Retrofuturisten und Pop-Pflänzchen

Musik | Toms Plattencheck

Als die vier Mädels von CSS 2006 mit Cansei der sexy debütierten, war die Begeisterung groß. Irgendwie schien ihr Elektropop gerade wegen einer sympathischen Prise trashigem Dilettantismus den Nerv zu treffen. Als sexy, schräg und jede Menge Lofi Charme versprühend galten CSS, deren Sound gar eine Prise Punk attestiert wurde.

Nicht zuletzt ihre brasilianische Herkunft erhöhte die Glaubwürdigkeit, sich außerhalb der üblichen Systeme zu bewegen und sorgte für die richtige Note Exotik. Wobei natürlich ohne die Verwendung eines Songs für eine I-Pod-Kampagne der Wind viel lauer ausgefallen wäre – perfekte Hochglanzverwertung und DIY-Image scheinen heutzutage aber kaum noch als widersprüchlich wahrgenommen zu werden. Von Wildheit ist auf ihrem vierten Album Planta nun endgültig nichts mehr übrig geblieben. Denn dafür haben sich CSS zwei Monate im Haus von Dave Sitek eingenistet. Dieser ist Mitglied von TV On The Radio und erfolgreicher Produzent (u.a. Foals, Liars) mit Hang zum Hochglanz – passenderweise residiert der New Yorker mittlerweile in L.A. An Planta werden sich die Geister scheiden. Die Platte ist eine Sitek-Fingerübung mit einer durchschnittlich begabten Synthie-Pop Band, die sich hier mal wie eine aufpolierte Bangles-Variante, mal wie schwächere M.I.A. (oder Santigold – ja die hat Sitek auch produziert) gibt. Für viele CSS Fans der ersten Stunde wird spätestens hier Schluss sein. Und Freunde des detailreichen, perfektionistischen 80s Synthpop fragen sich vielleicht, ob das mit einer besseren Sängerin nicht reizvoller wäre. Denen sei dann konsequenterweise Siteks akustischer Solo-Showroom namens Maximum Balloon (2010) anempfohlen.

Eine eigene Nische erschlossen sich die Kanadier Austra mit ihrem Debut Feel it break aus dem Jahr 2011. Ihr 80s Synthiepop liebäugelt mit einer unpeinlichen Annäherung an Goth-Elemente und stach durch die akzentuierte Stimme der klassisch ausgebildeten Sängerin Katie Stelmani heraus. Neben einer fein abgeschmeckten Prise Düsternis fühlte man auch eine gewisse ätherische Abgehobenheit, die auch Hinweise auf Künstlerinnen wie Kate Bush nach sich zog. Auf ihrem neuen Werk Olympia machen Austra eigentlich da weiter, wo sie aufgehört haben. Vielleicht ein bisschen ausgefeilter und synthielastiger. Und die Dunkelheit und Melancholie ist von einer über den Dingen schwebenden eher zu einer irdischen geworden. Olympia thematisiert die schattigen Momente des Alltags. What we done und Forgive me lauten die ersten beiden Titel, »you never own me« heißt es in Sleep, im darauf folgenden Home erfolgt die Klage »it hurts me when you …« – Beziehungsstress als olympische Disziplin des menschlichen Miteinanders – vorgetragen in wunderschönen, kleinen Popmeisterwerken.

