Comic | Anders Brekhus Nielsen: Der Zorn des Poseidon
»Also, stell dir vor, du bist Poseidon …« Mit Sätzen wie diesem beginnen die acht skurrilen Kurzgeschichten, in denen Anders Nilsen in dem Album ›Der Zorn des Poseidon‹ versucht, den Leser in die Perspektive olympischer Götter und biblischer Gestalten wie Isaak oder Luzifer zu versetzen. BORIS KUNZ hat sich auf das Experiment eingelassen.
Die alten Götter und Bibelgestalten haben es schwer. Die Menschen glauben nicht mehr an sie, bringen ihnen keine Opfergaben mehr dar. Nur auf Schulbänken wird ihnen noch gehuldigt, gelegentlich auf den Leinwänden von Multiplexkinos – besonders ausführlich aber noch immer im Medium Comic: Nordische Götter wie Thor, Odin und Loki schlagen sich auf den Seiten der Marvel Comics gemeinsam mit Spider Man und Captain America mit Superschurken herum, Darren Aronofsky hat aus Noah einen Fantasyhelden gemacht, Kain und Abel gehören zum festen Personal von Neil Gaimans ›Sandman‹-Comics, ebenso wie Luzifer, dem wir aber auch gerne in den defätistischen, antireligiösen Comicpamphleten von Garth Ennis (›Preacher‹, ›Wormwood‹) über den Weg laufen. Aber auch weniger bekannte Mythengestalten wie Heimdall oder Goliath sind bereits zu Titelhelden einfallsreicher kleiner Comicalben geworden.
In den meisten dieser Storys kommen diese Figuren nicht unbedingt gut weg. Sie stehen den Normalsterblichen an Eitelkeit, Fehlbarkeit und Sonderlichkeit in nichts nach. Sie sind genauso arme Würstchen wie wir. Ganz ähnlich sieht es auch in den Geschichten des amerikanischen Zeichners mit dem skandinavisch klingenden Namen Anders Nilsen aus. Auf gestalterischer Ebene allerdings ragen seine acht Miniaturen doch heraus und spielen sich am Randbereich dessen ab, was man sich unter Comics allgemein vorstellt.
Ein Herz für Götter
Nilsen erzählt nicht in Sequenzen, sondern wie in einem Bilderbuch: Ein Bild pro Seite, in einem streng quadratischen Format und in einer möglichst einfachen, ikonografischen Bildsprache. Die Geschichte selbst aber wird, ganz klassisch, in einem Prosatext unter den Bildern erzählt, der den Leser fast immer direkt anspricht: »Also, stell dir vor, dein Name ist Isaak und du stehst gemeinsam mit deinem Vater auf der Spitze eines Berges.«
Der Text versetzt uns in die Perspektive von Gestalten wie Prometheus oder Leda, die mit Zeus in Gestalt eines Schwans geschlafen hat. Und damit uns die Projektion leichter fällt, versetzt er diese Gestalten wiederum in unsere moderne Gesellschaft. Manchmal, in dem er die Geschichten der Unsterblichen bis in die heutige Zeit fortschreibt: Da ist Poseidon zwar froh über die Satellitennavigation, weil es ihm die nervige Kleinarbeit erspart, die Schiffe sicher über das Meer zu bringen. Andererseits regt er sich aber über die zunehmende Verschmutzung der Meere auf.Manchmal erfindet Nilsen auch gar nichts neu sondern lässt uns biblische Episoden ganz einfach aus zeitgenössischer Perspektive erleben: Da fragt Isaak dann kurz vor dem Opferritual, wann er von seinem alten Vater endlich ein paar Euro für ein neues Computerspiel bekommt. Immer wieder gibt es Querverweise zwischen griechischer und biblischer Mythologie, die darauf deuten, dass all diese Storys sich in ein und demselben Universum abspielen, wo der angebliche Sohn eines angeblichen Schöpfergottes die hellenistischen Götter nach und nach abgelöst hat und Athena durch die Erfindung des Buchdrucks für die Gutenberg-Bibel verantwortlich war.
Die Geschichten sind prägnant, mit leisem Humor und voller wahrer menschlicher Regungen, ihr Personal meistens ziemlich abgefuckt. Manche moderne Umdeutung frühgeschichtlicher Allegorien ist allerdings auch eher banal als tiefgründig: »Venus arbeitet an einem Ort namens ›Hollywood‹, Eros betreibt etwas, das sich ›Internet‹ nennt.« Andere Geschichten dagegen geben dem Leser auch ein paar Rätsel auf. Eine solide Grundkenntnis westlicher Mythologien ist als Voraussetzung für die Freude an der Lektüre also durchaus vonnöten.
Das Bilderbuch der Götter
Die Grafiken sind meist in flächigen schwarz-weiß Kontrasten gehalten und beeindrucken gleichzeitig durch konzeptionelle Schlichtheit sowie ihren Einfallsreichtum. Meistens sieht man von den Figuren nur scherenschnittartige Silhouetten, manchmal flüchten die Bilder sich gar in die abstrakte Symbolik mosaikartiger Muster. Nur selten wird etwas so lebensnah und detailliert in filigranen Strichen ausgestaltet wie der erschreckend leere Kühlschrank von Athena.
Allerdings lassen diese Illustrationen in ihrer starken Reduktion manchmal weniger Spielraum für die Phantasie des Lesers, als man meinen könnte. Sie stellen sich zwischen den Leser und die Geschichte, weil sie ihn über den cleveren Witz des Zeichners staunen lassen und damit aus der Perspektive der jeweiligen Figur ein Stück wieder herausholen.
Unterm Strich ist ›Der Zorn des Poseidon‹ eine unterhaltsame und durchaus nicht anspruchslose Lektüre, die vor allem von menschlichen Regungen erzählt. Für eine philosophisch tiefgründige Auseinandersetzung zum Thema Götter und Menschen reicht das Werk aber nicht ganz aus. Hier kann Nilsen nicht für sich in Anspruch nehmen, tiefgründiger und einfallsreicher mit den alten Mythen umgegangen zu sein, als das vor ihm auch schon Neil Gaiman oder Kevin Smith, Ville Ranta oder Robert Crumb getan haben.
Titelangaben
Anders Brekhus Nielsen: Der Zorn des Poseidon
(Rage of Poseidon) Aus dem Amerikanischen von Mathias Emanuel Hartmann
Berlin: avant-Verlag 2015
96 Seiten, 24,95 Euro
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