/

Die Schönheit und ihr Preis und Wert

Comic | Hubert/Kerascoët: Schönheit

Ein Abenteuercomic, zauberhaft in seinem Märchencharakter und seinen Bildern: Hubert und Kerascoët begeben sich in »Schönheit« auf die Suche nach eben dieser – und lassen von Anfang an keinen Zweifel daran, einen wunderschönen Comic geschaffen zu haben. Von CHRISTIAN NEUBERT

SchoenheitSchönheit als gesellschaftliches Geltungsmerkmal, als erstrebenswerte Eigenschaft, als soziales Stigma, als sich im Wandel befindlicher Wert und insofern als etwas, das stets im Auge des Betrachters liegt: Schönheit ist insofern zeitlos, als dass sie ständig Objekt und Subjekt zugleich ist. Auch Huberts und Kerascoëts auf Schönheit getaufter Comic kann zeitlosen Anspruch geltend machen. Schon allein dadurch, dass man dem Werk, das ursprünglich in drei Bänden entstand und bei Reprodukt in einer schön editierten Gesamtausgabe vorliegt, ein »Es war einmal…« voranstellen könnte. Immerhin trägt die in ein mittelalterliches Setting inklusive Feen- und Königreiche gepackte Abenteuergeschichte einwandfrei märchenhafte Züge. Und Märchenstoffe funktionieren zeitlos in ihrer allegorischen Themenvermittlung.

Bei Schönheit taucht man als Leser aufgrund des Märchenhaften unmittelbar in eine Welt ein, in der eine junge Magd namens Morue vorwiegend mit dem Schuppen von Fischen beschäftigt ist. Den unweigerlichen Fischgeruch bekommt sie längst nicht mehr los, und zusammengenommen mit ihrem wenig attraktiven Äußeren ist sie weit davon entfernt, beim alljährlichen Maiball zum Tanz aufgefordert zu werden. Von quasi jedem in ihrem Dorf verspottet, wünscht sie sich nichts sehnlicher als Schönheit.

Wer nicht schön ist, muss leiden

Die Geschicke der Welt haben aber mehr mit ihr vor. Als in einem Moment der Trauer ihre Tränen auf eine Kröte fallen, entpuppt sich diese als Fee, noch dazu als vermeintlich gute. Sie kommt dem Wunsch des Mädchens gerne nach. Zwar kann sie nichts an Morues Erscheinung ändern. Sie kann allerdings einen Zauber bewirken, der die junge Dame in den Augen eines jeden als vollkommene Schönheit erstrahlen lässt.

Auf diese Weise zu einer Mischung aus Aschenputtel und Helena von Troja gemacht, führt Morues Geschichte sie nun durch Stationen ihres Lebens, die ihr ohne ihre neu gewonnene Schönheit verwehrt geblieben wären. Stationen, anhand derer die Doppelbödigkeit von gesellschaftlichen Zuschreibungen und individuellem Wunschdenken ersichtlich wird. Klar stellt sich Morues absolute Schönheit auch – und sogar vorwiegend – als Fluch heraus. Bewunderung und Begierde kommen nie ohne Neid und Missgunst aus, ihre Person wird zur Inspiration von Kunst und Wahnsinn, zum Anlass von Güte und Krieg. Außerdem droht sie, zum uneingeschränkten Ideal erhoben, nach und nach ihr Selbst zu verlieren.

Wer schön sein will, auch

Die in »Schönheit« abgehandelte Thematik mag sich abgedroschen anhören. Dennoch bietet die Lektüre ein ausgesprochen vielschichtiges Leseerlebnis. Und da Kerascoëts Illustrationen den Kopf des stilistisch richtigen Nagels treffen, ist die Geschichte in zeitlos-schöne Bilder gepackt. Eine kräftige Farbpalette verleiht den als kindhaft-naiv stilisierten Zeichnungen große Strahlkraft, und trotz klarer Linien, die nicht allzu viele Details in den Hintergründen erkennbar machen, sind die Bildkompositionen ausgesprochen opulent. Das Colouring hat Autor Hubert, wie bereits beim vorhergegangenen Gemeinschaftswerk »Fräulein Rühr-Mich-Nicht-An«, übrigens persönlich vorgenommen.

