Musik | Toms Plattencheck
Das Schweizer Trio Rusconi ist zweifacher Echo-Jazz-Gewinner. Eine Aussage, die – ohne weitere Erläuterung – all zu schnell wahlweise zum Abwinken oder Abnicken führen könnte. Doch auch wenn Rusconi im Jazzbereich bei Hörern und Kritikern höchstes Lob erfahren, sind sie alles andere als das klassische Piano-Jazz-Trio. Von TOM ASAM.
Die klassisch ausgebildeten Musiker um Stefan Rusconi (»Piano, synth, space echo & sound preparations«) bedienen sich zwar der Rhythmik des Jazz, tauchen aber gleichermaßen ein in eine Klangwelt zwischen avanciertem Pop und Noise. Neben Einflüssen von Paul Bley bis Nils Wogram findet man hie stets auch Zugang zu völlig anderen Musikwelten. Auf dem letzten Album, Revolution, aus dem Jahr 2012 fand sich eine Zusammenarbeit mit Fred Frith, It´s a sonic life war gar eine Hommage an die New Yorker Art-Noise-Legende Sonic Youth über Albumlänge. Bei Rusconi hört man Bass mit im Jazz eher seltener- Distortion, verfremdete Klänge, überraschende Stilmischungen und -wechsel zwischen und innerhalb ihrer Alben. Nach dreijährigem Intermezzo bei Sony sind sie seit Revolution zudem völlig unabhängig, was Produktion und Vertrieb ihrer Musik anbelangt. Die Schweizer sind Individualisten und Freigeister, wie sie im Jazz vor lange Zeit mal eher die Regel als die Ausnahme waren. »Das neue Album ist eine Rückbesinnung auf unsere Kinderjahre(…) als Träume, Wünsche, Phantasie und Illusion noch Realitäten waren…«, lässt die Band verlauten – eine Rückbesinnung, die auch in der gelungenen grafischen Gestaltung ihren Niederschlag findet. History Sugar Dream nennen Rusconi ihre Reise ins Phantasie-Land; eine Reise, die überraschend, vielfältig und mutig ist, die vom Jazz zum Postrock und in unbekannte Zwischengebiete reicht. Mein Tipp: Download sofort – Vinyl auf einem der im April anstehenden Livekonzerte zwischen Karlsruhe und Berlin erstehen!
Die Wortschöpfung Skeylja ist eine Kombination des friesischen Ausdrucks für die Insel Terschelling, Skylge, und dem isländischen Wort für Insel, Eyjan. Damit ist bereits angedeutet, dass hinter dem Album Skeylja ein internationales Projekt steckt, nämlich The Alvaret Ensemble im Zusammenspiel mit diversen isländischen Künstlern: Kira Kira, Eirikur, Orri Olafsson, Ingi Garoar Erlendsson und Borgar Magnason. Nach gemeinsamem Musizieren und Experimentieren unter dem Eindruck der isländischen Naturgewalten spielten die Musiker auf der niederländischen Insel Terschelling neun ausverkaufte Konzerte im Rahmen des Oerol Festivals. Dabei kuratierte jede der beteiligten Musiker einen der Konzertabende; wobei es nur grobe Pläne für jedes Konzert gab– von der in Musik umzusetzenden Zeichnung bis hin zu präzisieren Umschreibungen. Allerdings stets ohne Noten oder konkreten Angaben zur Musik! Die Konzerte fanden, wie bereits die Aufnahmen zum Debüt von The Alvaret Ensemble, in einer Kirche statt. Was auf dem Album letztlich zu hören ist, steht am Ende eines langen Prozesses des Auswählens, Editierens und Abmischens – aus zehn Stunden Material wurden letztlich gut 40 Minuten, die es allerdings in sich haben. Die Klangpalette reicht von äußerst reduzierten Momenten, in denen Jan Kleefstra mit ein paar auf friesisch gemurmelten Worten zu Pianotupfern von Greg Haines oder rudimentären Percussion-Elementen zu hören ist, bis zu unerwarteten, heftigen Noise-Ausbrüchen mit verzerrten und geschundenen Bläserklängen. Die Atmosphäre ist weitgehend düster, hypnotisch und gespannt. Beeindruckend!
