Bürgerkrieg als Kammerspiel

Comic | Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben

Zeina Abirached blickt zurück in ihre Kindheit – und entwirft mit Das Spiel der Schwalben ein autobiographisches Kammerspiel, eingebettet in den Libanesischen Bürgerkrieg. Von CHRISTIAN NEUBERT
Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben
Unkommentierte Bilder zeigen verwaiste Straßen. Verbarrikadierte Wohnungstüren. Und Einschusslöcher in den Häuserfassaden. Wir befinden uns im Beirut des Jahres 1984. Die Stadt ist in einen christlichen und einen muslimischen Bezirk geteilt. Die Grenze wirkt nur auf den ersten Blick provisorisch: sie besteht aus Metallfässern, Sandsäcken und Stacheldraht und wird von Heckenschützen bewacht. Gewehrsalven und Bombenhagel geben hier den Lebensrhythmus vor.

Im christlichen Bezirk, unmittelbar an der Demarkationslinie gelegen, wohnt die kleine Zeina mit ihrer Familie. Ihre Eltern sind gerade bei ihrer Großmutter; sie ist allein mit ihrem Bruder, unter der Obhut von Anhala, die sich seit jeher im Haushalt der Familie verdingt.

Das Haus ihrer Großmutter ist zwar nur ein paar Straßen entfernt. Aufgrund von Luftangriffen sind Zeinas Eltern jedoch gezwungen, dort auszuharren. Während die marode Telefonleitung nach einer gefühlten Ewigkeit ein Gespräch über den Verbleib der Eltern zulässt, rücken nach und nach die anderen Bewohner des Hauses an, da die Wohnung der Abiracheds – genauer gesagt: die Diele, die sprichwörtlich zum Bunker umfunktioniert wurde – den meisten Schutz bietet.

Mit Spannung verdichtet

Anhand der wenigen Stunden, die die versammelten Menschen während der Luftangriffe gemeinsam auf engstem Raum verbringen, inszeniert Abirached das Leid, das der Bürgerkrieg für die Bevölkerung darstellte, als beklemmendes Kammerspiel. Das Spiel der Schwalben liest sich insofern als klaustrophobisches Psychodrama, obgleich die unterschiedlichen Charaktere, die bei den Abiracheds Schutz suchen, ein harmonisches Miteinander pflegen. Der Comic leistet aber noch mehr: indem Abirached die Schicksale der versammelten Menschen in die bangen Stunden des Wartens überführt, skizziert sie wie im nebenher eine Chronik des Bürgerkriegs aus der Sicht der unmittelbar betroffenen Bevölkerung. Und für diese stellt der Konflikt kein abstraktes historisches Ereignis dar, sondern eine Ausnahmesituation, die sich zunächst einmal auf den Alltag auswirkt.

Aufgrund ihres autobiographischen Ansatzes bei gleichzeitiger, wenn auch unvermeidlicher Thematisierung eines Konflikts, dem religiöse Spannungen zugrunde lagen, erscheint es naheliegend, Abiracheds Comic mit Marjane Satrapis Welterfolg Persepolis zu vergleichen. Allerdings ist das Augenscheinliche des Vergleichs zumindest teilweise einer westlichen Lesart geschuldet, die dazu neigt, den Libanesischen Bürgerkrieg mit der Islamischen Revolution im Iran über einen Kamm zu scheren.

Mit Bedacht verbildlicht

Aber wie dem auch sei: Das Spiel der Schwalben hält einer Gegenüberstellung mit Satrapis zurecht gerühmtem Comic definitiv stand. Auf der Bildebene zeigt sie sich sogar überlegen. Abirached versteht es hervorragend, die schwelende, unruhige Spannung des Ausharrens und Abwartens zeichnerisch umzusetzen. Ihre repetitiven Bildfolgen, die auf mehreren Seiten oft kaum eine Veränderung aufweisen, spiegeln in harten Schwarz/Weiß-Kontrasten all die Langeweile, allen Unmut und alle Ängste und Hoffnungen des Ausgeliefertseins wieder – auf eine Weise, die einen mitfiebern lässt. Die Figuren sind dabei sehr lebendig in ihrer Ikonenhaftigkeit, und die strengen, holzschnittartigen Bildkompositionen durchwegs greifbar und ergreifend.

