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Bannerträger des Donaldismus

Kulturbuch | Patrick Bahners: Entenhausen. Die ganze Wahrheit

Begründet wurde der Donaldismus im Jahr 1977 durch Hans von Storch als »Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus« – D.O.N.A.L.D. Der verständnislose Außenstehende vermutet darin eine Verschwörungstheorie, die mit allen erdenklichen Mitteln bemüht ist, eine Comicwelt in der Realität zu verwurzeln. Von WOLF SENFF

Patrick Bahners EntenhausenPatrick Bahners lädt zu einer Forschungsreise nach Entenhausen ein und breitet dem Leser ein illustres Panorama aus. Wie es sich gehört, sucht er aus den vielfältigen Hinweisen in den Donald-Duck-Comics die Gründungsgeschichte der Stadt herzuleiten. Zwei legendäre Stadtväter habe es gegeben, Emil und Erasmus Erpel, denen er David Duck, den Erbauer der städtischen Wasserleitung und Großonkel Dagobert Ducks, zugesellt.

»Verdrängte« Urbevölkerung

Auf die Weise expliziert Bahners das sogenannte Ducksche »Drillingsgen« (Ernst Horst). Neben den Erpel-Drillingen und den Neffen Tick, Trick und Track würden auch drei Onkel existieren, und zwar neben Donald ein zweiter Onkel Deppi Duck, der seit einem unglücklichen Sturz vom Heuboden sein Dasein in einer »Verwahranstalt« friste, sowie ein verschollener dritter Bruder. Donald selbst, adoptierter Neffe und erbberechtigt, sei der Sohn eines unbekannt gebliebenen Bruders von Dagobert. Komplizierte Familienstrukturen.

Nicht infrage gestellt wird die Lokalisierung Entenhausens in den USA, und Patrick Bahners kommt nicht umhin, auf die Kriege gegen die, wie er schamhaft formuliert, »verdrängte« Urbevölkerung hinzuweisen. Auch das gehört zur Gründungsgeschichte Entenhausens, der Comic ist – das bliebe detaillierter herauszuarbeiten – in vielerlei Hinsicht in Leben und Kultur der USA verwurzelt, in diesem Fall geht es um die Beseitigung der Ureinwohner und die Eliminierung ihrer Kultur.

Anatidische Physik

Der amerikanische Comic gewinnt seine herausragende deutsche Besonderheit durch die vorzügliche Übersetzung von Erika Fuchs.

Wir werden eingeführt in Hans von Storchs Theorie der Paralleluniversen, zuerst ausgebildet in einem Beitrag von Storchs in ›Der Donaldist‹, 55 (1986), derzufolge sich zwei zum Verwechseln ähnliche Planeten ausgebildet hätten, Terra Hominum der Menschenwelt und eben Stella Anatium; beider Geschichte sei über weite Strecken synchron verlaufen, sie ist unterhaltsam illustriert am Beispiel anatidischer Physik.

Enten als Mittelschichtbevölkerung

Das liest sich amüsant. Man staunt ob der Fülle an Details, wird aber – wenn man die Bezüge auf Hans Blumenberg, Jakob Burckhardt, Rainer Maria Rilke und Freddy Quinn liest – den Eindruck nicht los, dass sich dennoch Patina ausbildet, wir leben im Jahr 2017, und auch wenn die erste Auflage der Untersuchung im Jahr 2013 erschien, sollte bei einer so anspruchsvollen Exegese der Carl Barksschen Comic-Episoden mehr Bezug auf die aktuellen Debatten möglich sein.