Zurück ins Außerweltliche geht es mit einem Fundstücke für die Retrofuturisten unter uns. Zurück in die Zukunft heißt in diesem Fall: Zurück hinter den Eisernen Vorhang, wo im Rumänien des Ceauşescu-Regimes Rodion Ladislau Rosca als Kopf der Band Rodigon G.A. Ende der 70er zwischen elektronischen Sounds und schrägen Space-/ Prog-Rock experimentierte. Nahe der ungarischen Grenze während einer relativ offenen Phase Ende der 60er, Anfang der 70er aufgewachsen, sog Rodion alles auf, was er an westlicher Musik in die Hände bekam – 1970 spielten sogar noch Acts wie Blood, Sweat and Tears oder Louis Armstrong in Rumänien, zudem war die einheimische Szene von Jazz bis Progrock noch gut aufgestellt. Platten zu veröffentlichen hingegen war schwer, gab es doch nur die staatliche Plattenfirma Electrecord. Da Rodion sich mit Musik für Theater, Film und Ballett einen gewissen Namen gemacht hatte, kam es sogar zu Aufnahmen – eine richtige Platte erschien allerdings nie. Vielleicht war sein eigener Stil mit Reel to reel Technik, einer ersten rohen Variante des Multitrackings, dem Einsatz von düsterem Delay und Effekten kombiniert mit Rockelementen auch zu sehr Nische. Was teils wie eine formell strengere Variante von Krautrock klingt, wird nun erstmals als Zusammenstellung alter Demoaufnahmen als The Lost Tapes veröffentlicht. Ein energetisches Fundstück voller Tempowechsel und verspielten Details – in mehrfacher Reise eine Reise in eine andere Welt.

| TOM ASAM

Titelangaben
CSS: Planta – SQE Music
Austra: Olympia – Domino / GoodTo Go
Rodion G.A.: The lost tapes – Strut/Alive

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Um die Welt mit Jules Verne

Nächster Artikel

Rabbiner in Feldgrau

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Folkdays aren’t over – Rosanne Cash

Musik | Rosanne Cash – The River & The Thread Rosanne Cash, Tochter von Johnny Cash, die weiß, wie man eine Gibson spielt, legte mit ›The River & The Thread‹ einfühlsame Songs vor, die in ihren Bann ziehen. Von TINA KAROLINA STAUNER

Ein bisschen peinlich, sie zu mögen …

Musik | Ottar Gadeholt über die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil V) Was ist dann aber passiert? Wie konnte Guns N’Roses, die bei Weitem größte und erfolgreichste Rockband der späten Achtziger, als eine etwas peinliche Parenthese der Musik in der Öffentlichkeit enden, während weit weniger interessante Bands – wie AC/DC oder Kiss – einen unangreifbaren Kultstatus erreicht haben und in den Feuilletons der großen Zeitungen gepriesen werden? Von OTTAR GADEHOLT

The Natural History of Anthony Collins

Bittles’ Magazine | Interview Looking back it’s hard not to conclude that Anthony Collins has had a pretty damn successful career to date. Gaining his first DJ gig at the tender age of 18, moving to Paris, playing at the fabled Rex Club, releasing tunes on the likes of Get Physical, Poker Flat, and Mule, releasing his excellent debut album on Freak N’ Chic, and being responsible for some of the most spine-tingling house music to hit record shop shelves. An Interview by JOHN BITTLES.

The Music Column That Wouldn’t Die: New Album Reviews.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world

I told myself I was over this, that I had retired from the world of music reviews. I had moved onto bigger and better things (mostly staring at the wall and wondering why nobody calls me anymore). Yet here I am, a mere few months after burning my bridges, giving up on new music and making a world of enemies, back in the game. Did I miss the constant abuse, the being paid in soiled pennies and the lack of recognition which writing this unremembered column entailed? Funnily enough, I did! It was listening to the post punk genius of the new Dry Cleaning record that did it. I thought to myself ‘someone has to take it upon themselves to tell the world just how good this album is’. After a moment of quiet reflection where I drank a glass of lukewarm Ribena to calm the nerves, I decided that that person may as well be me. By JOHN BITTLES

Vertrackte Interrelationen im Indie-Folk-Rock

Musik | Max & Laura Braun Die Geschwister Max und Laura Braun kreieren filigranen, langsamen Indie-Folk-Rock. Laura ist außer Sängerin auch bildende Künstlerin, Designerin und Fotografin und Max ist nicht nur Gitarrist, sondern komponiert auch Film- und Theatermusik und Sounddesign für audiovisuelle Medien. Von TINA KAROLINA STAUNER