Wenn Abirached zu abstrakten Darstellungen greift, dann stets im Sinne der Verdichtung, der Nachvollziehbarkeit, der Erzählrhythmik und des Tempos. Auf einer Seite beschreibt sie zum Beispiel, wie die an sich geräumige Wohnung der Familie zugunsten des Verbarrikadierens nach und nach ihren Lebensraum gegen Schutz eintauscht. Neun Panels genügen der Autorenzeichnerin, um darzustellen, wie einschneidend diese Maßnahmen sind und wie sich die Herstellung von vermeintlicher Sicherheit einer Schlinge gleich um den Alltag zusammenzieht.

Mit Das Spiel der Schwalben hat der Berliner Avant-Verlag dem deutschsprachigen Raum ein wahres Highlight beschert. Graphische Höchstleistungen verschränken sich in dem Bio-Picture-Book mit sorgfältig formulierten Worten auf eine Weise, wie man sie beileibe nicht alle Tage erlebt

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Zeina Abirached: Das Spiel der Schwalben (Mourir, partir, revenir – Le Jeu des hirondelles)
Aus dem Französischen von Paula Bulling und Tashy Endres
Berlin: Avant-Verlag 2013
181 Seiten. 19,95 Euro.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Du sollst Dir ein Bildnis machen

Nächster Artikel

Feministin und Patriotin – Zum 100. Todestag von Lesja Ukrajinka

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Ein Stickeralbum schafft Kontakte

Comic | ICSE 2016 Spezial: Messerundgang Der Comic Salon Erlangen (schon der 17. in 32 Jahren) lebt von seinen Traditionen. Die Besucher lieben das, was jedes Mal gleich ist: Die gleichen Messestände am gleichen Ort, die ritualisierte Max-und-Moritz-Preisverleihung, die Diskussionen zu sich wiederholenden Themen, seit einiger Zeit auch das Stickeralbum und die Jagd nach den Aufklebern quer durch die ganze Stadt. Manchmal freut man sich aber auch an etwas Neuem. Kleine Verlage und unabhängige Comickünstler boten diesmal ihr eigenes Stickeralbum zum Vollkleben an, das mehr nach dem Prinzip der Kontaktaufnahme funktioniert. Titel: ›Kleb mich!‹ ANDREAS ALT hat es ausprobiert.

Ein alternatives Deutschland

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 3 Zeichner Felix Mertikat und Autorin Verena Klinke stellten in Erlangen den mittlerweile dritten Band ihrer eigenwilligen, atmosphärischen »Steampunk«-Erzählung ›Steam Noir‹ vor, unter anderem mit einer multimedialen Lesung und einer kleinen Ausstellung in einer Scheune, die zu finden den Autor dieser Zeilen drei Anläufe gekostet hat.

Was wollte ich noch mal hier?

Comic | Boulet/Bagieu: Wie ein leeres Blatt Ein leeres Blatt kann wahnsinnig inspirierend sein. Es bedeutet Raum für neue Ideen und lässt erst einmal alle Möglichkeiten offen. Das dachten sich wohl auch die französischen Comiczeichner Boulet und Pénélope Bagieu, als sie es in ihrer existenzialistisch gefärbten Graphic Novel Wie ein leeres Blatt zum Sinnbild des Neuanfangs machten. Zum Glück haben sie sich dabei nicht zu plumpen Lebensweisheiten verleiten lassen, freut sich STEFANIE HÄB.

Tintin und der Sirenengesang

Comic | Mark Siegel: Sailor Twain oder Die Meerjungfrau im Hudson Mark Siegel wagt viel in seinem Comicroman Sailor Twain, der bei Egmont erschienen ist. Mit einer großen Bandbreite an grafischen Ausdrucksmöglichkeiten erzählt er ein erotisches, vielschichtiges Märchendrama mit geschichtlichem Hintergrund. BORIS KUNZ hat seinem Sirenengesang lange gelauscht.

Der lange Atem des Todes

Comic | Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising – Tochter des Todes »Bei Morgengrauen erwacht Rachel im Wald. Mühsam schleppt sie sich nach Haus. Erst allmählich merkt sie an den Reaktionen ihrer Umwelt, dass mir ihr etwas nicht stimmt. Sie ist tot.« Mit dieser Prämisse beginnt ›Rachel Rising‹, die neue Serie des ›Strangers in Paradise‹-Schöpfers Terry Moore. BORIS KUNZ wollte sich nicht entgehen lassen, von Anfang an dabei zu sein.