Einst war Punk angetreten, um dem verflachten Westcoast-Pop, Stadionrock und selbstverliebten Progrock-Muckertum den Gar auszumachen. Als Punk innerhalb kürzester Zeit zur leeren Phrase und oft nichts weiter als schneller und schlechter gespieltem Rock wurde, kamen Heerscharen von Postpunk-Kreativlingen über das Pop-Universum. So zumindest wird in überspitzter Kürze ein Teil der Pop-Historie überliefert. Die Popmusik der Gegenwart bedient sich bekanntermaßen weitgehend beliebig im mittlerweile problemlos zugänglichen Ausgangsmaterial der letzten 50 Jahre. Was zu Recht gerne bemängelt wird, ist dabei die Austauschbarkeit und der Mangel an Aussagen zu Gegenwart (außer jener der Beliebigkeit) und möglicher Zukunft sowie eine äußerst kurze Verfallszeit der im Retrowolf verwursteten Stile. Vom reinen Unterhaltungswert her betrachtet ist die Situation allerdings oftmals komfortabel. So etwa auch bei der italienischen Band Edible Woman, die auf Nation eine eher ungewöhnliche Stilmischung präsentiert: Hier vermählen sich nämlich (in Italien traditionell von zahlreichen Bands vertretener) sogenannter progressiver Rock mit Elementen von Postpunk und Wave. Da scheinen sich zu Gentle Giant und Genesis plötzlich PIL (Cancer) oder Joy Divison (Psychic Surgery) dazu zu gesellen. Money for Gold wiederum ist eine zweieinhalbminütige Miniatur, die Ian Curtis mit dubbigen Trompeten-Echos zu verbinden scheint. Und das passt! Cleverer Puzzle-Rock, der die Popgeschichte gleichermaßen kennt und missachtet.
Musiker aus Glasgow und Bordeaux finden bei Babe zusammen, einem ambitionierten Pop-Projekt, dass sich auf dem Debut Volery Flighty einigermaßen experimentierfreudig zeigt. Wie das reduziert gemalte Cover andeutet, kommen Kunst und Handwerk hier zusammen. Gerard Blacks Falsetto-Stimme wird bei Grotto vom Piano unterstrichen und gleichzeitig von pulsierenden Bässen und prägnanten Drums kontrastiert. Trip Wire ist auf Akustikgitarre, Gesang und Handclaps reduziert. Lauren Mayberry, Sängerin der ebenfalls aus Glasgow stammenden Chvurches sorgt für Abwechslung auf Aerialist Barbette, das mit einer gewissen Jazzsensibilität relaxed, sophisticated und catchy gleichermaßen ist. Falling in the apples verbindet irrlichterende, hohe Gitarrentöne mit ätherischem Gesang. Babe machen den Hörer neugierig auf mehr. Vielleicht fehlt noch etwas die klare Ausrichtung und der wirkliche Wiedererkennungswert. Freunde von Bands wie Wild Beasts, Everything Everything oder Miracle Fortress sollten schon mal reinhören.
Mann mit Gitarre und Surfbrett – poppiger Folk und Naturbegeisterung in cool. Das hatten wir doch schon in äußerst erfolgreicher Ausführung mit Jack Johnson. Bei Ryan Keen bleibt wenigstens das Hawaii-Klischee aus, kommt der junge Mann doch aus der englischen Grafschaft Devon. Dafür, dass sein sportliches Faible verraten wird, kann er vielleicht gar nichts Das Cover setzt zumindest auf Wald statt Welle – und Keens zwar immer noch sehr eingängigen Songs sind nicht ganz so schlciht wie die von Johnson. Ausgefeiltes Songwriting, schöne Stimme, gekonntes Gitarrenspiel. Alles da – einschließlich druckvoller aber zugleich luftiger Produktion. Universell leicht zu verstehende Musik mit ebensolcher Message: »Im going back to the ocean…i go up beyond the clouds«.
Auf verschiedenen Ebenen scheint die ehemalige Band vom mittlerweile solo sehr erfolgreichen Kurt Vile zu funktionieren. The war on drugs kann man als angenehm schluffig-eingängigen Pop lesen bzw. hören. Da sind eindeutig Dylan und Springsteen herauszuhören – aber ohne zuuu knödeligen Gesang, ohne Mundharmonika-Nerv oder »Wir krempeln die Ärmel hoch«-Gestus. Statt den Boss Richtung Punkrock zu pushen wie es Bands wie Gaslight Anthem vormachten, herrscht hier die fluffige Variante. Man kann da aber auch reduziertes Drumming im Krautrockstil und geschickt eingeflochtene Ambient- wie Dreampop-Einflüsse erkennen. Musik also, die für den informierten Popschlingel gleichermaßen zu funktionieren scheint, wie für den unbedarften Mainstreamradiokonsumenten. Ist das genial – oder doch eher fad? Während man zwischendrin ersteres ankreuzen möchte, hat man im nächsten Moment schon wieder zuviel. Klingt das nicht plötzlich nicht doch eher nach Dire Straights als … aber so schlimm ist das ja eigentlich auch nicht … Oder doch?
| TOM ASAM
Titelangaben
Rusconi: History Sugar Dream – Qiin Records / Broken Silence
The Alvaret Ensemble: Skeylja – Denovali Records / Cargo
Edible Woman: Nation – Santeria / Rough Trade
Babe: Volery Flighty
Ryan Keen: room for light – Embassy of music
The war on drugs: Lost in the dream – Secretly Canadian / Cargo