COMIC | BARU/JEAN VAUTRIN: BLEIERNE HITZE
Bleierne Hitze ist das neue Werk von Comic-Altmeister Baru, geschaffen nach einer Vorlage von Jean Vautrin. Anhand einer vordergründigen Krimihandlung zeichnet es ein absurdes Bild einer desolaten Gesellschaft. CHRISTIAN NEUBERT hat mitgefiebert – und trotzdem gelacht.
»Die Hölle, das sind die anderen«, heißt es in Sartres Drama Geschlossene Gesellschaft. Diese existentialistische Kernaussage trifft wunderbar auf die Handlung von Barus neuestem Werk zu – auf Bleierne Hitze, einer Comic-Adaption von Jean Vautrins Kriminalroman Canicule. Die Hölle, die sich in dem Band auftut, ist ein abgrundtiefer ländlicher Moloch, der ausschließlich von armen Teufeln bewohnt wird.
Unweit eines Gehöfts im Nirgendwo vergräbt ein Mann mit schwarzem Anzug inklusive roter Blüte im Knopfloch eine Tasche im Maisfeld. Natürlich gehört er hier nicht hin. Und natürlich steht die Tasche für irgendeine Form von Beute. Dass er von der Polizei und von anderen zwielichtigen Gestalten verfolgt wird, ist obligatorisch. Ein nahe gelegener Bauernhof soll ihm diesbezüglich Zuflucht bieten. Damit beginnt jedoch erst das ganze Schlamassel. Was ein Versteck sein soll, entpuppt sich schnell als Falle.
Bereits beim Vergraben der Beute wird er vom Bauernsohn beobachtet, einem offensichtlich traumatisierten Knaben im Grundschulalter. Der Bub nimmt sich als Gangster, als harten Kerl wahr. Dabei weiß man nicht, wie viel von dieser Fantasie bedenkenloses Spiel und einsamer Zeitvertreib ist. Aber die Situation, wie sie sich dem Jungen darstellt, könnte sein Hirngespinst endgültig gefährliche Wirklichkeit werden lassen.
Ausgeliefert am Arsch der Welt
In diesem Setting, in dem es für keine der Figuren einen Ausweg zu geben scheint, geht dann auch alles schief, was nur schief gehen kann. Kein Wunder: Selten war ein Arsch der Welt sprichwörtlicher als dieses Gehöft im Nirgendwo, und selten war ein Figurenensemble kaputter und abstoßender. Man fühlt sich ein Stück weit an eine andere Adaption erinnert: An U-Turn, Oliver Stones filmische Umsetzung von John Ridleys Roman Stray Dogs. Beiden Werken ist gemein, dass sie herkömmliche Stilmittel bewusst ausklammern. Sie erzeugen eine Crime Noir-Atmosphäre im gleißenden Sonnenlicht. Ein Schwarz und Weiß gibt es hier nicht. Und Bleierne Hitze leuchtet alle Facetten der Düsternis aus, weswegen man sie umso schwerer ignorieren kann.
Baru richtet in seinem neuen Werk den Fokus auf ein Stück Welt, das desolater kaum sein könnte. Die Lebenswirklichkeiten, die hier gezeichnet werden, bewegen sich nahe der Karikatur, was natürlich auf Barus Strich zurückzuführen ist. Jede Figur des Comics ist eine arme Sau, und nur für den, der seine Rolle als Schwein in diesem Saustall ernst nimmt, bietet sich eventuell die Chance auf flüchtiges Glück. Baru geht insofern solidarisch mit seinem Figurenensemble um, indem er ihm komische Züge schenkt. Damit wird er den Charakteren eher gerecht als durch einen mitleidigen Blick, der die Tristesse lediglich kurzfristig aufhellen könnte. Jeder ist hier ein Opfer der Umstände. Tröstend in den Arm nehmen möchte man aber dennoch keinen. Dass man die Geschichte in ihrer Wahrhaftigkeit ernst nehmen muss, resultiert gerade aus der beißenden Absurdität, die eben auch mal Komik birgt.
Ein großer Wurf
Baru bewegt sich mit seinem neuesten Streich mindestens auf Augenhöhe mit seinen anderen Krimidramen. Wer Elende Helden und Hau die Bässe rein, Bruno berechtigterweise gut findet, wird auch diesmal nicht enttäuscht. Allzu Versöhnliches darf man jedoch nicht erwarten. Wie bei Geschlossene Gesellschaft bleibt den Internierten der vorgestellten Ödnis auch nichts übrig als die Option, einfach weiterzumachen.
| CHRISTIAN NEUBERT
Titelangaben
Baru/Jean Vautrin: Bleierne Hitze. Aus dem Französischen von Uwe Löhmann. Wuppertal: Edition 52, 2013
110 Seiten. 20 Euro.
Reinschauen
Leseprobe
Baru bei Edition 52