Wohl gibt es Armut in Entenhausen, strukturelle Armut im Elendsviertel Kummersdorf, doch immerhin, weder Enten noch anderes Federvieh seien dem Prekariat zuzurechnen. Außerdem findet Kummersdorf, folgt man dem Register des Entenhausener Stadtplans, in den diversen Episoden lediglich eine einzige Erwähnung – im deutlichen Kontrast zu der vielfachen Erwähnng der diversen Geldspeicher Dagobert Ducks. Die Oberschicht sammelt sich im feinen ›Klub der Millionäre‹ und gar im vielfach exklusiveren ›Klub der Milliardäre‹, und auch an diesem Ende der Skala sind Enten zahlenmäßig unterrepräsentiert.

Konfliktscheu

Nein, nach sozialen Verwerfungen sieht es, Bahners‘ Darstellungen folgend, in Entenhausen keineswegs aus. Treten vielleicht Kriegsveteranen auf? Die USA sind ununterbrochen in irgendwelche Kriege verwickelt – sind denn Kriege gar kein Thema? Gibt es in Entenhausen Rassenkonflikte? Welche Pädagogik ist in den lokalen Lehranstalten tonangebend? Spielt Gentrifizierung eine Rolle in Entenhausen?

Das wären Fragen, von denen man, dem leicht verstaubten Eindruck entgegenzuwirken, gewünscht hätte, dass sie von Patrick Bahners mit derselben Akribie untersucht und dargestellt wären wie die Theorie der Paralleluniversen.

Eine Fülle von Fakten

Dennoch ist nicht ohne Witz, was seitens der ›Duckforschung‹ in die Historie eingespeist wird, so eine auf Olaf den Wikinger nebst seinem umfangreichen Sagenkranz zurückgehende dynastische Tradition und die Lokalisierung Entenhausens im Nordosten der USA. Und man muss nicht glauben, ein Kapitel über die Gumpe und Timbuktu befasse sich vorrangig mit dem Entenhausener Fluss und mit Timbuktu, dem Ziel der Entenhausener Fluchtkultur zwischen »Weltflucht« und »Ausflucht«.

Der Text ist stets ausschweifend und breitet launisch eine überbordende Fülle von Fakten aus. Im Lauf nur weniger Zeilen springt Bahners vom Reimschema Shakespeares und Bob Dylan zur britischen Fuchsjagd und zu Franz Beckenbauer – ein eigenwilliger, gelegentlich irritierender Duktus.

Überzeitlicher Charme

Wer dazu neigt, Ironie, Groteske, Satire auch politisch einzuordnen, und welche zeitgenössische Satire würde sich nicht politisch positionieren, der wird hier kaum fündig werden, im Gegenteil. Ein Kapitel »Was heißt Globalisierung?« stellt im wesentlichen Dagoberts internationale ökonomische Verflechtungen als Globalisierung dar und blendet ihre Problematik komplett aus. Erneut stellt sich das Gefühl ein, dass sich Patina der Fünfziger Jahre ausbreitet – die Themenstellungen der Gegenwart bleiben unter den Teppich gekehrt.

Das ist sehr zu bedauern, zumal Patrick Bahners als einer der Bannerträger des Donaldismus gilt und die Episoden in und um Entenhausen durchaus ihren überzeitlichen Charme besitzen.

Fortschrittsgläubig

Störend ist jedoch die politische Naivität, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommt, die Enthaltsamkeit, die, statt die lebendige Stoßkraft einer Groteske zu entfalten, lediglich eskapistische Rückzugspositionen ausmalt. Schade.

Die alternativ durchgespielte Möglichkeit, Entenhausen zeitlich zu versetzen und sie »nach dem großen Knall« zu verorten, also nach einem Atomkrieg, der in Europa nur Ruinen zurückgelassen habe, verwirrt zusätzlich, weil Patrick Bahners als gleichsam unumstößliches Prinzip der Technik die »überbietende Nachahmung des natürlichen Laufs der Welt« erkennen will – das ist nun nicht politische Naivität, sondern mehr: Blinder Glaube an technologischen Fortschritt, ojeh.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Patrick Bahners: Entenhausen. Die ganze Wahrheit
München: C.H.Beck 2016
208 Seiten, 16,95 Euro

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