Comic | Raina Telgemeier: Smile
Die Comiczeichnerin Raina Telgemeier ist in ihren jungen Jahren einmal gehörig auf die Schnauze gefallen. In ihrem autobiographischen Comic Smile erzählt sie davon, wie sie sich bei einem Sturz die Zähne demoliert und deswegen, wie es scheint, den Großteil ihrer Jugend beim Zahnarzt verbracht hat. Ist das eine Graphic Novel wert? STEFANIE HÄB hat sich die preisgekrönten Memoiren genauer angesehen.
Mitten unter den wilden Action- und Superheldencomics im Programm des Panini Verlags fällt sie schon auf, diese junge Graphic Novel über ein ganz normales Mädchen mit ganz normalen Problemen. Von der Autorin Raina Telgemeier hat man in Deutschland noch nicht viel gehört. In den USA ist sie dafür schon durch ihre Comic-Adaption der Jugendbuchreihe The Baby-sitters Club und ihre Mitarbeit an der Konzeption eines X-Men-Mangas bekannt geworden. Die Graphic Novel Smile ist nun das erste Werk, bei dem sowohl Geschichte als auch Zeichnungen aus ihrer eigenen Feder stammen. Und sie hat Erfolg: Der Comic führte über Wochen hinweg die Bestsellerliste der New York Times an und wurde unter anderem mit dem Eisner Award ausgezeichnet. Das verwundert, denn auf den ersten Blick scheint man es hier einfach mit einer weiteren Pubertätskiste zu tun zu haben.
Die üblichen Teenagersorgen …
Raina Telgemeier, diesmal die Protagonistin des Comics, kann sich eigentlich nicht beklagen. Sie lebt mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Geschwistern friedlich in einem Reihenhaus in San Francisco und trifft sich wöchentlich mit ihren Freunden in behaglicher Pfadfinderrunde zum Basteln. Aber die Zeit der Sorglosigkeit findet ein jähes Ende, als sie eines Tages unglücklich stolpert und sich beim Sturz auf den Asphalt einen Vorderzahn ausschlägt. Was dann folgt, ist eine Odyssee durch die Welt der Zahnmedizin: Raina muss bibbernd alle erdenklichen »-ologen« aufsuchen und sieht nach jedem Arztbesuch wunderlicher aus. Da ist nach verkürzten Vorderzähnen und einer unübersehbaren Zahnlücke die Spange sogar noch das geringere Übel.
Zugegeben, eine Geschichte über Zahnprobleme, das klingt nicht gerade fesselnd. Aber Telgemeier gibt sich die größte Mühe, herauszustellen, dass in ihrer Jugend die schmerzhaften Zahnarztbesuche nur die Spitze des Eisberges waren. Je entstellter sich Comic-Raina fühlt, desto unsicherer wird sie auch in Bezug auf ihr soziales Umfeld – und desto lauter werden die Sticheleien ihrer Mitschüler. Die erzählte Geschichte erstreckt sich über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren, in denen Raina nicht nur mit ihren Zähnen zu kämpfen hat: Für ihre Clique wird sie immer mehr zur Witzfigur, ihre ersten romantischen Schwärmereien führen ins Leere. Damit deckt der Comic also die gängigsten Krisenherde der Pubertät ab.
Während die jahrelange Zahnbehandlung, die dem armen Mädchen sein Lächeln zurückgeben soll, dem Comic seinen roten Faden gibt, geht es in Smile nicht zuletzt um das Erwachsenwerden. Der nachdenkliche Tenor, der auch daher rührt, dass wir es hier mit einer biographischen Geschichte zu tun haben, wird mit den lebendigen Zeichnungen ausgeglichen. Das ist gut, denn durch die angenehme Mischung aus melancholischen Erinnerungsmomenten und der jugendlichen Leichtigkeit der animierten Panels entsteht eine enge Verbindung zwischen Jugend und Erwachsenenalter, die die Geschichte letztlich auch für zahnspangenlose Comicfreunde interessant macht. Schließlich darf man nicht vergessen, dass Smile primär Telgemeiers persönlichem Bedürfnis entsprungen ist, die schmerzhaften Erfahrungen ihrer Middle- und High-School-Jahre zu verarbeiten.
…nach einer wahren Begebenheit!
Während sich die Geschichte nun um Themen dreht, die in den leicht bekömmlichen Vertretern der modernen Jugendliteratur schon lange zum Standardrepertoire gehören, ist es die einfühlsame und sehr persönliche Umsetzung, die dem Comic seine Daseinsberechtigung verleiht. Dieselbe Raina, die in Smile noch nicht recht weiß, was sie will, ist heute erwachsen und lässt als arrivierte Comiczeichnerin ihre Jugend Revue passieren. Sie erinnert sich zum Beispiel daran, wie sie den Mut fasste, ihren falschen Freunden den Rücken zu kehren, auch wenn das bedeutete, erst einmal alleine dazustehen. Da die Autorin durch ihre reflektierte Erzählweise und ihre lebenserfahrene Position in der Geschichte allgegenwärtig ist und gerade diese Episode mit spürbarem Stolz erzählt, erscheint Comic-Rainas Wutausbruch hier auch nicht als Ausdruck pubertärer Gemütsschwankungen. Mit der gleichen Ernsthaftigkeit – auch, wenn die Versuchung groß wäre, diesen Moment ins Lächerliche zu ziehen – stellt Telgemeier dar, wie ihr junges Ich sich bei der Schwärmerei für einen Mitschüler in den fantastischsten Tagträumen verliert. Zwar ist die junge Raina mit ihren weitgehend alltäglichen Teenagernöten schon fast zu gewöhnlich, aber gerade deswegen erfüllt sie auch alle Kriterien einer perfekten Identifikationsfigur für Telgemeiers junges Publikum. Damit und mit der Tatsache, dass die Geschichte aus dem verständnisvollen Blickwinkel einer Frau erzählt wird, der es nicht darum geht, die mitunter schwere Zeit des Erwachsenwerdens herunterzuspielen, lässt sich der Erfolg von Smile schließlich doch erklären.
Wer hinter die Fassade der schwungvoll gestalteten Comicseiten blickt, der erkennt vor allem Telgemeiers Wunsch, den Frustmomenten ihrer Schulzeit Luft zu machen – und diese persönliche Note ist es, die Smile aus der grauen Masse der uniformen High-School-Storys über Cheerleader, Footballspieler, tyrannische Mädchencliquen und den täglichen Kampf um den Platz am coolsten Mittagstisch heraushebt. Sie gewährleistet, dass man den Comic trotz der relativ unspektakulären Thematik ernst nehmen kann.
| STEFANIE HÄB
Titelangaben
Raina Telgemeier (Text/Zeichnungen)/Stephanie Yue (Koloration): Smile (A Dental Drama)
Aus dem Amerikanischen von Sanni Kentopf
Stuttgart: Panini Verlag 2013
213 Seiten, 12,99 €