Kulturbuch | Cristina De Middel: The Afronauts
Als der Wettlauf zum Mond in den 1960er Jahren auf dem Höhepunkt war, triumphierte eine Zeitung mit der Überschrift: »We’re going to Mars! With a Spacegirl, two Cats and a Missionary.« Verfasser des Artikels war ein ambitionierter Exzentriker namens Edward Makuka Nkoloso, ehemaliger Aktivist für die Unabhängigkeit von Sambia, Lehrer und Direktor seiner eigenen Akademie der Wissenschaft, Weltraumforschung und Philosophie – Sambias inoffiziellem Raumfahrtprogramm. Von SABINE MATTHES
Wäre es nach seinen Wünschen gegangen und er Bürgermeister von Lusaka geworden, schwärmt Nkoloso, so wäre Sambia aus der Startschuss-Explosion seiner Rakete geboren. An einem geheimen Ort nahe der Hauptstadt wird die Mannschaft samt Katzen in Schwerelosigkeit trainiert. In Overalls und britische Uniformen gekleidet rollen sie in Öltonnen holprige Hügel hinab, während mit Teleskopen der Mars untersucht wird. Der Missionar wird instruiert, die Marsianer keinesfalls zwangszumissionieren. Alles scheint bereit, um den Wettlauf zwischen USA und Sowjetunion für Sambia zu entscheiden, wären da nicht die Spione der beiden Supermächte, die das Spacegirl Matha und ihre Katzen entführen wollen, um ihnen Geheimnisse zu entlocken. Vor allem aber weigert sich die UNESCO, die beantragten sieben Millionen Pfund zu zahlen und blockiert damit das tollkühne Projekt, ehe es erfolgreich abheben kann.
50 Jahre später hat die spanische Fotografin Cristina De Middel jetzt Sambias vergessenes Raumfahrtprogramm von 1964 wieder zum Leben erweckt. Ihre fiktive Dokumentation The Afronauts rekonstruiert und inszeniert diesen heroischen nationalen Traum in Farbfotos, Briefreproduktionen und Zeichnungen. Das 2011 im Eigenverlag erschienene Debüt-Fotobuch stand neben drei anderen Anwärtern auf der Shortlist des renommierten Deutsche Börse Photography Prize 2013, der am 10. Juni vergeben wurde.
Cristina De Middel arbeitet für Zeitungen und NGOs wie Ärzte ohne Grenzen, stellt aber in ihrer eigenen Arbeit die Wahrhaftigkeit von Fotografie infrage, indem sie die Grenzen von Realität und Fiktion verwischt. Sie konstruiert Lügen, die jeder glaubt, oder verfolgt wahre Geschichten, wie bei den Afronauten, die unglaublich sind. Jenseits von Dokumentar- oder Kunstfotografie sollen die Bilder wie Worte eine Geschichte erzählen. Das Afronauten-Essay könnte die Standfoto Montage einer nigerianischen Nollywood B-Movie Version von Fritz Langs Stummfilm Frau im Mond (1929) sein, für den Lang den rückwärtsgezählten Countdown vor dem Raketenstart erfunden hat, der später von der realen Raumfahrt übernommen wurde. Cristina De Middel lässt ihre Afronauten mit Motorradhelmen Boogie-Woogie tanzen, Elefantenrüssel liebkosen, neben bügeleisenförmigen Raketenattrappen träumen und Schaltpulte bedienen. Die traumwandlerische Expedition führt durch ein Niemandsland unberechenbarer Naturgesetze und seltsamer Zeichen. Eine ufoartige Wolke, ein abgestürzter Vogel, Wrackteile unter bleiernem Himmel, eine wie durch Hitze geschmolzene Marsfrau im Krankenbett. Die Afronautenanzüge im Ethnolook sind von der Künstlerin und ihrer Großmutter selbst genäht, die Köpfe stecken in riesigen Christbaumkugeln. Ein Wolf lauscht der funkelnden Stille des nächtlichen Weltalls.
