Malcolm Max, ein Gruselkrimi in viktorianischem Ambiente, ist eine der seltenen Genre- Eigenproduktionen aus Deutschland, die handwerklich und stilistisch problemlos neben französischen Vorbildern bestehen können. Das überrascht, denn ihre Wurzeln reichen bis zu den trashigen Gespenster Geschichten des Bastei Verlages. BORIS KUNZ hat versucht, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen.
Die Entstehungsgeschichte dieses Comicalbums scheint teilweise ebenso mysteriös wie die Geschehnisse im Comic selbst. Ist es wirklich wahr, dass Autor Peter Mennigen, der lange Zeit allen möglichen Trash für den Bastei-Verlag geschrieben hat, hinter dem Spuk Geschichten-Dauerbrenner Arsat, der Magier von Venedig steckt, wo doch die anderen (dürftigen) Quellen Hajo F. Breuer die Täterschaft zuschreiben? Wer einer zu spät geborenen Generation angehört oder sich nicht mehr daran erinnern will: Spuk Geschichten und Gespenster Geschichten waren billige Heftchen mit den immer gleichen Gruselgeschichtchen, die nach einer erschrecklichen Pointe meist mit dem Spruch endeten: Seltsam? Aber so steht es geschrieben … Man kann sich das als kindgerechte Version des Verlagsprogramms von WEISSBLECH –Comics vorstellen. Im Gegensatz zu Lucky Luke oder Asterix waren das Erzeugnisse, bei denen Muttern zurecht schelten konnte: »Kind, was liest du nur für einen Schund?«
Die Figur Malcolm Max geht jedenfalls ganz ursprünglich auf den Versuch des Tigerpress Verlages zurück, die schon länger eingestellten Gespenster Geschichten noch einmal wiederzubeleben. Als Gimmick zu den Heften sollte es ein Hörspiel als Beilage geben – und dafür wurde dieser neue Geisterjäger erfunden. Die Titel Im Banne der Untoten oder Blutnächte in Whitechapel verraten viel über das Niveau der Storys, lassen aber einer höheren Blutgehalt vermuten, als er tatsächlich vorhanden ist. Die Gespenster Geschichten haben ihren Neustart nicht überlebt, die Hörspielserie schon – sie ist jetzt in die Hörspielreihe Geister Schocker aufgenommen worden. Und nun hat sich Serienvater Mennigen vorgenommen, Malcolm Max auch in das Reich der unbewegten Bilder einzuführen. Diese Herkunftsgeschichte lässt zu Unrecht Schlimmes ahnen: Malcolm Max ist weit davon entfernt, ein routinemäßig runtergerocktes Gruselpotpourri zu sein. Es hat eine durchdachte Story, originelle Charaktere und einen eigenen Charme.
Vom Gruseltrash zum Screwball-Steampunk
Malcolm Max ist ein »unkonventioneller Problemlöser«, der sich mit paranormalen Verbrechen herumschlägt. Gemeinsam mit seiner Begleiterin, der hübschen und eigensinnigen Halbvampirin Charisma Myskina, ist er einer geheimnisvollen Mordserie im London des Jahres 1889 auf der Spur. Mehrere Frauenleichen werden verstümmelt an prominenten, aufsehenerregenden Orten (etwa auf der Bühne des Opernhauses) aufgefunden. In ihren Mündern findet man Briefchen mit eigenartigen, relativ schlechten Gedichten. Das scheint eindeutig die Handschrift von Edward Darkwood zu sein, doch dieser wurde bereits wegen Mordes hingerichtet. Während Inspektor Blunt einen Nachahmungstäter vermutet, verfolgt Malcolm den Gedanken, Darkwood könnte von den Toten zurückgekehrt sein. Charisma geht inzwischen einer ganz anderen Spur nach: Eines der Mordopfer, die Reporterin und unerschrockene Feministin Fiona Pankhurst, war offenbar einem Verbrechen auf der Spur, das etwas mit den zahlreichen Leichendiebstählen auf Londoner Friedhöfen zu tun hatte – und mit den neuartigen Maschinenmenschen, die Professor Abrolat Shacklock auf der Weltausstellung präsentiert.
Soweit klingt das alles nach einer Mixtur nach altbekanntem Rezept: eine Dosis Jack the Ripper, eine Prise Steampunk, ein bisschen Voodoo-Zauber und ein paar eigenwillige Frauenfiguren im Kampf gegen den viktorianischen Machismo. Peter Mennigen jedoch gelingt es, aus dieser Rezeptur ein schmackhaftes Genrestückchen zu kochen, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er sich Zeit lässt, um die Geschichte langsam zu entwickeln. Und dass er der Story eher historische Begebenheiten und nicht etwa literarische Vorbilder als Vorlage zugrunde legt. Das Gefühl, dass Autor und Zeichner hier ein erwartungsgemäß düsteres, aber doch recht gut recherchiertes Bild des Viktorianischen Zeitalters entwerfen, macht es allerdings um so schwieriger, beispielsweise die Existenz von Maschinenmenschen glaubhaft zu integrieren. Obwohl man nach langen Ermittlungen schon eine grobe Ahnung davon hat, worin die Auflösung bestehen mag, gelingt dem Autor am Ende des ersten Bandes doch ein veritabler Cliffhanger. Doch es ist vermutlich weniger die Spannung dieses Cliffhangers als die sehr gelungene Gestaltung des Albums, die einen Großteil der Leser überzeugen und auch zum nächsten Band greifen lassen wird.
