ein Leben ohne Kimchi? Für Mama unvorstellbar.

Hana wiederum wünscht sich zweierlei: Leckeren Kimchi im Haus zu haben und Ruhe vor den fernmündlichen Übergriffen aus der Heimat. Was tun? Fertigprodukte gibt es zwar, doch sind sie – na klar – verpönt.(*) Natürlich kann man das Wunderkraut selbst fabrizieren, schließlich bieten Asialäden und Internet reichlich kompetente Unterstützung. Doch auch nach optimistischstem Schneiden, Rühren und Mischen erlebt die Gebeutelte einen weiteren Rückschlag: Es schmeckt ganz scheußlich. Die ambitionierte Köchin ist am Boden zerstört: Was hat sie falsch gemacht?

Ob Hana es allein schaffen wird, verraten wir nicht, nur so viel: Der Geist des Kimchi spielt noch eine maßgebliche Rolle – und wie so oft ist »Liebe« Teil des Rätsels Lösung. Eine weitere Antwort hält Sohyun Jung übrigens für wagemutige Kochfreunde bereit: Detailliert und einladend präsentiert sie uns eines der vielen möglichen Rezepte für die koreanische Nationalkrautspeise.
Dazu: erfolgreiches Nachkochen!

Die kleine Reise in die koreanische Küche, die die Autorin und Zeichnerin mit uns unternimmt, berührt vor allem wegen der vielseitigen Emotionalität ihrer Bilder. Die besondere Qualität von Idee und Umsetzung wurde mit dem AFKAT-Förderpreis 2014 zu Recht belohnt.

(*) Prima pragmatisch sind übrigens Thüringer Mütter: Halb fertiges ist erlaubt. Kartoffel-Kloß-Masse in der Kaufhalle holen, mit ein wenig Salz durchkneten. Brötchenbröckchen rösten und jeweils drei mit dem Kartoffelteig umhüllen. Mit viel Aufmerksamkeit schöne runde Klöße rollen. Diese vorsichtig in kochendes Salzwasser gleiten lassen – und wenn sie von allein aufsteigen, die güldenen Heimatbollen sieden und sich später mit reichlich Soße schmecken lassen. Tipp: Bei Heimweh hilft das Absingen des Rennsteigliedes in jedem Fall.

| SUSAN GAMPER

Titelangaben
Sohyun Jung: Vergiss nicht das Salz auszuwaschen. Eine kleine Reise in die koreanische Küche
Hamburg: Mairisch 2014
80 Seiten. 14,90 Euro

Reinschauen
Song, Gin-Young: Kimchi – Geschmack und Migration. Zur Nahrungskultur von Koreanern in Deutschland
(Studien und Materialien des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Bd. 44)
Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2012
100 Seiten. 11 Euro

Voriger Artikel

Hinters Licht geführt

Nächster Artikel

Verblendete Gäste

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

»Ich bin ein Geschichtenerzähler«

Comic | ICSE 2016 Spezial: Interview mit Igort Schon seit den 1980er Jahren ist der italienische Comic-Zeichner, der unter dem Pseudonym Igort schreibt und zeichnet, kaum wegzudenken aus der europäischen Comic-Szene – was einerseits nicht verwundert, arbeitet er doch sogar für japanische Verlage, und sein Buch ›5 ist die perfekte Zahl‹ wurde 2003 auf der Frankfurter Büchermesse zum Comic des Jahres gekürt, was andererseits seltsam anmutet, sind doch seine Comics nonfiktional und überaus schlicht. In den letzten Jahren widmete sich Igort dem Portraitieren von einfachen Leuten in fremden Ländern, etwa in seinen Graphic Novels ›Berichte aus Japan‹, ›Berichte aus Russland‹

Ein Superheld im Spiegel der Zeit

Comic | Batman Anthologie Die bei Panini veröffentlichte ›Batman Anthologie‹ leuchtet den Werdegang des Dunklen Ritters von seinen Anfangstagen bis ins Jahr 2013 aus. CHRISTIAN NEUBERT hat sich nie wirklich mit Superheldencomics auseinandergesetzt, nutzt nun aber die Chance, den Vigilanten durch seine bisher 75-jährige Karriere zu begleiten.

Wissenswertes über Erlangen

Comic | Interview | Comic Salon Erlangen 2012 Bodo Birk, der schon 2010 mit Andreas Alt auf TITEL über den Comic Salon geplaudert hat, gibt erneut Wissenswertes über den Comic Salon und eine kleine fränkische Stadt zum Besten. PETER KLEMENT hat sich eine Anspielung auf Foyer des Arts nicht verkneifen können, sich aber sonst nicht daneben benommen.

Profis am Werk

Comic | Zum Abschuss freigegeben/Dieb der Diebe Wenn Meisterdiebe oder Profikiller die Hauptfiguren von Kriminalgeschichten sind, dann haben sie meistens nur einen Wunsch: Einen letzten, großen Job zu erledigen und sich anschließend zur Ruhe zu setzen. Daraus wird dann entweder ein glanzvolles Kabinettstückchen oder eine komplette Katastrophe, beides sehr zur Befriedigung des Lesers.

Killer, Clowns und Cops

Comic | Batman-Retrospektive Spätestens seit der ›Dark-Knight-Trilogie‹ von Regisseur Christopher Nolan ist Batman endlich wieder en vogue und vielleicht sogar der beliebteste unter den Comic-Superhelden. Kein Wunder – ist er doch nun vielschichtiger und tiefgründiger als andere heroische Comic-Protagonisten. Seine Düsternis und seine rohe, aber mehrmals hinterfragte Gewalt machen ihn selbst zum Antihelden, der in seinem eigenen ordnenden Wahnsinn zahlreiche chaotische und wahnsinnige Antagonisten generiert und brutal bekämpft. Aufgrund der neuen Beliebtheit, die Batman nun zelebrieren darf, sind im Panini-Verlag gleich drei neue Comic-Sammlungen erschienen, die aus verschiedenen Dekaden stammen und dem Leser einen kleinen Überblick über Stil und Historie