Ein ähnlich kreatives Spiel mit der Wahrheit betreibt das US-amerikanische Sensationsblatt Weekly World News. Es berichtete 1992 von einer geheimen NASA-Sonde, die im Weltraum die Stimmen singender Engel aus einem schwarzen Loch aufgenommen hat. Mit Vorliebe informiert das inzwischen online gegangene Blatt seine Leser über die neuesten Alienentführungen, Loch Ness- und Elvis Presley-Sichtungen, aber auch über »unglaublich, aber wahre« Geschichten und wurde mit seinen charakteristischen Schwarz-Weiß-Fotos Popkultur. Ist das sambische Raumfahrtprogramm womöglich dessen Erfindung? Beginnt der Schwindel bei den Fotos oder bereits bei der Geschichte? Orson Welles berühmte Radiosendung einer fiktiven Invasion von Marsmenschen konnte 1938 sogar eine Panik auslösen. Für kreative Denker scheint das Weltall eine Spielwiese unmöglicher Möglichkeiten und bizarrster Extravaganzen par excellence, so nah und unüberprüfbar fern liegen hier Dichtung und Wahrheit beisammen.
Seit der ersten bemannten Mondlandung 1969 übertrifft die Realität beinahe die Fantasie und provoziert ebenso verwegene Verschwörungstheorien. So hätte angeblich die NASA mit gestellten Fotos die Landung vorgetäuscht, um den Wettlauf zum Mond für die USA zu gewinnen. Der Filmemacher Stanley Kubrick hatte 1968 seinen Science-Fiction-Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum herausgebracht, der mit modernen Spezialeffekten realistisch eine fiktive Mondmission schildert. Kubrick wurde deswegen beschuldigt, mit Hollywood und Walt Disney Filmmaterial für Apollo 11 und 12 produziert zu haben. Es wurde behauptet, dass während 2001 Anfang 1968 in der Post-Produktion war, die NASA Kubrick heimlich angetragen hätte, die ersten drei Mondlandungen zu filmen. Die Verschwörungstheorie wurde in kubanischen Schulen gelehrt und wo immer kubanische Lehrer unterrichteten. Manche Hindus begründen sie mit ihrer Mythologie, dass der Mond weiter entfernt als die Sonne sei; und bei einer englischen Umfrage 2009 gab ein Viertel der Befragten an, sie glaubten nicht daran, dass Menschen auf dem Mond gelandet seien. Sind die Afronauten Teil eines Verschwörungskomplotts? Die ursprüngliche Heimat der Götter ist heute zur ultimativen Herausforderung für Wissenschaftler geworden. Weltraumtourismus-Pläne von Space Adventures bieten ab 2015 einen Blick auf die dunkle Seite des Mondes an, Hin- und Rückflug für 100 Millionen Dollar. Ein amerikanischer Motel-Tycoon will mit aufblasbaren Modulen ein Weltraumhotel im Erdorbit eröffnen und Virgin Galactic bietet Privatleuten Kurzflüge an die Grenze des Weltalls.
Hinter dem verführerischen Exotismus des Afronauten-Projekts und dem Hinterfragen von Authentizität verbirgt sich auch eine subtile Kritik unserer Haltung zu Afrika, dem wir eine echte Weltraummission nicht zutrauen. Tatsächlich wurde Edward Makuka Nkolosos Vision einer afrikanischen Marsmission von einem prominenten Nachfolger beinahe verwirklicht. Cheick Modibo Diarra, bis letzten Dezember Premierminister von Malis Übergangsregierung, kam 1988 als erster afrikanischer Forscher zur NASA. Als interplanetarischer Nautiker arbeitete er an fünf NASA-Projekten: der Magellan Mission zur Venus, der Ulysses Sonde zu den Polen der Sonne, dem Galileo Raumschiff zum Jupiter, am Mars Observer und Mars Pathfinder. Sicher war Nkoloso im Himmel mit dabei.
Fotos: Cristina De Middel
| SABINE MATTHES
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