Allerdings merkt man dem ungewöhnlich dialoglastigen Comic seine Herkunft vom Hörspiel recht deutlich an. Man spürt, wie viel Mühe auf die Dialoge verwendet wurde, und das hat positive und weniger positive Effekte. Der Ton der Figuren ist ebenso wie der Ton der Erzählstimme in einem gestelzten und geschraubten Duktus gehalten, der als Persiflage des Englischen gedacht ist und aus dem der Comic einen großen Teil seines Humors bezieht. In manchen Szenen funktioniert das gut und man freut sich darüber, dass hier ein Autor am Werk ist, für den Dialoge nicht nur Mittel zum Zweck sind. Leider gelingt Mennigen aber weitaus nicht jede Floskel so originell, wie das wohl seine Absicht war. Manchmal wird nicht kompliziert gesprochen, weil es gut klingt, sondern damit eben kompliziert gesprochen wird. Das soll den Ton der Romane jener Zeit treffen, doch man merkt, dass die Dialoge keine Übersetzungen aus dem Englischen sind, sondern ein Deutsch, das sich nur so anhören soll, als wäre es Englisch.
Mennigen setzt auf mehr Dialogwitz und Screwball, als er bewältigen kann. Als Malcolm und seine Begleiterin etwa auf der nächtlichen Jagd nach Leichendieben der Kampffeministin Fiona Pankhurst begegnen, kommt es unvermittelt zu einem Zickenkrieg zwischen Pankhurst und Charisma. Dieser ergibt sich allerdings nicht organisch aus den Figuren, sondern nur, weil Mennigen das Thema Feminismus aufs Tapet bringen will. Der Streit wirkt gewollt – man meint, die Figuren würden ihn nur dem Autor zuliebe vom Zaun brechen.
Ein Comic mit viel Charisma
Das größte Plus auf der Storyebene ist zweifelsohne (nomen est omen) Charisma Myskina, Begleiterin des Detektivs, mit voluminösem schwarzen Haar und leicht entrücktem Blick, die auch in den gefährlichsten Situationen eine gewisse düstere Noblesse vor sich her trägt. Sie nimmt in der Handlung einen gleichberechtigten Platz neben dem Titelhelden ein und darf – was ja in Comics keine Selbstverständlichkeit ist – auch in eher hochgeschlossener, stilvoller Bekleidung eine Augenweide sein.
Dieser Eindruck ist wesentlich den tollen Zeichnungen von Ingo Römling geschuldet, der die größte Entdeckung ist, die dieses eigenwillige Comicprojekt dem deutschen Fan zu bieten hat. Stilsicher bewegt Römling sich auf der Linie zwischen Gothic und Funny, stattet seine Figuren mit lebendigen Charaktergesichtern und einprägsamer Physiognomie aus und bedient den Humor der Geschichte ebenso wie die eher gruseligen Aspekte. Optisch muss sich dieses Album vor anderen Gaslight- und Steampunk-Serien nicht verstecken. Im Gegenteil: Hauteville House z.B. könnte sich hier eine gehörige Portion abschneiden. Bedauerlich ist eigentlich nur, dass Mennigen Römling nicht immer Gelegenheit gibt, sein grafisches Talent voll auszuspielen, sondern ihn oft mit Talking Heads beschäftigt. Auch wenn Römling zweifelsfrei das Talent hat, auch seitenlange Dialogszenen lebendig zu gestalten: Der Mann könnte noch viel mehr!
Daher freut man sich dann auch über jede weitere Charakterstudie von Charisma im angehängten Bonusmaterial – auch wenn dieses ansonsten wirkt, als hätte der Verlag die Bewerbungsmappe, mit der Mennigen und Römling sich bei ihm vorgestellt haben, einfach mit abgedruckt, inklusive Lebensläufen und Absichtserklärungen. Spannend ist das bei dem Background des Comics trotzdem. Als alter Gespenster Geschichten Leser bekommt man das seltene Gefühl, die kleinen »Guilty Pleasures« aus der Kindheit seien gemeinsam mit einem ein kleines Stück erwachsen geworden. Auch wenn der Autor mehr wollte, als er konnte, und der Zeichner weniger durfte, als er gekonnt hätte: Den beiden ist ein vielversprechender erster Band gelungen, der Genrefans Lust auf mehr macht.
Titelangaben
Peter Mennigen (Text), Ingo Römling (Zeichnungen und Farben): Malcolm Max, Kapitel 1: Body Snatchers Originalausgabe
Bielefeld: Splitter Verlag 2013
80 Seiten, 15,80 €
Reinschauen
Malcolm Max Hörspiele
Mehr zum Autor
Homepage von Ingo Römling
Ausführliches Interview mit Römling und Mennigen
na na na.. nix gegen die gespenster geschichten! also wirklich
bin im schreibwarenladen am zeitschriftenstand gestanden und hab die dort vor ort gelesen.
bis frau schoeller eben meinet, “ wenn ich weiter lese, muesste ich eines kaufen“.