Der reduzierte Strich leistet genau das für den Märchencharakter der Erzählung, was die mit wenigen Schlagworten auskommenden Märchenschilderungen innerhalb ihrer literarischen Gattung bewirken: Die bedienten Bilder wirken unmittelbar und universell, und so, wie das Märchen oft Momente großer Grausamkeit kennt, bringen auch Hubert und Kerascoët Szenen von drastischer Gewalt in ihren Panels unter, die aber aus gleichem Grunde – eben aufgrund des Märchencharakters – augenblicklich entschärft werden. Dass sie dadurch aber nicht ungeschehen oder negiert werden, sondern zur Abenteuergeschichte umgemünzt werden, ist der erzählerischen Kniff von Hubert, der Seite an Seite mit Kerascoët erneut ein Werk geschaffen hat, dessen literarischer Anspruch auch von seinen Bildern eingehalten wird.

Den Band gibt es übrigens auch in einer auf 999 Exemplare limitierten Vorzugsausgabe inklusive Kunstdruck.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Hubert/Kerascoët: Schönheit. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Berlin: Reprodukt 2013
152 Seiten, 36 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Indie sein

Nächster Artikel

Kurze Verfallszeit im Retrowolf

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Das Geheimnis des großen Meisters

Comic | Rodolphe Daniel Jacquette, Louis Alloing : Der Fall E.P. Jacobs – Ein Leben für den Comic Recht spät in seiner Entwicklung entdeckt das Medium Comic seine eigene Entstehungsgeschichte als Sujet. Nach ›Die Abenteuer von Hergé‹ oder ›Gringos Locos‹ mit Franquin und Morris ist nun auch E.P. Jacobs zum Gegenstand eines Comicalbums geworden. BORIS KUNZ über die gezeichnete Biographie des Schöpfers von ›Blake & Mortimer‹.

Milchbubis und Pornomodels

Comic | Nicolas Jarry (Texte)/ Erion Campanella Ardisha (Zeichnungen): Troja, Band 1: Das Volk des Meeres   Die ›Odyssee‹ und die ›Ilias‹ von Homer gelten als Startschüsse der Weltliteratur im siebten oder achten vorchristlichen Jahrhundert. So überrascht es nicht, dass beide Epen auch die Popkultur beeinflussen und spätestens seit dem Spielfilm ›Troja‹ von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 2004 einen dominanten Part darin einnehmen. Texter Nicolas Jarry und der Zeichner Erion Campanella Ardisha haben begonnen, eine Graphic-Novel-Reihe über den trojanischen Krieg zu kreieren. Inzwischen liegt der erste von vier Bänden vor – mit dem Titel ›Troja: Das Volk des Meeres‹.

Ein vertracktes Juwel

Comic | Neil Gaiman (Text), James J. Williams III (Zeichnungen): Sandman Ouvertüre Wenn eine erfolgreiche Geschichte zu Ende erzählt ist, wenden sich diejenigen, die an dieser Geschichte noch mehr zu verdienen hoffen, gerne Nebenfiguren (Spin-Offs) oder der Entstehungsgeschichte der Helden zu (Prequels). Das kann gut gehen, kann aber auch zu einer abgeschmackten Banalisierung eines Mythos werden, wie die ›Before Watchmen‹-Reihe eindrucksvoll bewiesen hat. Hat man also Grund zur Sorge, wenn Neil Gaiman jetzt in ›Sandman – Ouvertüre‹ die Vorgeschichte seiner legendären Comicreihe verfasst? BORIS KUNZ kann an dieser Stelle beruhigen.

Western von gestern, heute gesehen

Comic | Paolo Eleuteri Serpieri: Tex – Der Held und die Legende Der langlebige Comic-Westernheld Tex bekommt regelmäßig Sonderbände von renommierten Künstlern verpasst. In ›Tex – Der Held und die Legende‹ hat sich Comic-Altmeister Paolo Eleuteri Serpieri dem Recken angenommen. Und ist damit zu den Ursprüngen seiner Comic-Karriere zurückgekehrt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Eine moderne Odyssee

Comic | Judith Vanistendael: Penelopes zwei Leben

Die belgische Comiczeichnerin und -autorin Judith Vanistendael legt mit ›Penelopes zwei Leben‹ eine Graphic Novel über die moderne Odyssee einer Ärztin zwischen dem syrischen Bürgerkrieg und ihrer Heimat Belgien vor. Darin thematisiert werden Fragen wie: Was macht der Krieg mit einem? Woran kann man sich noch festhalten, wenn man mit extremer Gewalt und Grausamkeit konfrontiert wurde? Wie geht das Leben danach weiter? Ist ein normales Familienleben in der Heimat danach noch möglich? Von FLORIAN BIRNMEYER