Comic | Jerome Charyn (Text), Francois Boucq (Zeichnungen): Die Frau des Magiers
Der ›Splitter‹ Verlag macht sich derzeit neben seinem Genre-Programm immer wieder um die Pflege herausragender Klassiker der Comic-Kultur verdient. Dazu gehört auch die deutsche Neuauflage der Werke aus der Zusammenarbeit des Schriftstellers Jerome Charyn und des Zeichners Boucq. Die Agentenmär ›Teufelsmaul‹ ist bereits hier besprochen worden – nun hat sich BORIS KUNZ ein weiteres Werk der Reihe angesehen: ›Die Frau des Magiers‹.
Der Comic eröffnet mit einem eigentümlichen Bild: Eine Schar müder Jockeys lässt sich von den dazugehörigen Rennpferden durch eine amerikanische Vorstadt tragen. Die kleinwüchsigen Reiter scheinen allesamt das gleiche, alte Gesicht zu haben. Einer von ihnen fällt beinahe mit einem Hitzschlag vom Pferd und erbittet sich in einer nahestehenden Villa ein Glas Wasser. Die Tür wird ihm von einem kleinen Mädchen geöffnet, das ein weißes Kaninchen als Haustier auf dem Arm trägt. Von Anfang an ist klar: Irgendwas ist hier nicht ganz koscher. Doch was es ist, das ist schwer greifbar.
Der Jockey wird für längere Zeit aus der Handlung verschwinden, die sich fortan um Rita, das Mädchen mit den weißen Kaninchen drehen wird. Während Rita im Wandschrank der Villa mit einer Schar exotischer Tiere konferiert, schläft ihre Mutter, eigentlich als Küchenhilfe von den reichen Hausbesitzern angestellt, auf dem Dachboden mit Edmond, dem Sohn der Familie. Dieser möchte sein Elternhaus bald verlassen, um als Bühnenmagier Erfolge zu feiern. Auch das wirkt seltsam bizarr, denn Edmond scheint mit seinen weißem Haarschopf bereits jenseits der Fünfzig zu sein, wirkt mit seinen roten, albinoartigen Augen aber ohnehin schon fast wie ein Vampir.
Er scheint dann auch im Verlauf der Handlung nicht zu altern, während er mit Rita und ihrer Mutter als Assistenten durch die Welt zieht und tatsächlich ein berühmter Magier wird. Moskau, Paris, München sind die Stationen ihrer Welttournee, während derer aus Ritas Mutter eine alte Frau und aus Rita eine bildschöne Erwachsene wird. Beide scheinen dem Charme des Magiers (oder doch seinem magischen Einfluss?) so verfallen zu sein, dass sie es einfach mit sich machen lassen, als Edmund schließlich die Mutter fallen lässt und stattdessen die Tochter heiratet. Und als sich Rita dann eines Tages doch entschließt, Edmond den Rücken zu kehren, hat das ungeahnte, mörderische Konsequenzen …
Moebius meets Lynch
Wie in einem Film von David Lynch scheinen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie in dieser Erzählung aufgehoben. Auch wenn es Elemente gibt, die eindeutig der tagträumerischen Phantasie von Rita zu entspringen scheinen (wo es sie immer wieder in eine venezianische Hochzeitsgesellschaft aus dem 17. Jahrhundert verschlägt), scheint auch die Realität um das Mädchen herum nicht ganz koscher zu sein. Die Dekors sind voller stimmiger Details, ob das die Autos auf New Yorks Straßen oder die Jugendstilschränke in noblen Französischen Hotels sind, und doch ist da immer ein Hauch Phantastik, irgendein bizarres Detail, das nicht so recht in unser Verständnis von Realismus passen will: Merkwürdige Figuren, märchenhafte Villen mitten in den Suburbs der 50er Jahre, assoziative Referenzen an Alice im Wunderland … Auch die magischen Tricks, die Edmond auf der Bühne vorführt, sind einerseits tatsächlich übernatürlich, scheinen andererseits aber hauptsächlich aus der sexuellen Degradierung seiner Assistentin zu bestehen.
Das Album war 1984 ein entscheidender Schritt im Schaffen des Zeichners Francois Boucq von der karikaturhaften Satire Marke »Fluide Glacial« zur stimmungsvollen Erzählung. »Schön« wäre jedoch nicht ganz das richtige Wort, die Zeichnungen dieses Comics zu beschreiben – »faszinierend« trifft es da schon eher. Boucq passt seinen klassischen Stil französischer Schule perfekt der Erzählung an und reichert diese Welt mit zahlreichen gut recherchierten Details an, lässt aber alles mit Mut zur Hässlichkeit alt, morbide und verfallen wirken. Selbst das Gesicht eines jungen Mädchens hat durch den Strich von Boucq etwas ungreifbar altersloses an sich. Bildkomposition und Lichtstimmung ergänzen diese Wirkung noch. Das Album zeigt den späteren Schöpfer von ›Horst Katzmeier‹ als frühen Meister seines Fachs, auf der Höhe von Kollegen wie Moebius, Palacios, Serpieri oder Juillard.
›Die Frau des Magiers‹ ist ein spannendes Stück Comicgeschichte, ein bizarres Märchen mit Anklängen von Thriller und Horror, eine eigentümliche Charakterstudie von Figuren, deren Phantasien, Wünsche, Ängste und Neurosen bereits die Realität um sie herum infiltriert haben.
Titelangaben
Jerome Charyn (Text), Francois Boucq (Zeichnungen): Die Frau des Magiers
(La Femme du Magicien) Aus dem Französischen von Gerd Benz
Bielefeld: Splitter Verlag 2015
88 Seiten, 18,80 Euro
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