Comic | Nicolas Jarry (Texte)/ Erion Campanella Ardisha (Zeichnungen): Troja, Band 1: Das Volk des Meeres
Die ›Odyssee‹ und die ›Ilias‹ von Homer gelten als Startschüsse der Weltliteratur im siebten oder achten vorchristlichen Jahrhundert. So überrascht es nicht, dass beide Epen auch die Popkultur beeinflussen und spätestens seit dem Spielfilm ›Troja‹ von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 2004 einen dominanten Part darin einnehmen. Texter Nicolas Jarry und der Zeichner Erion Campanella Ardisha haben begonnen, eine Graphic-Novel-Reihe über den trojanischen Krieg zu kreieren. Inzwischen liegt der erste von vier Bänden vor – mit dem Titel ›Troja: Das Volk des Meeres‹. PHILIP J. DINGELDEY hat sich beim Lesen des Comic über den Umgang mit der Historie geärgert.
Konträr zum Spielfilm will sich dieser Comic näher an der ›Ilias‹ orientieren. Zumindest insofern, als dass die Handlung nicht die des säkularisierten Filmes ist. Stattdessen sind die menschlichen Akteure hier ganz klar Spielfiguren, die von den Göttern gesteuert werden, etwa von Chronos, dem Vater von Zeus, den letzterer besiegt und verbannt hatte, und der sich nun an seinem Sohn und der Menschheit, die ihn vergessen zu haben scheint, rächen will und der mit den Rachegöttinnen Erinnyen kooperiert. Hekate, die Göttin der Magie und der Schatten dagegen versucht, menschliche und metaphysische Kräfte zu formieren, um einen Weltenbrand durch Chronos zu verhindern.
Unterhalb dieser Götterebene handeln die wohlbekannten Protagonisten: Achilles, der König von Phthia, der in dieser Version die schöne Helena von Sparta liebt, sammelt seine Kräfte, um gegen Agamemnon, dem Großkönig von Mykene, in den Krieg ziehen zu können. Die Handlungsebenen vermischen sich, als ein Heer nach dem anderen von einer göttlichen Kraft vernichtet wird, inklusive dem Vater von Helena. Als Königin von Sparta sieht diese sich nun verpflichtet, Agamemnons brutalen Bruder Menelaos zu heiraten, flieht aber daraufhin mit dem in sie unsterblich verliebten Paris, dem Prinzen von Troja, in dessen Heimatstadt. Agamemnon, der den Erinnyen dient, hat nun einen Grund, in den Krieg zu ziehen und in Troja die Kräfte von Chronos zu entfesseln.
Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört
Leider ist dieser Band als langgezogene Exposition fast auf ganzer Linie misslungen. Jarry ist nur insofern zu loben, als dass er nicht einfach ein zehnjähriges Kriegsspektakel in die Comicform gießen will, sondern sich dabei am griechisch-archaischen Mythos bedient. Ansonsten stimmt aber nichts mit diesem Graphic Novel: Die Szenenwechsel gehen schnell, und es passiert nur reichlich wenig. Manchmal werden die Szenenwechsel und die Orte, an denen sich die Protagonisten aufhalten, nicht definiert, was zuweilen für Unübersichtlichkeit sorgt.
Des Weiteren hat Jarry gezeigt, wie man gerade den antiken Topos nicht in die moderne Kunstform des Comics integrieren soll: So bleibt die im Großen und Ganzen recht platt geschilderte und banale Handlung langweilig, erreicht nicht annähernd das Niveau der ›Ilias‹, und gerade die Sprache der Akteure wirkt überaus unauthentisch. Sie ist zu modern, zu sehr an der Gegenwart orientiert. Sie wirkt wie der verzweifelte Versuch, eine eingestaubte Geschichte für die Jugend cool zu gestalten, was aber de facto die Handlung eher der Lächerlichkeit preisgibt, wenn beispielsweise ein Soldat in moderner Proletensprache flucht und dann klassisch die Götter anfleht. Es wächst das zusammen, was nicht zusammengehört.
Blanker Sexismus statt griechischer Mythos
Der Zeichner Campanella Ardisha hat auch nicht besser gearbeitet. Zwar könnte man sagen, dass er unser Bild des Kleidungsstils der Archaik korrekt reproduziert, und auch an blutigen Szenen fehlt es nicht. An den entscheidenden Kriterien hat er aber versagt. Natürlich wendet er das gegenwärtige Schönheitsbild auf die Protagonisten an, und nicht das der griechischen Antike. Wäre das noch verkraftbar, um uns die Geschichte nach unserem heutigen Bilde näherzubringen, so degeneriert und korrumpiert der Comic oft zu blanken Sexismen. Helena etwa wirkt wie ein Pornomodell, das sich mehreren Schönheitsoperationen unterziehen musste, anstatt wie eine anmutende Königin, die durch Charme, Ausstrahlung und Schönheit Männer veranlasst, Kriege zu führen. Selbst die Göttin Hekate, die als Kämpferin agieren soll, muss immer darauf achten, dass ihre Figur zur Geltung kommt. Die Liebes- und Erotikszenen der ›Ilias‹ werden auf weibliche Brüste reduziert.
Noch lächerlicher hat Campanella Ardisha Achilles gezeichnet. Er wirkt gar nicht wie ein großer, starker, maskuliner und nahezu unverwundbarer Kriegerkönig. In Relation zu manch anderen Figuren ist er eher schmächtig gezeichnet, mit einem kindlichen Gesicht, dem noch nicht einmal das erste Barthaar gesprossen ist. Achilles, der Milchbubi, und Helena, der Pornostar – das ist das ›Troja‹ von Campanella Ardisha.
Die beiden Macher dieser Troja-Reihe hatten möglicherweise die hehre Intention, den trojanischen Mythos zu reanimieren. Leider ist die Graphic Novel aber nur ein großes Ärgernis, das auf wenigen bunten Seiten versucht, den Mythos zu simplifizieren und zu degenerieren, verdeckt unter einer Schicht von Sex und Gewalt.
| PHILIP J. DINGELDEY
Titelangaben
Nicolas Jarry (Texte)/ Erion Campanella Ardisha (Zeichnungen): Troja, Band 1: Das Volk des Meeres
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Bielefeld: Splitter Verlag 2015
48 Seiten, 13,80 Euro
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