Comic | Tommi Musturi: Sozusagen Samuel
Vor sieben Jahren erschien bei ›Reprodukt‹ der Comic ›Unterwegs mit Samuel‹. Nun kommt der Folgeband ›Sozusagen Samuel‹, der nahtlos an seinen Vorgänger anknüpft. In abstrakter Form erzählt er ohne Worte vom nackten Leben in knalligen Farben. Von CHRISTIAN NEUBERT
Samuel? Läuft. Er ist wir alle. Und viel darüber hinaus. Weil er ein Stück Leben ist. Meines, deines, irgendeines. Laufen tut er aber, weil er selbst eines sein will. Er will einer sein, ein Jemand. Wobei man dass nicht so sicher weiß. Samuel sagt nämlich nix. Er läuft einer unvorteilhaft gekleideten Blondine als Träne über die Wange, dem Prinzip der Schwerkraft folgend, trieft entlang ihres aufgedunsenen Körpers über Doppelkinn und Brust, tropft schließlich zu Boden. Und entsteigt einer Pfütze, die er selbst ist. Eine denkwürdige Passage, die dem Comic als Einstieg dient, von seinem Urheber schlicht mit dem Titel des Bands, mit ›Sozusagen Samuel‹ kommentiert. Mehr braucht´s auch nicht: Samuel ist ein alter Bekannter.
Ein Stück Leben
Samuel, ein blasser Kerl mit starrem Blick und wulstigen Lippen, rein äußerlich ohne Ecken und Kanten, wurde von dem finnischen Comic-Künstler Tommi Musturi schon vor einigen Jahren auf die Reise geschickt, in ›Unterwegs mit Samuel‹. Wer ihn seinerzeit nicht begleitet hat, braucht aber keine Hilfestellung, um dem neuen Band zu folgen: Samuel hat auch keine. Er geht und macht einfach drauf los. Weil irgendwie dann doch alles passiert, wie es wohl passieren muss. Was es auch sei: Samuel nimmt es hin, mit stoischer Gelassenheit, ohne Murren und Knurren. Sein Staunen und die Freude am Augenblick hat er sich dabei bewahrt.
Die Landschaften, die er durchquert, strahlen in monochromen Knallfarben und folgen einer formalen Strenge, die der Ligne Claire einen psychedelisch-abstrakten Schleier überzieht. Samuel durchreist Wälder und Auen, Betten und Blutbäder, Seelenlandschaften und infernalische Abgründe, die Schwärze des Limbus und die eines Darms – in der Regel unbekleidet, sprichwörtlich in seiner nackten Existenz. Dazwischen besucht er einen Zoo. In Begleitung. Denn Samuel ist keineswegs allein. Naja, meistens schon. Aber dann findet er ab und an gleichzeitig statt. Und kickt sich z. B. innerhalb einer Panelfolge etwas Kleines, Rundes, Leuchtendes an den Schädel. Um es daraufhin aufzureißen. Und darin zu verschwinden, reinzusteigen, hindurchzugehen. Weiterzugehen.
Läuft bei ihm
›Sozusagen Samuel‹ ist ein esoterischer, existenzialistischer Egotrip, zwar nicht abgrundtief, sich aber an allerhand Abgründen und Gipfeln entlanghangelt – und dabei von Höhepunkt zu Höhepunkt, ohne ihnen dabei Respekt in Form von Ehrfurcht zu zollen. Für Samuel ist es ganz offenbar okay, dass die Existenz in einer Abfolge aus Ereignissen besteht.
Die gestalterischen Ideen und eingestreuten popkulturellen Referenzen des Comics machen Schmunzeln, der Stoizismus seines Helden durchaus Mut. Weil Samuel ohne jemals zu dozieren lehrt, das Leben zu nehmen, wie es ist. Das ist so einfach wie schwierig, wir wissen das, Samuel wohl auch. Dass er über diese gleichermaßen banale wie bahnbrechende Erkenntnis konsequent schweigt, dass er’s mit Kalendersprüchen nicht so hat: Gut so!
Titelangaben
Tommi Musturi: Sozusagen Samuel
(Suurin Piirtein Samuel)
Berlin: Reprodukt 2017
160 Seiten. 25 Euro
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